Nachklänge.

3,70 Stern(e) 3 Bewertungen

LydiaG

Mitglied
Für einen, der (nur) einmal zu Besuch war.

Kalt ist es noch einmal geworden zum Frühlingsbeginn. Mein Atem vermischt sich silbern mit der Dämmerung, der Weg strengt mich heute mehr an als gewöhnlich, die Grippe steckt mir noch in den Knochen.
Ich habe deshalb, obwohl es schon dunkel wird, den Weg durch den Park gewählt, mir Eintritt verschafft mit dieser entschlossenen, raschen, klitzekleinen Hin- und Herbewegung, die das große Drehtor doch noch in Bewegung setzt, obwohl es für alle, die diesen Trick nicht kennen, schon seit über einer Stunde verschlossen ist.

Schnell die Allee entlang zum Hauptausgang unterhalb des Schloss Favorite, das Herz klopft mir im Hals; ich liebe dieses gerade noch beherrschbare Grausen, das mich angesichts der geheimnisvollen Laute aus der herabsinkenden Nacht, der schimmernden Augen halbwilder Tiere, der Silhouetten der noch kahlen, mächtigen, alten Bäume anfliegt und sich erst im Licht der breiten Auffahrt wieder legen wird; fast zu schnell kann ich die Laternen sehen und muss im gleichen Augenblick lachen über ein keckerndes Eichhörnchen, das noch viel schneller als ich zum Ausgang stürmt. Hinaus lassen sie einen immer, das Tor aufzudrücken bringt mich allerdings noch mehr ins Schwitzen. Schwer atmend erreiche ich die B27, die sechsspurig die Stadt in zwei Hälften zerschneidet.

Hinter mir liegen sie, die kleinen, hell erleuchteten Häuser am Hang, zwischen ihnen und mir nun der Park, vor mir am Horizont die schlimmste Bausünde der Stadt, himmelhoch ragend und scheußlich, unser allseits gehasstes Marstall-Center. In seine Richtung zieht es mich, nur ein Glas Wein in einer der Kneipen, danach vielleicht noch ein Spätfilm im Programmkino nach all der erzwungenen Ruhe und Fürsorge, dem Nichtstun und Elendsein der letzten Tage. Ich bin früher so oft ins Kino gegangen, inzwischen sagen mir die in den Programmzeitungen besprochenen Filme nichts mehr, meine Rippen schmerzen noch vom Husten, aber es wird schon gehen. Die Scheinwerfer der Autos blenden mich, zumal sie sich im nassen Asphalt spiegeln; ich könnte diesen breiten, ruhelosen Strom von Lichtern mit einem Knopfdruck an der Fußgängerampel zum Stillstand zwingen, aber mir ist nicht danach. Unangenehm ist er mir vielmehr, der Gedanke an Augenpaare im Dunkeln, die mich beobachten, wie ich im Schneeregen vor ihnen die Straße überquere, eilig und bemüht, trotzdem elegant zu wirken - nein, ich nehme lieber die Unterführung.

Eigentlich nehme ich jedes Mal die Unterführung, trotz der unwirklichen Beleuchtung und des allgegenwärtigen Geruchs von Urin und Hundekot. Ich vermeide es wie immer, mich am verrosteten Geländer festzuhalten, obwohl die Stufen glatt zu sein scheinen. Vorsichtig, unsicher mache ich einen Schritt nach dem anderen. Hier unten sind wir zusammen gewesen, aber weiter in Richtung Park gingen wir nicht, vielmehr kehrten wir an dieser Stelle um und nahmen den steilen Weg unterhalb des Einkaufszentrums zurück in die Stadt, ich erinnere mich noch an den vielen Schnee, der in dieser Nacht fiel, an deine langen Beine und deine großen, schnellen Schritte, es war gar nicht so einfach, mit dir mitzuhalten, bis du endlich deinen Arm um mich gelegt hast.

Der einzige, vorsichtige Kuss auf dem Marktplatz, am Brunnen, ja – das war kitschig, aber das störte mich nicht. Im Übrigen habe ich auf diesem Marktplatz vor und nach deinem Besuch andere Männer geküsst, danach allerdings nur noch meinen Mann, der mir damals gerade half, die Umzugskartons zu packen. Vielleicht bist du einfach einige Wochen zu spät vorbei gekommen, vielleicht war unser gemeinsamer Abend und vor allem der trunkene Spaziergang nur ein letztes Aufbäumen angesichts einer längst getroffenen Entscheidung.

