Melodie zu HartzIV

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Dorothea

Mitglied
Melodie zu HartzIV

(Erneut eingestellt)

Mein Vater hockt zu Haus.
Die Arbeit ging ihm aus.
Nun sitzt er auf den Ohren,
hat sich im Suff verloren
und kennt sich nicht mehr aus.

Der ihm die Arbeit nahm,
verschiebt sie ohne Scham
bis in die fernsten Länder,
dort heckt das Geld behender,
das hier nur langsam kam.

Das schöne Etxtrageld,
es reist jetzt um die Welt.
Nur heim in uns're Scheuern,
als grundgerechte Steuern -
das hätte noch gefehlt.

Wer hier dem Staat noch blecht,
ist blöde oder Knecht,
der ohne Raffinessen
malocht, nur um zu essen,
und für sein gutes Recht.

Der mir mit leichter Hand
den Gürtel enger spannt,
kann selber in die Kassen
der Aufsichtsräte fassen
durch kein Gesetz gebannt.
 

Montgelas

Mitglied
liebe dorothea,

der text, obwohl er verdichtet realität
widerspiegelt,
gefällt mir offengestanden nicht.
das liegt meiner meinung daran.
dass er subkutan irgendwie
verschwörungstheoretisch argumentiert.
die da angegriffen werden, ich will sie
nicht verteidigen - um gotteswillen ! -
sind eher determinierte vollzieher eines
weltweit stattfindenden ökonomischen
prozesses, als kreative akteure.

meint

montgelas
 

Dorothea

Mitglied
Vollzieher eines determinierten Prozesses?

Lieber Montgelas,

wenn die Eigner großen Kapitals kein Gestaltungs- und damit Verantwortungspotential mehr haben, wer dann? Deine Anmerkung stellt die Verrohung des heutigen Kapitalismus, der seine sozialen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft einfach ablegen kann, weil alternative Utopien fehlen, als einen quasi gesetzmäßigen Prozess dar, in den nicht gestaltend eingegriffen werden könne!
Ich denke, manchmal müssen für die Verursachung verderblicher Entwicklungen Ross und Reiter aus den Kreisen der wirklich Mächtigen benannt werden, ohne dass deswegen jeder Einzelne aus seiner persönlichen Mitverantwortung entlassen wäre.
 

Walther

Mitglied
Liebe Dorothea,

zuerst ein paar kleine Korrekturen etc. in [blue]fett und blau.[/blue]

Ursprünglich veröffentlicht von Dorothea
Melodie zu HartzIV

(Erneut eingestellt)

Mein Vater hockt zu Haus.
Die Arbeit ging ihm aus.
Nun sitzt er auf den Ohren,
hat sich im Suff verloren
und kennt sich nicht mehr aus.

Der ihm die Arbeit nahm,
verschiebt sie [blue]so[/blue] ohne Scham
bis in die fernsten Länder,
dort [blue]sprudelt[/blue] Geld behender,
das hier nur langsam kam.

Das schöne [blue]Extrageld[/blue],
es reist jetzt um die Welt.
[blue]Nicht[/blue] heim in uns're Scheuern,
als grundgerechte Steuern -
[blue]Es hätt doch so [/blue]gefehlt.

Wer hier noch Steuern blecht,
ist [blue]saublöd oder Knecht,[/blue]
der ohne Raffinessen
malocht, nur um zu essen,
[blue]für gute Ehr und [/blue]Recht.

Der mir mit leichter Hand
den Gürtel enger spannt,
kann selber in die Kassen
der Aufsichtsräte fassen
durch kein [blue]Gesetz[/blue] gebannt.
Du siehst mir hoffentlich nach, daß ich - meinem Rhythmusgefühl folgend - ein wenig Hand angelegt habe.

Es ist eben doch ein Betroffenheitsgedicht und noch zu nahe am Gefühl, das es angestoßen hat. Man merkt es am Text in vielen Punkten.

Der Ärger ist erklärlich und nachvollziehbar. Der einzelne Mensch fühlt sich den Marktkräften hilflos ausgeliefert, was kann er groß gegen den internationalen Wettbewerb tun. Auf den ersten Blick in der Tat erst einmal nichts.

Auf den zweiten Blick sieht das schon anders aus. Das Erste, was der Einzelne tun muß, ist seine Lage realistisch einschätzen. Die Erkenntnis, die sich aufdrängt, ist: The party is over. Die zweite Erkenntnis ist: Ohne mehr Einsatz zum gleichen Geld werden mir die Chinesen die Butter vom Brot nehmen. Und wenn es nicht die Chinesen sind, dann sind es Esten, Weißrussen und/oder die Litauer. Wobei die Länderbezeichnungen in jedem Fall nur symptomatisch, nicht aber wörtlich zu nehmen sind.

