Meinungsfreiheit...

mueckstein

Mitglied
SAMMARABISSLBÖSHEUT – zum thema mündigkeit, medienfreiheit und menschenrechte

für den verband österreichischer zeitungen
zum tag der pressefreiheit, 3. mai 2001
von roland mückstein

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen, und zu verbreiten.“
– Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UNO 1948), Artikel 19

Ich weiß, Sie kennen den Text. Lesen Sie ihn bitte trotzdem noch einmal durch, mit offenen Augen. Was fällt Ihnen auf?
Wie, nichts? Gratuliere.
Sie dürfen sich stolz zurücklehnen, Ihnen droht keine Gefahr. Hiermit verleihe ich ihnen in meiner Funktion als Papst der diskordischen Liga und Hohepriester der O.M.A. den Titel „A.A.B.“ – Ausreichend Angepaßter Bürger.“ Herzlichen Glückwunsch.
„ ... sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen, und zu verbreiten.“
Eine kleine Anekdote als Aperitif: Ein Wissenschaftler namens Wilhelm Reich schreibt psychologische Abhandlungen, philosophische Werke und praktische Ratgeber, entwickelt eine Therapie, die möglicherweise Krebs heilen kann (die Versuchsergebnisse sind durchwegs positiv) und arbeitet mit einer sensationellen Erfolgsquote als Psychiater. – Es dauert nicht lange, und ihm wird zuerst die Ausübung seines Berufes untersagt, dann werden seine Experimente verboten und durch den Staat sabotiert; er wird das Opfer einer massiven Propagandaschlacht, und seine Heilmethoden, obwohl sie ihre Wirksamkeit und Unschädlichkeit längst bewiesen haben, werden mit breiter Unterstützung der Öffentlichkeit verboten. Schließlich werden alle seine Werke aus dem Handel gezogen, konfisziert und verbrannt.
Nein, sehr geehrter AAM, nicht von Hitlerdeutschland ist die Rede. Die Bücherverbrennung fand 1957 in der Vandivoort Street in New York statt, auf Anordnung der Regierung und durchgeführt von der staatlichen „Food and Drug Administration.“ Wilhelm Reich starb im gleichen Jahr im Gefängnis.
Schon gehört? Schön. – Betroffen? Dann wird Ihnen der vorher verliehene Titel wieder abgesprochen und durch „A.B.B.“ ersetzt – Ausreichend Berechenbarer Bürger.
Sie meinen: Ach ja, die schlimmen alten Zeiten ... und was in Amerika nicht alles passiert ...
ABER HIER DOCH NICHT! NICHT DOCH! IN ÖSTERREICH, DER INSEL DER SELIGEN ... !
Lassen Sie mich mit einem weiteren Zitat fortfahren:

„18. August: Die Staatsanwaltschaft Wien leitet gegen Andreas Mölzer, den kulturpolitischen Berater des Kärntner Landeshauptmannes Jörg Haider, Vorerhebungen ein. In einem Artikel im Wochenblatt „Zur Zeit“, dessen Chefredakteur Mölzer damals war, wurde Adolf Hitler als ‚großer Sozialrevolutionär‘ bezeichnet und die Existenz von Gaskammern im Dritten Reich sowie die sechs Millionen NS-Opfer in Frage gestellt.“
http://www.derstandard.at (27. 12. 1999) (zitiert nach TopOne Nr. 9)