Und doch sehe ich dich noch immer hier, dein jungenhaftes Gesicht mit der kleinen Brille, deinen schmalen, erstaunlich weichen Mund; und ich spüre sie noch, die Wärme dieser an sich eiskalten Nacht. In dieser Unterführung ist sie noch, diese Ahnung um das, was wir hätten sein können, und trotz allen Lärms von der großen Straße oben wird es hier unten in mir still.
 

Joh

Mitglied
Hallo Lydia

Flüssig geschrieben ist Deine Geschichte, ich mag die Sprache, auch schön wie Du die Geschichte innerhalb des kurzen Spazierganges entwickelst. Doch die deutlichen Hinweise auf die Krankheit der Frau empfinde ich als überflüssig, sie tragen nicht viel zur Handlung bei und hinterlassen bei mir die Frage, warum Du sie erwähnt hast.

ein Gruß an Dich, Johanna
 

LydiaG

Mitglied
Für einen, der (nur) einmal zu Besuch war.

Kalt ist es noch einmal geworden zum Frühlingsbeginn. Mein Atem vermischt sich silbern mit der Dämmerung. Ich habe den Weg durch den Park gewählt, mir Eintritt verschafft mit dieser entschlossenen, raschen, klitzekleinen Hin- und Herbewegung, die das große Drehtor doch noch in Bewegung setzt, obwohl es für alle, die diesen Trick nicht kennen, schon seit über einer Stunde verschlossen ist.
Schnell laufe ich die Allee entlang zum Hauptausgang unterhalb des Schloss Favorite, das Herz klopft mir dabei im Hals; ich liebe die gerade noch beherrschbare Furcht, die mich angesichts der geheimnisvollen Laute aus der herabsinkenden Nacht, der schimmernden Augen halbwilder Tiere, der Silhouetten der noch kahlen, mächtigen, alten Bäume anfliegt und sich erst im Licht der breiten Auffahrt wieder legen wird; fast zu schnell kann ich die Laternen sehen und muss im gleichen Augenblick lachen über ein keckerndes Eichhörnchen, das noch viel schneller als ich zum Ausgang stürmt. Hinaus lassen sie einen immer, das Tor aufzudrücken bringt mich allerdings noch mehr ins Schwitzen. Schwer atmend erreiche ich die B27, die sechsspurig die Stadt in zwei Hälften zerschneidet.

Hinter mir liegen sie, die kleinen, hell erleuchteten Häuser am Hang, zwischen ihnen und mir nun der Park, vor mir am Horizont die schlimmste Bausünde der Stadt, himmelhoch ragend und scheußlich, unser allseits gehasstes Marstall-Center. In seine Richtung zieht es mich, nur ein Glas Wein in einer der Kneipen, danach vielleicht noch ein Spätfilm. Ich bin früher gerne ins Kino gegangen, inzwischen sagen mir die in den Programmzeitungen besprochenen Filme nichts mehr. Die Scheinwerfer der Autos blenden mich, zumal sie sich im nassen Asphalt spiegeln; ich könnte diesen breiten, ruhelosen Strom von Lichtern mit einem Knopfdruck an der Fußgängerampel zum Stillstand zwingen, aber mir ist nicht danach. Unangenehm ist er mir vielmehr, der Gedanke an Augenpaare im Dunkeln, die mich beobachten, wie ich im Schneeregen vor ihnen die Straße überquere, eilig und bemüht, trotzdem elegant zu wirken - nein, ich nehme lieber die Unterführung.

Eigentlich nehme ich jedes Mal die Unterführung, trotz der unwirklichen Beleuchtung und des allgegenwärtigen Geruchs von Urin und Hundekot. Ich vermeide es wie immer, mich am verrosteten Geländer festzuhalten, obwohl die Stufen glatt zu sein scheinen. Vorsichtig, unsicher mache ich einen Schritt nach dem anderen. Hier unten sind wir zusammen gewesen, aber weiter in Richtung Park gingen wir nicht, vielmehr kehrten wir an dieser Stelle um und nahmen den steilen Weg unterhalb des Einkaufszentrums zurück in die Stadt, ich erinnere mich an den vielen Schnee, der in dieser Nacht fiel, an deine langen Beine und deine großen, schnellen Schritte, es war gar nicht so einfach, mit dir mitzuhalten, bis du endlich deinen Arm um mich gelegt hast.

