Mondsüchtig sei sie sagt die Sonne

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ENachtigall

Mitglied
Mondsüchtig sei sie sagt die Sonne


und leckt so ungeniert dem Morgen
das Grauen aus den milchigen Augen
wie ein munterer Hund das alte Fahrrad
bepinkelt das schläft an seinem Lieblingsbaum
als sei die Welt nur Leberwurst und Klingeling
und nicht diese eingefleischte Schwärze
in meinen Pupillen um die ich weiß
so wahr ich Stimmenfühler spüre
weißestes Weiß gemalt habe
um diese Wendeltreppe ins Schattenreich
zu meistern nicht abzustürzen
wenn ich nach Spuren deines versunkenen
verwundeten Spiegelbildes suche - da
wo kein Gott mehr ein Auge drauf hat


© Elke Nachtigall
 
Liebe Elke,
das ist eines der besten Gedichte, die ich je von dir gelesen habe. Ungewöhnliche Bilder, der lakonische und doch Spannung erzeugende Ton...
Einfach großartig!
Liebe Grüße
Karl
 

ENachtigall

Mitglied
Mondsüchtig sei sie sagt die Sonne


und leckt so ungeniert dem Morgen
das Grauen aus den milchigen Augen
wie ein munterer Hund das alte Fahrrad
bepinkelt das schläft an seinem Lieblingsbaum
als sei die Welt nur Leberwurst und Klingeling
und nicht diese eingefleischte Schwärze
in meinen Pupillen um die ich weiß
so wahr ich Stimmenfühler spüre
weißestes Weiß gemalt habe
um diese Wendeltreppe ins Schattenreich
zu meistern nicht hinabzustürzen
wenn ich nach Spuren deines versunkenen
verwundeten Spiegelbildes suche - da
wo kein Gott mehr ein Auge drauf hat


© Elke Nachtigall
 
P

penelope

Gast
liebe elke,

wenn ich nach Spuren deines versunkenen/verwundeten Spiegelbildes suche - da/wo kein Gott mehr ein Auge drauf hat, finde ich dein wort: eine mehr als platonische idee gewinnt in scheinbar "profanen" bildern eine lyrische ausdruckskraft ohnegleichen, eine nacktheit, die weich ist und rein, dass sie so nahe herankommt an die nacktheit des herzens, weil, die wörter, die ich lese, einfach mit herzblut geschrieben sind...

dein treuester fan...

lg penelope
 

MarenS

Mitglied
Dieses Zeilen haben es in sich. Für mich laufen sie vor dem inneren Auge wie ein Film.
Besonders gefällt mir:
"...als sei die Welt nur Leberwurst und Klingeling"...heiterironischkopfschüttelnd

und dann:
"nicht hinabzustürzen
wenn ich nach Spuren deines versunkenen
verwundeten Spiegelbildes suche - da
wo kein Gott mehr ein Auge drauf hat"

Das geht an mein Innerstes!

Grüße von Maren
 

Joh

Mitglied
Hallo Elke,

ein Gedicht das von Humor in melanchloisch düstere Gedanken hinabgleitet. Wunderbar gedichtet und mehrmals gelesen gewinnt es immer mehr!

LG Johanna
 

ENachtigall

Mitglied
@ penelope,

gerade der Schlusssatz hat mich Überwindung gekostet, die Zweifel zu besiegen, ob ich das so sagen "darf". Wie gut, dass ich mich dazu entscheiden konnte.

Danke für deine Treue und fortwährend motivierenden Kommentare!

@ MarenS

der lyrische Impuls (Grundidee) steckt in der "eingefleischten Schwärze"; ein fürwahr schwerwiegender Brocken, finde ich. Um damit den Leser nicht zu erschlagen, bedarf es einer ausgleichenden Leichtigkeit, die ich vorangestellt habe. Die Gegensätze in Innen- und Außenwelt sollen sich ergänzen, ineinander greifen, fließen zwischen gründlich und profan.

Dein Kommentar freut mich sehr!

@ joh,

danke für dein großes Kompliment!

@ Hakan,

ein einziges Wort für eine ganze Begeisterung. Danke auch dir ganz herzlich!


Liebe Grüße von Elke
 

Druidencurt

Mitglied
und leckt so ungeniert dem Morgen
das Grauen aus den milchigen Augen

dabei muss der druide spontan nicht nur an seine
tätigkeit als taxizosse denken, vor 30 jahren.... :)

gut...gut....beeindruckende sucht....

MfG
DC
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Curt,

schön, dass ich dir einen verklärten Blick zurück bescheren konnte, mit meiner mondsüchtigen Sonne.

Ja ja, das Droschkenkutschertum; das waren noch Zeiten ... Bei mir liegt´s erst 20 Jahre zurück.