Zunächst einmal soll hier dem naheliegenden Vorwurf Vorschub geleistet werden, der Autor dieser Zeilen (ICH) sympathisiere in irgendeiner Weise mit den in Herr Mölzers Zeitschrift dargestellten Ansichten; hier soll nicht die Sache an sich verteidigt werden, sondern das Prinzip, das hinter dem (öffentlich tolerierten und auch noch stolz propagierten) Vorgehen des Staates in derlei Dingen steckt, in Frage gestellt werden.
Nun gut, die Pressefreiheit, sagen wir, ist da – aber, wie aus obigem Beispiel ersichtlich, offenbar nur für die Art von Meinungsäußerungen, die der Staat auch für ‚angemessen‘ hält.
MEINUNGS- UND PRESSEFREIHEIT JA – SOLANGE NIEMAND EINE MEINUNG ÄUSSERT, DIE DER VOM GESETZGEBER FESTGELEGTEN „ÖFFENTLICHEN MEINUNG“ WIDERSPRICHT ...
Nun mal ganz ehrlich: Die ideologische Dimension beiseite gelassen (kein Österreicher, der Wert auf sein Ansehen legt, wird sich öffentlich mit ‚derartigen‘ Ansichten solidarisieren), ist ein Großteil der Maßnahmen des Staates Österreich gegen die sogenannte „Wiederbetätigung“ o.ä. nichts weiter als Zensur.
Natürlich, sehr geehrter ABB, kommt hier, wenn wir uns schon auf die Menschenrechte stützen, auch Artikel 29, Punkt 2, ins Spiel:
„Jeder ist bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.“
Dies trifft beispielsweise zu, wenn der Staat gegen die aktive Ausgrenzung von Minderheiten oder gegen die Formierung minderheitenfeindlicher Gruppierungen einschreitet; nicht jedoch, wenn es sich um die Unterdrückung von Meinungen, Informationen, Ansichten handelt. Der obige Fall etwa entspricht der Unterdrückung von der Staatsideologie abweichender Geschichtsbilder; dies ist ein typisches Merkmal totalitärer Regimes.
Wieso aber geschieht dergleichen mit der beinahe vollkommenen Billigung der Öffentlichkeit? – Dafür gibt es zwei wichtige Gründe:
ERSTENS, die Spirale der Paranoia. Diese Gesetze sind aus berechtigter Furcht vor einem erneuten Aufleben des Nationalsozialismus entstanden und seitdem quasi unanfechtbar; denn wer es wagt, diese Gesetze anzuzweifeln, von welchem Standpunkt aus auch immer, gerät unmittelbar in den dringenden Verdacht, sich selbst in der ‚verbotenen Zone‘ zu bewegen – wer „Anti-Nazi“-Gesetze in Frage stellt, kann wohl nur ein „Nazi“ sein ... oder etwa nicht? Dies ist eine typisch österreichische Gesellschafts-Funktion: So wie in den USA der McCarthy-Ära Leute, die mißliebige Meinungen verbreiteten, einfacherweise als „Kommunisten“ angeprangert wurden, kann man hierzulande mit den Nazis verfahren: Wer unangenehme Äußerungen macht, wird zunächst einmal auf etwaige ‚konservative Verbindungen‘ abgeklopft, und Wiederholungstäter geraten in das Schußfeld der öffentlichen Meinung. Das führt in unserem schönen kotelettförmigen Land dann bisweilen auch so weit, daß beispielsweise eine sachliche Kritik, gegenüber einem ‚Juden‘ geäußert, als Antisemitismus plakatiert wird (NEIN, auch wenn Sie darauf gewartet haben, ich beziehe mich damit sicher NICHT auf den Fall Haider/Muzicant. Ich sagte „sachliche Kritik.“)
ZWEITENS, die Angst der Gesellschaft vor sich selbst. Die Aufklärung im Kantschen Sinne hat versagt, denn der durchschnittliche Österreicher steckt noch immer in einer abgeschlossenen Spirale der Unmündigkeit; gewisse Dinge, so lautet der allgemeine Konsens, sollte man nicht wissen. Gewisse Informationen MÜSSEN dem ‚gemeinen Volk‘ vorenthalten werden – meint sogar das ‚gemeine Volk‘ selbst und bezichtigt sich damit selbst der Unmündigkeit. Gerade im Falle der sogenannten ‚Wiederbetätigungsliteratur‘ ist es ganz offenkundig, daß der Staat der Bevölkerung (und die Bevölkerung sich selbst) in keiner Weise zutraut, aus der Vergangenheit gelernt zu haben; die momentane Gesetzeslage impliziert die Unfähigkeit ‚des Österreichers‘, sich von den Dingen selbst eine Meinung zu bilden, indem gegenläufige Meinungen unterdrückt werden. Und das – hier schließt sich die Spirale – macht sie natürlich gerade erst interessant.
Aber das ist der Lauf der Dinge, würde wohl die Antwort ‚des Österreichers‘ lauten. Und der Autor dieser Zeilen ist ein verkappter Deutschnationaler, der versucht, auf dem Umweg über die Menschenrechte (!) seine Botschaft in das Ohr der Öffentlichkeit zu bringen ... tötet ihn! Verbrennt diesen Artikel! Entlausung der Gehirne ist angesagt!