Der erste, vorsichtige Kuss auf dem Marktplatz, am Brunnen. Kitschig war es, aber das störte mich nicht.
Im Übrigen habe ich auf diesem Marktplatz vor und nach deinem Besuch andere Männer geküsst, danach allerdings nur noch den einen Mann, wegen dem ich einige Wochen später, im Frühling, die Umzugskartons gepackt habe. Vielleicht bist du einfach einige Wochen zu spät vorbei gekommen, vielleicht war unser gemeinsamer Abend und vor allem der trunkene Spaziergang nur ein letztes Aufbäumen angesichts einer längst getroffenen Entscheidung.

Und doch sehe ich dich noch immer hier, dein jungenhaftes Gesicht mit der kleinen Brille, deinen schmalen, erstaunlich weichen Mund; und ich spüre noch deinen schlanken, fast mageren Körper, die Wärme dieser an sich eiskalten Nacht. In dieser Unterführung ist sie noch, diese Ahnung um das, was wir hätten sein können, und trotz allen Lärms von der großen Straße oben wird es hier unten in mir still.
 

LydiaG

Mitglied
@Joh

als ich gestern noch einmal über die Geschichte las, dachte ich ebenso wie du, dass die Wehleidigkeit der Protagonistin für den Fortgang nichts bringt.

Weg damit - und danke dir für deinen Kommentar!
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Lydia,

ein ansprechender Text, der mir sehr gut gefallen hat. Hinsichtlich Rechtschreibung und Grammatik top, da ist mir absolut nichts aufgefallen. Vielleicht ein paar Neuzeilen mehr, dann, wenn etwas Beschreibendes durch Handelndes abgelöst wird - für den besseren Lesefluss. Anbei ein paar Vorschläge. Vielleicht kannst Du das eine oder andere verwenden:
(Cut=Neue Zeile, rot=Kommentar, blau=Vorschlag)

Kalt ist es noch einmal geworden zum Frühlingsbeginn. [red](Cut) [/red]Mein Atem vermischt sich silbern mit der Dämmerung. Ich habe den Weg durch den Park gewählt, mir Eintritt verschafft [strike]mit dieser entschlossenen, raschen, klitzekleinen Hin- und Herbewegung,[/strike] [blue]durch einen entschlossenen Ruck am Tor[/blue] [strike]die das große Drehtor doch noch in Bewegung setzt,[/strike] obwohl es für alle, die diesen Trick nicht kennen, schon seit über einer Stunde verschlossen ist.
[red](Nur Idee, weil mir der Satz so lang vorkam)[/red]

[strike]Schnell laufe ich[/strike] [red](Laufe impliziert bereits schnell)[/red]
[blue]Ich laufe[/blue] die Allee entlang zum Hauptausgang unterhalb des Schloss[blue]es[/blue] Favorite, das Herz klopft mir dabei [strike]im[/strike] [blue]bis zum[/blue] Hals; ich liebe die gerade noch beherrschbare Furcht, die mich angesichts der geheimnisvollen Laute aus der herabsinkenden Nacht [red](angesichts von Lauten - das geht nicht[/red]), der schimmernden Augen halbwilder Tiere, der Silhouetten der noch kahlen, mächtigen, alten Bäume anfliegt und sich erst im Licht der breiten Auffahrt wieder legen wird; fast zu schnell kann ich die Laternen sehen und muss im gleichen Augenblick lachen über ein keckerndes Eichhörnchen [red](Eichhörnchen schnalzen oder brummen, Jungtiere pfeifen), [/red]das noch viel schneller als ich zum Ausgang stürmt. [blue](Cut)[/blue]
Hinaus lassen sie einen immer, das Tor aufzudrücken bringt mich allerdings noch mehr ins Schwitzen. Schwer atmend erreiche ich die B27, die sechsspurig die Stadt in zwei Hälften zerschneidet.

