Messerscharf

4,30 Stern(e) 11 Bewertungen

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ganz schön langweilig...
sag ich Ihnen, dieses Operieren, auch wenn ich damit mein Geld verdiene. Im Grunde ist es immer dasselbe, von wegen Traumjob, Super-Bezahlung und hohes gesellschaftliches Ansehen. Es war sauschwer, diese Stelle zu bekommen, denn Frauen werden da doppelt so viele Steine in den Weg gelegt wie Männern. Der Chef wollte damals am liebsten meine Gebärmutter im Reagenzglas haben, um sicherzugehen, dass ich keine Kinder kriege. Gut, ich habe keine gekriegt, aber vielleicht kriege ich noch einen Rappel und kriege doch welche.

Ich verdiene also mein Geld damit, den Leuten die Bäuche aufzuschneiden. Helfe ihnen, denke ich immer, wenn sie so betäubt vor mir liegen, willenlos, schlafend, und ich wühle mich durch alle Hautschichten, entferne Gallenblasen, Wurmfortsätze und allerlei unnötiges Zeug. Eigentlich ist das langweilig und sprechen kann ich mit meinen Patienten ja nicht. Schlussendlich ist das Verwirrendste für sie an der ganzen Sache, wenn ich abends im Krankenzimmer auftauche und nachsehe, wie es ihnen so geht. Sie wollen dann nicht glauben, dass sie eine Frau operiert hat. Frauen haben einfach keine Lobby, manche denken, ich sei die Putzfrau, die sich in der Tageszeit geirrt hat und sind dann ganz baff, wenn ich ihnen erzähle, dass ich immer ein scharfes Messer in der Tasche habe, um sofort zur Tat schreiten zu können. In diesem Job sind Frauen so gut qualifiziert wie Männer und manche Patienten bilden sich sogar ein, bei mir täte es später weniger weh, weil ich eine Frau bin - aber das ist natürlich Blödsinn und das eigentlich Abstoßendste ist, wenn ich einen richtig dicken Menschen vor mir habe und mich dann durch alle Fettschichten kämpfen muss, um an die Wurzel des Übels zu gelangen. Bei Dicken heilt auch alles schlechter, aber wenn ich ihnen das sage, sind sie sauer und essen extra mehr.

Manchmal ist es auch besonders schlimm, wenn eine bestimmte Schwester assistiert, diese hat nur Augen für den männlichen Kollegen und gibt mir das falsche Besteck und ich werfe sie sofort raus und fordere Ersatz. Da bin ich viel härter als die männlichen Kollegen, überhaupt sind Frauen in diesem Beruf die reinsten Metzgerinnen und im Prinzip ist ein OP ja auch ein einziges Schlachthaus.

Der schönste Moment des Tages ist der, an dem ich einfach alles fallenlasse, die Kleidung, die Handschuhe, den Mundschutz und dann mich selbst. Der Kollege denkt, mir sei übel, weil wir während der Pausen immer nur vor Stunden geschmierte Brötchen bekommen, und fängt mich auf. Jedes Mal sage ich, dass ich so schlecht Blut sehen kann und jedes Mal fällt er drauf rein.

Zu Hause sehe ich mir Soaps mit gesunden Menschen an, niemals diese Arztserien, das ist alles Humbug, wenn jemand wüsste, welche Witze Ärzte während des Operierens reißen und überhaupt... kein Mensch würde sich mehr unters Messer legen.

So, jetzt fahre ich zu meiner Mutter. Sie hat heute Rollbraten gemacht, den immer ich aufschneiden muss. Ich kann es halt am besten.
 