Mit leichtem Zucken im Gasfuß beste Grüße,

Elke
 

Druidencurt

Mitglied
hm, da müsste der druide glatt ein
neues Werk schreiben, denn unter Gereimtes findet
er keins mit dem Titel "Taxi---oder Droschke" :)...grins

mondsüchtige Grüße
DC
 

Ohrenschützer

Mitglied
Dieser Text hat mir im Zuge der Wahl zur Leselupen-Anthologie so gut gefallen, dass ich ihn nicht nur gewählt, sondern auch gelesen habe (was die Autorin zu meiner Freude auch goutiert).

Wie heißt es so schön in irgendeiner hohen hiesigen Bewertung: Ich habe *nichts* zu meckern. Es ist ein unglaublich mitreißender Text, wie ich finde und daher empfehlenswert, sich näher damit zu befassen, weil genug Tiefe vorhanden ist, in die man eintauchen kann. Oder wie heißt es auf der Podcast-Seite:

"Ein Text, dessen Zeilen mit unsichtbaren Fäden miteinander verwoben sind und sich schlussendlich wie eine homogene Kugel vor dem geistigen Auge des Lesers zusammensetzt."

Zu hören unter
http://ohrenschuetzer.podspot.de

Applaus der Autorin! Schönen Gruß,
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Elke,

ich muss ein wenig Essig in den Wein gießen: Die beiden Zeilen

so wahr ich Stimmenfühler spüre
weißestes Weiß gemalt habe
fallen ein wenig ab gegen den Rest des Gedichtes, insbesondere [red]Stimmenfühler[/red]. Davor liest es sich sehr gut, die Ideen fliessen ineinander. An dieser Stelle empfinde ich einen Bruch im Gedicht.

De gustibus ...

Ich hoffe, Dir ist recht, wenn ich meine - wohl nicht mehrheitsfähige - Meinung hier offen äußere :).

Liebe Grüße

Herbert
 

ENachtigall

Mitglied
Lieber Herbert,

es ist mir sogar sehr recht, deine Meinung zu hören; ich schätze dich sowohl als kritischen Leser und auch findigen wie fähigen Autoren.

Ich verstehe gut, dass die genannte Stelle als sperrig empfunden wird.
Nun möchte ich aber aus verschiedenen Gründen nicht auf sie verzichten, weil sie zum Einen das erste "weiß" in eine Doppeldeutigkeit bindet, zum Anderen eine erstaunliche Entdeckung in meinem vogelnamigen Leben markiert: bis dato wußte ich nämlich nicht, dass im wahren Leben eigentlich nur die Vogelmännchen "richtig" singen (Imponier- und Balzgehabe), wogegen die Weibchen sich mehr nur piepsend verständigen. Dafür verfügen Letztere aber über die besagten Stimmenfühler, um sich aus der Sängerschar den gewünschten Gatten herauszulauschen. Sie leben also ob ihrer Unscheinbarkeit in Federkleid und Stimmvirtuosität sicherer mit deutlich geschärften Sinnen.
Was das nun mit dem Gedicht zu tun hat? Es tangiert nur periphär. Aber wie so oft ist es ein schöner Schleichweg, Dinge sichtbar/bekannt zu machen, die man außer in verrückten Gedichten/Geschichten kaum irgendwo erfahren würde.

Und was wäre eine Lyrik, ohne unsere unverkennbar persönlichen Spuren? Vermutlich eine seltsam dichte Wortkonserve.

Danke, dass du mir durch deine berechtigte Skepsis Gelegenheit gegeben hast, mich zu den Stimmenfühlern zu äußern, Herbert.
Auch wenn die Stelle dadurch natürlich nicht weniger sperrig wird, ...

Herzliche Grüße,

Elke

PS: Tatsächlich glaube ich auch an die Existenz eines adäquaten Mechanismus bei uns (sensiblen) Menschen ;-)
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Elke,

_nach_ der Erklärung Deiner Gedanken zu Stimmenfühler kann ich ungefähr verstehen, warum dieser Begriff Dir wichtig ist.

Ich vermute allerdings, dass _vor_ der Erklärung die meisten gar nicht nach dem Sachverhalt, sondern nur dem lyrischen Klang nach dieses Wort gelesen und verstanden haben. Oder irre ich mich und alle außer mir wußten genau was gemeint war? ;)

Liebe Grüße

Herbert
 

ENachtigall

Mitglied
Lieber Herbert,

ich gebe dir recht in allen Punkten; wahrscheinlich wissen sowas nur Ornithologen, Voglierenbesitzer und Waldemar Hammel (den ich sehr schätze).
Manche Worte sind so unbekannt, dass wir sie glatt für erfunden halten.

Liebe Grüße,

Elke
 



 
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