Hinter mir liegen sie, die kleinen, hell erleuchteten Häuser am Hang, zwischen ihnen und mir nun der Park, vor mir am Horizont die schlimmste Bausünde der Stadt, himmelhoch ragend und scheußlich, unser allseits gehasstes Marstall-Center. In [strike]seine[/strike] [blue]dessen[/blue] Richtung zieht es mich, nur ein Glas Wein in einer der Kneipen, danach vielleicht noch ein Spätfilm.[blue] (Cut)[/blue]
Ich bin früher gerne ins Kino gegangen, inzwischen sagen mir die in den Programmzeitungen [strike]besprochenen [/strike][blue]angebotenen[/blue] Filme nichts mehr. [blue](Cut)[/blue]
Die Scheinwerfer der Autos blenden [strike]mich[/strike], [strike]zumal[/strike] [blue]spiegeln[/blue] [strike]sie[/strike] sich im nassen Asphalt [strike]spiegeln[/strike]; ich könnte diesen breiten, ruhelosen Strom von Lichtern mit einem Knopfdruck an der Fußgängerampel zum Stillstand zwingen, aber mir ist nicht danach. Unangenehm ist [strike]er[/strike] mir vielmehr[blue][strike],[/strike][/blue] der Gedanke an Augenpaare im Dunkeln, die [strike]mich[/strike] beobachten [blue]könnten[/blue], wie ich im Schneeregen [strike]vor ihnen [/strike]die Straße überquere, eilig und bemüht, trotzdem elegant zu wirken - nein, ich nehme lieber die Unterführung.

Eigentlich nehme ich jedes Mal die Unterführung, trotz der unwirklichen Beleuchtung und des allgegenwärtigen Geruchs von Urin und Hundekot. [strike]Ich vermeide es wie immer[/strike] [blue]Wie immer vermeide ich es[/blue], mich am [strike]verrosteten[/strike] [blue]rostigen[/blue] Geländer festzuhalten, obwohl die Stufen glatt [strike]zu sein scheinen[/strike] [blue]sein könnten[/blue]. Vorsichtig, unsicher mache ich einen Schritt nach dem anderen. [blue](Cut)[/blue]
Hier unten sind wir zusammen gewesen, aber weiter in Richtung Park gingen wir [strike]nicht[/strike] [blue]nie[/blue], vielmehr kehrten wir [strike]an dieser Stelle[/strike] [blue]immer[/blue] um und nahmen den steilen Weg unterhalb des Einkaufszentrums zurück in die Stadt, ich erinnere mich an den vielen Schnee, der in dieser Nacht fiel, an deine langen Beine und deine großen, schnellen Schritte, es war gar nicht so einfach, mit dir mitzuhalten, bis du endlich deinen Arm um mich gelegt hast.

Der erste, vorsichtige Kuss auf dem Marktplatz, am Brunnen. Kitschig war es, aber das störte mich nicht.
Im Übrigen habe ich auf diesem Marktplatz vor und nach deinem Besuch andere Männer geküsst, danach allerdings nur noch den einen Mann, wegen dem ich einige Wochen später, im Frühling, die Umzugskartons gepackt habe. [blue](Cut)[/blue]
Vielleicht bist du einfach einige Wochen zu spät vorbei gekommen, vielleicht war unser gemeinsamer Abend und vor allem der trunkene Spaziergang nur ein letztes Aufbäumen angesichts einer längst getroffenen Entscheidung.

Und doch sehe ich dich noch immer hier, dein jungenhaftes Gesicht mit der kleinen Brille, deinen schmalen, erstaunlich weichen Mund; und ich spüre noch deinen schlanken, fast mageren Körper, die Wärme dieser an sich eiskalten Nacht. [blue](Cut)[/blue]
In dieser Unterführung ist sie noch, diese Ahnung um das, was wir hätten sein können, und trotz allen Lärms von der großen Straße oben wird es hier unten in mir still.

So, fertig. Es ist Dein Text und er gefällt mir auch so schon sehr gut.
Wenn meine Vorschläge unberechtigt sind, dann ist es auch okay. Von mir eine dicke "8".

Man liest sich,

liebe Grüße,KaGeb
 

LydiaG

Mitglied
Für einen, der (nur) einmal zu Besuch war.

Kalt ist es noch einmal geworden zum Frühlingsbeginn.
Mein Atem vermischt sich silbern mit der Dämmerung.
Ich habe den Weg durch den Park gewählt, mir Eintritt verschafft mit dieser entschlossenen, raschen, klitzekleinen Hin- und Herbewegung, die das große Drehtor doch noch in Bewegung setzt, obwohl es für alle, die diesen Trick nicht kennen, schon seit über einer Stunde verschlossen ist.