U

USch

Gast
Hallo Doc,
woher weißt du, was so für Probleme beim Operieren anfallen? Das Technische stimmt - mein Vater war Chirurg.
Aber ´ne Frau als Chirurgin iss ja nun wirklich schwer vorstellbar (ich weiß, da bin ich Chauvi). Die Schneiderei in die teils immensen Fettschichten hinein ist wirklich Schwerstarbeit, und die Zunäherei schwierig - sagte mein Vater immer.
Witzige Geschichte, die ich gern gelesen habe. Und ein guter Titel.
LG USch
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Doc,
eine lustige Geschichte, aber doch mit ein paar Kanten. Als Chirurg kann meinerseits nicht alles unwidersprochen bleiben.
Auch wenn die Entwicklung des Chirurgen vom Feldscher bzw. Barbier schon eine Weile her ist, so beschränkt sich seine heutige Tätigkeit nicht allein auf Aufschneiden und Zunähen und Wühlen in Wohlstandsfettmassen.
Eins ist sicher: Es gibt zu wenig Chirurginnen, aber doch zunehmend immer mehr, besonders in der Weiterbildung ist jeder 2. Assistent eine Frau.
Und nicht wenige sind bereits in leitenden Stellungen tätig, darunter zahlreiche Ordinariatsinhaberin an deutschen Universitäten.
Es gilt also "messerscharf" zu unterscheiden zwischen gewissen Vorurteilen und der Realität, die uns immer mehr hervorragende Ärztinnen in den operativen Fächern beschert.
LG von Hajo - so einem gealterten Chirurgen der "alten Schule"
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo USch, hallo Hajobe, vielen Dank für die Kommentare und Bewertungen. (?)
Natürlich schweige ich über alle Inspirationen. ;-) Und das Ganze steht unter Kurzprosa und nicht unter Tagebuch, ist also mit Augenzwinkern zu lesen und nicht GANZ todernst zu nehmen. Aber so ein kleine Bresche wollte ich doch für alle weiblichen Chirurgen schlagen.

Im realen Leben wäre ich gerne eine geworden.

Liebe Grüße, Doc

P.S. Ich weiß nicht, wer mir eine 10 gegeben hat. Aber ist ja der Oberhammer! (Sorry für diese unliterarische Bemerkung.)
 

Grauschimmel

Mitglied
Ho Frau Prof.

Hallo Doc, schöne Arztserie, auch die Götter im Leichentuchweiß sind wie Du-mit-Ich … kann mich in allen Aussagen bis auf die speziellen Fachtechnischen, nur anschließen. Als Hobbymetzger (Nachschnippler der antiken Roßschlächter, die mit dem hypophysichen Eid) habe ich noch eine Frage: „Womit war der Rollbraten gefüllt?“
Mist wir sind doch nicht in der „Hummer-Soucenjiere-Sparte“! Egal, damit Du nicht rumrätselst, die 10 von mir kommt erst jetzt (mal sehen was mein Korrekturwert daraus macht).
SmSm, gern gelesen, netter Plot, gute Umsetzung, Augenzwinkern und echtes Bedauern rübergekommen, Gruß Grauschimmel!
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Doc,

war ein großes Vergnügen für mich , diesen Text zu lesen. Herrlich. Nur "Abstoßendste" finde ich etwas zu hart. Chirurgen gewöhnen sich mit der Zeit an Vieles und stumpfen auch darin ab, was das Zugemutete betrifft. Ich könnte mir im Extremfall "Unappetitlichste" als passend vorstellen.
Keine Bewertung von mir, weil sonst 1,8 Punkte Abzug.

Gruß HelenaSofie
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ganz schön langweilig...
sag ich Ihnen, dieses Operieren, auch wenn ich damit mein Geld verdiene. Im Grunde ist es immer dasselbe, von wegen Traumjob, Super-Bezahlung und hohes gesellschaftliches Ansehen. Es war sauschwer, diese Stelle zu bekommen, denn Frauen werden da doppelt so viele Steine in den Weg gelegt wie Männern. Der Chef wollte damals am liebsten meine Gebärmutter im Reagenzglas haben, um sicherzugehen, dass ich keine Kinder kriege. Gut, ich habe keine gekriegt, aber vielleicht kriege ich noch einen Rappel und kriege doch welche.

Ich verdiene also mein Geld damit, den Leuten die Bäuche aufzuschneiden. Helfe ihnen, denke ich immer, wenn sie so betäubt vor mir liegen, willenlos, schlafend, und ich wühle mich durch alle Hautschichten, entferne Gallenblasen, Wurmfortsätze und allerlei unnötiges Zeug. Eigentlich ist das langweilig und sprechen kann ich mit meinen Patienten ja nicht. Schlussendlich ist das Verwirrendste für sie an der ganzen Sache, wenn ich abends im Krankenzimmer auftauche und nachsehe, wie es ihnen so geht. Sie wollen dann nicht glauben, dass sie eine Frau operiert hat. Frauen haben einfach keine Lobby, manche denken, ich sei die Putzfrau, die sich in der Tageszeit geirrt hat und sind dann ganz baff, wenn ich ihnen erzähle, dass ich immer ein scharfes Messer in der Tasche habe, um sofort zur Tat schreiten zu können. In diesem Job sind Frauen so gut qualifiziert wie Männer und manche Patienten bilden sich sogar ein, bei mir täte es später weniger weh, weil ich eine Frau bin - aber das ist natürlich Blödsinn und das eigentlich Unappetitlichste ist, wenn ich einen richtig dicken Menschen vor mir habe und mich dann durch alle Fettschichten kämpfen muss, um an die Wurzel des Übels zu gelangen. Bei Dicken heilt auch alles schlechter, aber wenn ich ihnen das sage, sind sie sauer und essen extra mehr.