Entschuldigen Sie, verehrter ABB. Österreich hat mich den Zynismus gelehrt.
Falls Sie trotz aller Vorurteile etwas von dem Obigen betroffen gemacht hat (wieso denn? so ein Blödsinn! natürlich gehört der rechte Kram verboten!), kommen wir vielleicht noch einmal auf die Menschenrechte zurück ... oh, dachten Sie, Österreich würde die alle ganz brav einhalten? – Ach ja, ich vergaß, Menschenrechts-verletzungen gibt’s bei uns ja nicht, höchstens da unten irgendwo, in der Türkei oder so ...

„Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dies schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“
– AEM, Artikel 18

Oh, da war doch was ... Stichwort Sektengesetz: Öffentliche Religionsausübung? Nicht doch!
Wieder einmal der Fall: RELIGIONSFREIHEIT JA – SOLANGE ES UNSERE GEWOHNTEN, ALT-HERGEBRACHTEN, VOM STAAT ANERKANNTEN RELIGIONEN SIND ...
Und die Thematik ist wieder genau die gleiche wie oben: Der Mensch fürchtet sich vor dem anderen, er hat es gerne, wenn ihm eine einzelne Gedankenlinie vorgegeben wird ... miteinander in Konflikt tretende Ansichten sind so mühsam, man muß sich entscheiden; ganz besonders, wenn sie einen selbst betreffen. Da hören wir lieber einer intelligenten Diskussion zu, die so abstrakt und abgehoben ist, daß wir uns nicht persönlich betroffen fühlen; aber unsere Weltanschauung in Frage zu stellen, das wäre doch ein existentieller Schock, das kann man doch bitteschön nicht machen ... !
Aber der Mensch ist es nicht gewohnt, selbst zu entscheiden; von Anfang an wird für ihn entschieden. Schon im Kindesalter wird der Mensch durch das sogenannte ‚Jugendschutzgesetz‘ effektiv davor geschützt, Selbst-verantwortlichkeit zu entwickeln; die Entscheidung darüber, was gut und was böse ist, wird ihm praktischerweise schon durch den Gesetzgeber abgenommen, damit die Eltern (denen es in ihrer Jugend ja ebenso erging) nicht vor der schwierigen Entscheidung stehen, welche moralischen Normen sie ihrem Zögling mit auf den Weg geben sollen. Natürlich gewinnt auch dadurch gerade das sanktionierte ‚Böse‘ an Reiz; man weiß ja, wie der Mensch auf ein „Du sollst nicht ...“ reagiert (siehe Adam/Eva/Apfel). Derart ‚geschützte‘ Kinder und Jugendliche wachsen schließlich natürlich zu Menschen auf, die den Vorteil eines klaren Schemas tief in ihrem Inneren verwurzelt haben; sie werden sich ihr ganzes Leben schwer tun, selbst Entscheidungen zu fällen, werden immer auf die Gesetze pochen und sie dennoch mit Freude übertreten – solange sie nicht ‚erwischt‘ werden, denn nur die Möglichkeit des ‚erwischt-werdens‘ macht die Übertretung wirklich interessant. Und die so heranwachsenden Eltern wollen natürlich um keinen Preis, daß ‚ihr‘ Kind mit anderen Ansichten konfrontiert wird; wenn schon die Eltern damit nicht klarkommen, wie soll es dann ein ‚unmündiges‘ Kind? – Ich postuliere hiermit klar und deutlich: In unserer Gesellschaftsform wächst die Verantwortungsfähigkeit nicht mit dem Alter, sie schrumpft vielmehr. JEDES ÖSTERREICHISCHE KIND IST UM EINIGES VERANTWORTUNGS-FÄHIGER ALS JEDER ÖSTERREICHISCHE ERWACHSENE. – Dieser Satz ist auf nahezu alle Nationen der Welt anwendbar.
Dazu vielleicht noch, als vorletztes Vollzitat, ein weiterer Ausschnitt aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Artikel 6:
„Jeder hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.“
Es ist sehr bezeichnend, daß schon im zweiten Artikel der Erklärung erklärt wird, daß „jeder ... ohne irgendeinen Unterschied“ Anspruch auf die in der Folge verkündeten Rechte hätte; bei der folgenden Auflistung („Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht“ etc.) allerdings das ALTER nicht erwähnt wird ... und wir wieder bei einer Frage wären, die bisher nur in der Frage der Abtreibung für drängend erachtet wurde: Ab wann ist ein Mensch ein Mensch? Hat wirklich ‚jeder‘ das Recht, als rechtsfähig anerkannt zu werden? – Man lasse bei der Antwort auf diese Fragen Vorsicht walten und bedenke, daß auch die katholische Kirche, obgleich in der Bibel ein „Du sollst nicht töten“ festgeschrieben stand, genügend semantische Umwege fand, um beispielsweise die „ungläubigen Muslims“ ihrer Menschlichkeit zu entheben und somit zum Abschlachten freizustellen (siehe Kreuzzüge).
(Der erste Artikel der AEM impliziert eine Definition des Menschen ab der Geburt; für die vorliegende Argumentation soll dies ausreichen, wenngleich der Autor die aus der Quantentheorie übernommene Definition bevorzugt, ein Mensch sei genau von dem Zeitpunkt an ein Mensch, da er als ein solcher erkannt wird; er war es aber ab diesem Moment schon von der Zeugung an. Siehe Schrödingers Katze.)