Ich laufe die Allee entlang zum Hauptausgang unterhalb des Schlosses Favorite, das Herz klopft mir dabei bis zum Hals; ich liebe dieses gerade noch beherrschbare Grausen, das mich angesichts der drohenden Dunkelheit mit all ihren fremden Geräuschen anfliegt und sich erst im Licht der breiten Auffahrt wieder legen wird; fast zu schnell kann ich die Laternen sehen und muss im gleichen Augenblick lachen über ein erschrecktes Eichhörnchen, das noch viel schneller als ich zum Ausgang stürmt. Hinaus lassen sie einen immer, das Tor aufzudrücken bringt mich allerdings noch mehr ins Schwitzen. Schwer atmend erreiche ich die B27, die sechsspurig die Stadt in zwei Hälften zerschneidet.

Hinter mir liegen sie, die kleinen, hell erleuchteten Häuser am Hang, zwischen ihnen und mir nun der Park, vor mir am Horizont die schlimmste Bausünde der Stadt, himmelhoch ragend und scheußlich, unser allseits gehasstes Marstall-Center. In diese Richtung zieht es mich, nur ein Glas Wein in einer der Kneipen, danach vielleicht noch ein Spätfilm. Ich bin früher gerne ins Kino gegangen, inzwischen sagen mir die in den Programmzeitungen angebotenen Filme nichts mehr. Die Scheinwerfer der Autos blenden, spiegeln sich im nassen Asphalt; ich könnte diesen breiten, ruhelosen Strom von Lichtern mit einem Knopfdruck an der Fußgängerampel zum Stillstand zwingen, aber mir ist nicht danach. Unangenehm ist mir vielmehr der Gedanke an Augenpaare im Dunkeln, die beobachten könnten, wie ich im Schneeregen die Straße überquere, eilig und bemüht, trotzdem elegant zu wirken - nein, ich nehme lieber die Unterführung.

Eigentlich nehme ich jedes Mal die Unterführung, trotz der unwirklichen Beleuchtung und des allgegenwärtigen Geruchs von Urin und Hundekot. Wie immer vermeide ich es, mich am rostigen Geländer festzuhalten, obwohl die Stufen glatt zu sein scheinen. Vorsichtig, unsicher mache ich einen Schritt nach dem anderen. Hier unten sind wir zusammen gewesen, aber weiter in Richtung Park gingen wir nicht, vielmehr kehrten wir an dieser Stelle um und nahmen den steilen Weg unterhalb des Einkaufszentrums zurück in die Stadt, ich erinnere mich an den vielen Schnee, der in dieser Nacht fiel, an deine langen Beine und deine großen, schnellen Schritte, es war gar nicht so einfach, mit dir mitzuhalten, bis du endlich deinen Arm um mich gelegt hast.

Der erste, vorsichtige Kuss auf dem Marktplatz, am Brunnen. Kitschig war es, aber das störte mich nicht.
Im Übrigen habe ich auf diesem Marktplatz vor und nach deinem Besuch andere Männer geküsst, danach allerdings nur noch den einen Mann, wegen dem ich einige Wochen später, im Frühling, die Umzugskartons gepackt habe. Vielleicht bist du einfach einige Wochen zu spät vorbei gekommen, vielleicht war unser gemeinsamer Abend und vor allem der trunkene Spaziergang nur ein letztes Aufbäumen angesichts einer längst getroffenen Entscheidung.

Und doch sehe ich dich noch immer hier, dein jungenhaftes Gesicht mit der kleinen Brille, deinen schmalen, erstaunlich weichen Mund; und ich spüre noch deinen schlanken, fast mageren Körper, die Wärme dieser an sich eiskalten Nacht. In dieser Unterführung ist sie noch, diese Ahnung um das, was wir hätten sein können, und trotz allen Lärms von der großen Straße oben wird es hier unten in mir still.
 

LydiaG

Mitglied
@KaGeb

auch dir vielen Dank - für die Punkte, aber vor allem für die Arbeit, die du dir gemacht hast. Einiges habe ich (gerne) übernommen. Grüße an dich!
 

Pola Lilith

Mitglied
Hallo Lydia,

hübsch geschrieben, fragil, ohne sich mit Effekthascherei in den Vordergrund zu schieben.

Gefällt mir - weiter so !

Gruß, Pola
 



 
Oben Unten