Mein erstes Mal

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ThomasStefan

Mitglied
Mein erstes Mal


von Thomas Stefan




Ich warte auf die Straßenbahn, versuche, mich unauffällig zu geben. Tatsächlich habe ich feuchte Handflächen. Aus den Augenwinkeln beobachte ich die anderen, die meisten lösen Fahrscheine, einige nicht. Besitzen sie Monatskarten? Eins ist sicher: Heute ziehe ich keine Fahrkarte.

Die Bahn hält, vor mir drängen sie hinein. Ich betrete sie ganz zum Schluß, natürlich nehme ich die hintere Tür. Ein bißchen Schiss habe ich. Bei der ersten Fahrt, da wäre das ganz normal, haben mir die anderen gesagt. Und wenn man sich nicht fühlt, einfach wieder aussteigen, durchatmen, machen wir alle so.

Mit einem Rucken fährt sie an. Jetzt kommt eine längere Strecke, da gibt es kein Entkommen. Genug Zeit, jeden zu kontrollieren. Ganz vorn, beim Fahrer, erkenne ich ihn, in seiner betont unauffälligen Jacke. Jetzt sieht er zu mir. Wir haben Augenkontakt, er hat mich entdeckt, nickt, ein angedeutetes Lächeln. Er beginnt, sich in meine Richtung zu bewegen, kontrolliert den ersten Fahrgast.

Ich bekomme einen trockenen Hals. Selbst schuld! Warum lasse ich mich auf sowas ein? Okay, es hilft nichts. Ich gebe mich zu erkennen, nehme den Nächstbesten und zeige den kleinen Ausweis: „Fahrkartenkontrolle, bitte die Fahrscheine vorzeigen.“ Mein erstes Mal. Der Kollege vorne grinst, er kennt noch das Scheissgefühl.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo,
das ist eine wunderbar umgesetzte Idee.
Kurz, knackig
und eine unerwartete Wendung zum Schluß.

sehr gute Kurzprosa in meinen Augen.

lg
Ralf
 
D

Donkys Freund

Gast
Bein zweiten Mal lesen erkennt man erst, wie geschickt du in die Irre führst. Auf den Punkt.
 

MarenS

Mitglied
Gerne ein zweites Mal gelesen!
das ist eine richtig gute Kurzprosa, finde ich, du hast einen guten Spannungsbogen aufgebaut und dann sehr geschickt den Leser an der Nase herum geführt, um ihn dann mit großen Augen stehen zu lassen.

Es grüßt die Maren
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo!
Das ist ja ne nette Überraschug, nach dem Urlaub doch ein paar Meldungen zu lesen.
Danke für die Zustimmung. An dieser kleinen Sache, die ein paar Monat alt ist, habe ich nochmals rumgewerkelt und konnte - nach einigem Abstand - viel konstruktive Kritik verarbeiten (danke Bernhard).
Beste Grüße, Tom
 

revilo

Mitglied
............ausgezeichnet.........gut geschrieben........pfiffig mit krachender Pointe..........Glückwunsch........LG revilo
 

ThomasStefan

Mitglied
Mein erstes Mal


von Thomas Stefan




Ich warte auf die Straßenbahn, versuche, mich unauffällig zu geben. Tatsächlich habe ich feuchte Handflächen. Aus den Augenwinkeln beobachte ich die anderen, die meisten lösen Fahrscheine, einige nicht. Besitzen sie Monatskarten? Eins ist sicher: Heute ziehe ich keine Fahrkarte.

Die Bahn hält, vor mir drängen sie hinein. Ich betrete sie ganz zum Schluss, natürlich nehme ich die hintere Tür. Ein bißchen Schiss habe ich. Bei der ersten Fahrt, da wäre das ganz normal, haben mir die anderen gesagt. Und wenn man sich nicht fühlt, einfach wieder aussteigen, durchatmen, machen wir alle so.

Mit einem Rucken fährt sie an. Jetzt kommt eine längere Strecke, da gibt es kein Entkommen. Genug Zeit, jeden zu kontrollieren. Ganz vorn, beim Fahrer, erkenne ich ihn, in seiner betont unauffälligen Jacke. Jetzt sieht er zu mir. Wir haben Augenkontakt, er hat mich entdeckt, nickt, ein angedeutetes Lächeln. Er beginnt, sich in meine Richtung zu bewegen, kontrolliert den ersten Fahrgast.

Ich bekomme einen trockenen Hals. Selbst schuld! Warum lasse ich mich auf sowas ein? Okay, es hilft nichts. Ich gebe mich zu erkennen, nehme den Nächstbesten und zeige den kleinen Ausweis: „Fahrkartenkontrolle, bitte die Fahrscheine vorzeigen.“ Mein erstes Mal. Der Kollege vorne grinst, er kennt noch das Scheißgefühl.
 
Dies hier krame ich gern mal aus den Tiefen des LL-Depots hervor. Von den wenigen Proben, die ich von deinen Texten gerade genommen habe, hat es mich am meisten überzeugt. Nur dumm, dass darüber schon fast alles gesagt ist durch die Vorkommentatoren ... Über eine tadellose Kürzestgeschichte lassen sich eben nicht viele Worte machen. Aber vielleicht lesen sie jetzt noch einige mehr zum ersten Mal, hofft

Arno Abendschön
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Doc
Tut mir leid, dass ich erst jetzt antworte, aber habe längere Zeit hier nicht mehr reingeschaut.
Vielen Dank für die Blumen. Vielleicht ist dies das Beste, was mir bisher gelang. Ich hoffe, mich küsst irgendwann noch einmal die Muse.
Schöne Weihnachten, Thomas
 



 
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