Manchmal ist es auch besonders schlimm, wenn eine bestimmte Schwester assistiert, diese hat nur Augen für den männlichen Kollegen und gibt mir das falsche Besteck und ich werfe sie sofort raus und fordere Ersatz. Da bin ich viel härter als die männlichen Kollegen, überhaupt sind Frauen in diesem Beruf die reinsten Metzgerinnen und im Prinzip ist ein OP ja auch ein einziges Schlachthaus.

Der schönste Moment des Tages ist der, an dem ich einfach alles fallenlasse, die Kleidung, die Handschuhe, den Mundschutz und dann mich selbst. Der Kollege denkt, mir sei übel, weil wir während der Pausen immer nur vor Stunden geschmierte Brötchen bekommen, und fängt mich auf. Jedes Mal sage ich, dass ich so schlecht Blut sehen kann und jedes Mal fällt er drauf rein.

Zu Hause sehe ich mir Soaps mit gesunden Menschen an, niemals diese Arztserien, das ist alles Humbug, wenn jemand wüsste, welche Witze Ärzte während des Operierens reißen und überhaupt... kein Mensch würde sich mehr unters Messer legen.

So, jetzt fahre ich zu meiner Mutter. Sie hat heute Rollbraten gemacht, den immer ich aufschneiden muss. Ich kann es halt am besten.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Grauschimmel, mir fehlen weitere Worte. ;-)

Hallo Helena, danke für den Hinweis, ich habe das Unappetitlich eingebaut. Hast recht, für Chirurginnen kann nichts mehr abstoßend sein.

LG an alle, Doc
 

chrissygirl

Mitglied
Hallo,
Mir gefällt der Text sehr gut! Ich habe ihn gerne gelesen. Ich glaube, das was Grauschimmel gesagt hat, wäre auch noch gut gewesen, also mit der Füllung vom Rollbraten. :)
LG chrissy
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Vielen Dank Chrissygirl - der Rollbraten war gar nicht gefüllt, sondern pur zu genießen und es erforderte eben besondere Mühe, das Garn, mit dem er umwickelt war, durchzuschneiden - und ihn selbst in schön gleichmäßige Scheiben.
Für eine Frachfrau ein Klacks!
:)

LG doc
 

Ofterdingen

Mitglied
Hallo DocSchneider,

Wie die meisten Reaktionen zeigen, ist der Text sachlich in Ordnung, lädt zur Auseinmandersetzung über die dargestellten Sachverhalte ein, vermittelt auch ein wenig Human Touch durch Ich-Perspektive und tagebuchartige Beschreibung und Kommentierung von Vorgängen. Ein Sprachkunstwerk und ein literarisches Ereignis ist dies allerdings nicht geworden. Da hast du uns schon schönere Perlen auf den Tisch gelegt.

Auch von mir keine Punktwertung.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ofterdingen, ich stimme Dir vollumfänglich zu. Es gibt schönere Perlen von mir.
Ich freue mich aber, dass Du hier mein Tun verfolgst.
:)
LG Doc
 

anbas

Mitglied
Hallo Doc,

habe den Text gerne gelesen. Allerdings reicht es bei mir nicht für Begeisterungsstürme ;).

An einer Stelle solltest Du aus meiner Sicht noch etwas feilen:
Der Chef wollte damals am liebsten meine Gebärmutter im Reagenzglas haben, um sicherzugehen, dass ich keine Kinder kriege. Gut, ich habe keine gekriegt, aber vielleicht kriege ich noch einen Rappel und kriege doch welche.
Da "kriegt" es für mich ein wenig zu viel :D.

Liebe Grüße

Andreas
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Andreas, ich weiß, die Stelle ist leicht - überdreht, aber das ist extra: Alliteration!
Dank Dir fürs Lesen und lG,
Doc
 



 
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