An den Schluß dieser etwas eklektischen und möglicherweise nicht leicht verdaulichen Gedankensammlung (wer weiß, vielleicht renne ich ja auch nur offene Türen ein?) möchte ich noch ein Zitat stellen, das die mehrmals angesprochene Spirale der Paranoia sehr gut verbildlicht:

„Wohl, es könnte dir gelingen mir nachzuweisen, daß ich 100 Dollar Steuer zu wenig bezahlt habe, oder daß ich mit einer Frau über eine amerikanische Staatsgrenze gefahren bin, oder daß ich mit einem Kinde nett gesprochen habe. In deinem, nicht in meinem Munde, bekommt jeder dieser drei Sätze seinen besonderen Klang, den schlüpfrigen, gemeinen Klang der Niedertracht ...“
– Wilhelm Reich, „Rede an den kleinen Mann“, USA 1946
 
L

Lothar

Gast
Meinungsfreiheit ...

Sehr geehrter Herr Mueckstein!

Ich gebe Ihnen völlig recht. Aus unserer Paranoia vor Unbekanntem und Vergangenem wuchs eine neue Art von Zensur. Wer nicht die genau vorgegebenen Gedanken nachvollzog, wurde und wird eiskalt aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Das scheinen die Vertreter dieser nun alt gewordenen 68er-Generation mitsamt ihren nach plappernden Schülern nicht zu verstehen. Sie nennen sich ja auch die Freiheitsgeneration. Man muss ja zugeben, dass die Freiheit noch nie so groß war, trotzdem hängt sie an der Angel der herrschenden Philosophie. Ich schreibe ja auch in diese Richtung und erfahre deshalb momentan und gerade auch hier in LL meine Zurechtweisung.

Weil Sie Wilhelm Reich anspielen: In den 60ern und Anfang der 70er lief jeder Intellektuelle mit seiner "Entdeckung des Orgasmus" und seiner "Massenpsychologie des Faschismus" herum, aber verstanden hat ihn kaum einer. Nach seinem Tod schrieb Mary Higgins: "Es wird Zeit, dass wir einen Weg finden, um diesen chronischen Mord am Leben und am Wissen vom Leben beenden. Wir müssen lernen die Wahrheit zu ertragen. Wir müssen die biogenetische Funktion der orgastischen Konvulsion verstehen und anerkennen lernen, und wir müssen verstehen lernen, was wir werden und was wir tun, wenn diese Funktion vereitelt und verleugnet wird."

Daran hat sich bis heute Nichts geändert. Wir laufen noch immer vor den Wahrheiten davon. Und gerade die so genannte Humangeneration der Nachkriegszeit hat sich in ihrer Art von Freiheit eingekapselt und sie hält eisern daran fest, obwohl schon klar und deutlich offensichtlich ist, dass diese ihre Welt, die eng an ihre Philosophie geknüpft ist, (zwischen Beiden besteht ein unmittelbarer Zusammenhang), schon gescheitert ist. Sie wollen es nur noch nicht sehen.

Ein schönes Wochenende wünscht
Lothar.
 



 
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