Die dritte Erkenntnis ist: Es gibt kein Ausweichen. Geld stinkt nicht nur nicht, es hat auch noch weder Moral noch Ethik. Es geht schlicht dahin, wo am meisten damit verdient wird. Mitleid und Menschlichkeit sind nicht zu erwarten und können nur von dem geleistet werden, der genug davon hat: "Erst kommt das Fressen, dann die Moral!" (Bert Brecht).

Gruß

W.
 

Dorothea

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von Walther
Du siehst mir hoffentlich nach, daß ich - meinem Rhythmusgefühl folgend - ein wenig Hand angelegt habe.
Vielen Dank für die akribische Arbeit, die Du dir gemacht hast. Dein Rhythmusgefühl gin, glaube ich, an einer Stelle fehl, während Du z.B. in Strophe 4, Zeile drei tatsächlich einen Fehler gesehen hast. Danke.
Das metrische Schema aller Strophen soll nämlich das folgende sein (X = Hebung, x = Senkung)

xX xX xX
xX xX xX
xX xX xX x
xX xX xX x
xX xX xX

Gegen dieses Schema verstieße Dein zusätzliches "so" in Strophe 2, Zeile 2.
ursprünglich veröffentlicht von Walther
Es ist eben doch ein Betroffenheitsgedicht und noch zu nahe am Gefühl, das es angestoßen hat. Man merkt es am Text in vielen Punkten.
Es soll nahe am Gefühl sein und eben keine mathematische Analyse. Nahe am Gefühl ist Lyrik doch immer auf die eine oder andere Weise. Oder nicht? Nur bei politischen Inhalten ist das abngeblich schlecht. Da soll nur sachlich diskutiert werden. Ich will auch das Gefühl ansprechen, denn es geht um den aufruf von Solidarität gegen Unrecht.
ursprünglich veröffentlicht von Walther
Der einzelne Mensch fühlt sich den Marktkräften hilflos ausgeliefert, was kann er groß gegen den internationalen Wettbewerb tun.
[/QWUOTE]
Dieser Standpunkt erscheint mir viel zu neutral formuliert. "Internationaler Wettbewerb", das klingt positiv, unausweichlich, vernünftig, den wirtschaftlichen Prämissen entsprechend. Als gäbe es keinen Gestaltungsraum mehr für die im GG vorgegebene Sozialverpflichtung des Eigentums.
ursprünglich veröffentlicht von Walther
Das Erste, was der Einzelne tun muß, ist seine Lage realistisch einschätzen. Die Erkenntnis, die sich aufdrängt, ist: The party is over. Die zweite Erkenntnis ist: Ohne mehr Einsatz zum gleichen Geld werden mir die Chinesen die Butter vom Brot nehmen. Und wenn es nicht die Chinesen sind, dann sind es Esten, Weißrussen und/oder die Litauer.
1. Mit den Ländern der absoluten Niedriglöhne können wir nicht konkurrieren! Denn meine Miete, Versicherungen, .... sinken nicht parallel zu meinem Einkommen.
2. Auch ohne diese Ausweichbewegung des Kapitals in andere Länder findet eine Vernichtung der menschlichen Arbeit statt, die auch letzlich zu Überproduktionskrisen führen wird, da die wachsenden Anteile verarmter Bevöljkerung die Nachfrage drastisch senken. Wir können das momentan noch durch Export ausgleichen, aber nicht ad infinitum!
Hier wird insgesamt nicht umfassend und sachdienlich diskutiert in Deutschland. Ich möchte durch mein Gedicht in diesen Leerraum der fehlenden Problemdiskussion und der fehlenden Solidarität mit den Bwetroffenen hineinbohren und zum Nachdenken anregen.
ursprünglich veröffentlicht von WaltherGeld stinkt nicht nur nicht, es hat auch noch weder Moral noch Ethik.
Geld hat keine Moral - in der Tat. Aber der Mensch sollte sie haben und seine Mittel und Maßnahmen so einsetzen, dass sie einem humanen Wertesystem gerecht werden. Ebenso wie den Erfindern und Verwendern der Atomkraft nicht erlaubt werden darf, alles damit zu tun, müssen Kapitaleigner an humane Grenzen orientiert bleiben. Dazu ist Gemeinschaftswesen oder Staat da. Ansonsten brauchen wir nämlich keinen und können gleich mit dem Recht des Stärkeren weiter machen, gegen das schon Thomas Hobbes den Staatsgedanken gesetzt hat.

Die Zeile "Und für sein gutes Recht" möchte ich aus diesem Grund so lassen. Der Bürger als Steuerzahler blecht eben nicht nur für sein Fressen, sondern auch für sein Recht, dessen Wahrung durch steuerfinanzierte Gemeinschaftseinrichtung (unabhängige Richter etc.) gewährleistet wird.

Aber finalmente möchte ich Dir doch für Deinen umfangreichen Beitrag und die Mühe mit meinem Text herzlich danken.
 



 
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