Nachtmarsch

Odilo Plank

Mitglied
Es ist Nacht; die Nacht der Nächte, so sagt man.
Damals war auch Nacht, kalt, minus fünfzehn. Straßenmarsch war befohlen, mit Karte und Kompass, 35 km.
Ich führte eine Gruppe von acht Mann, war allein mit ihnen. Der Schnee lag kniehoch. Auf unserem Rücken leichtes Sturmgepäck; die Knarre quer über dem Bauch oder nach der Art des Revierförsters, mir war es egal. Ich zog die Handschuhe aus. Die verdammte Karte vor mir, viel zu sperrig, ließ mir keine Wahl. Ich bildete mir etwas ein in der Kunst des Lesens. Zunächst schien es mir leicht. Wir verließen das Dorf, in dem man uns abgesetzt hatte. Keine Laterne leuchtete mehr. Der Mond, eine schmale Sichel, der klare kalte Sternenhimmel über uns. Ich schnarrte meine Befehle, die Männer stapften brav hinter mir her. Natürlich hatte ich die Route im Kopf. Wenn man zu wissen glaubt, wo es lang geht, wirken die kahlen Bäume vertraut, liebt man die Äcker im fahlen Licht. Da war auch schon die Straßenkreuzung, die ich mir eingeprägt hatte. Nach rechts! Da kam mir diese geniale Idee. Über diese Hügel da könnten wir abkürzen. Ich tippte geübt die zwei Zentimeter ab, je zwei auf der Karte, ein Kilometer in der Wirklichkeit. Jawohl, Leute, wir kürzen ab. Wir werden die ersten sein. Das ließen die sich nicht zweimal sagen. Wir stolperten einen Hohlweg hoch, umsäumt von Schlehenbüschen. Es wurde finster in mir. Die Taschenlampen zeigten Schneekuppen und schwarze Sträucher. Endlich waren wir oben. Nun musste bald die Straße kommen, die ich gleichsam als Siegesbeute schon vor mir sah.
Aber sie kam nicht. Mich überfiel die Angst und sprang wie ein Ungeheuer zum Nächsten. Der ließ sich fallen, lag vor mir im Schnee, als wollte er so begraben werden. Die plötzliche Wut verdrängte in mir alle anderen Gefühle. Hoch, schrie ich und schlug ihm den Gewehrkolben ins Kreuz. Wir packten ihn und zogen ihn mit.
Es ist nicht mehr weit, behauptete ich im Befehlston. Auf der Höhe pfiff uns der Wind Leben um die Ohren.
Da stieg nicht allzu weit die rote Leuchtrakete in die Luft.
Diese Nacht hat jene andere in mir aufgerufen, mit dem Satz:
Du zerbrichst den Stock in der Hand des Treibers.
 

Odilo Plank

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Es ist Nacht; die Nacht der Nächte, so sagt man.
Damals war auch Nacht, kalt, minus fünfzehn. Straßenmarsch war befohlen, mit Karte und Kompass, 35 km.
Ich führte eine Gruppe von acht Mann, war allein mit ihnen. Der Schnee lag kniehoch. Auf unserem Rücken leichtes Sturmgepäck; die Knarre quer über dem Bauch oder nach der Art des Revierförsters, mir war es egal. Ich zog die Handschuhe aus. Die verdammte Karte vor mir, viel zu sperrig, ließ mir keine Wahl. Ich bildete mir etwas ein in der Kunst des Lesens. Zunächst schien es mir leicht. Wir verließen das Dorf, in dem man uns abgesetzt hatte. Keine Laterne leuchtete mehr. Der Mond, eine schmale Sichel, der klare kalte Sternenhimmel über uns. Ich schnarrte meine Befehle, die Männer stapften brav hinter mir her. Natürlich hatte ich die Route im Kopf. Wenn man zu wissen glaubt, wo es lang geht, wirken die kahlen Bäume vertraut, liebt man die Äcker im fahlen Licht. Da war auch schon die Straßenkreuzung, die ich mir eingeprägt hatte. Nach rechts! Da kam mir diese geniale Idee. Über diese Hügel da könnten wir abkürzen. Ich tippte geübt die zwei Zentimeter ab, je zwei auf der Karte, ein Kilometer in der Wirklichkeit. Jawohl, Leute, wir kürzen ab. Wir werden die ersten sein. Das ließen die sich nicht zweimal sagen. Wir stolperten einen Hohlweg hoch, umsäumt von Schlehenbüschen. Es wurde finster in mir. Die Taschenlampen zeigten Schneekuppen und schwarze Sträucher. Endlich waren wir oben. Nun musste bald die Straße kommen, die ich gleichsam als Siegesbeute schon vor mir sah.
Aber sie kam nicht. Mich überfiel die Angst und sprang wie ein Ungeheuer zum Nächsten. Der ließ sich fallen, lag vor mir im Schnee, als wollte er so begraben werden. Die plötzliche Wut verdrängte in mir alle anderen Gefühle. Hoch, schrie ich und schlug ihm den Gewehrkolben ins Kreuz. Wir packten ihn und zogen ihn mit.
Es ist nicht mehr weit, behauptete ich im Befehlston. Auf der Höhe pfiff uns der Wind Leben um die Ohren.
Da stieg nicht allzu weit die rote Leuchtrakete in die Luft.
Diese Nacht hat jene andere in mir aufgerufen:
Du zerbrichst den Stock in der Hand des Treibers.
 

Odilo Plank

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Es ist Nacht; die Nacht der Nächte, so sagt man.
Damals war auch Nacht, kalt, minus fünfzehn. Straßenmarsch war befohlen, mit Karte und Kompass, 35 km.
Ich führte eine Gruppe von acht Mann, war allein mit ihnen. Der Schnee lag kniehoch. Auf unserem Rücken leichtes Sturmgepäck; die Knarre quer über dem Bauch oder nach der Art des Revierförsters, mir war es egal. Ich zog die Handschuhe aus. Die verdammte Karte vor mir, viel zu sperrig, ließ mir keine Wahl. Ich bildete mir etwas ein in der Kunst des Lesens. Zunächst schien es mir leicht. Wir verließen das Dorf, in dem man uns abgesetzt hatte. Keine Laterne leuchtete mehr. Der Mond, eine schmale Sichel, der klare kalte Sternenhimmel über uns. Ich schnarrte meine Befehle, die Männer stapften brav hinter mir her. Natürlich hatte ich die Route im Kopf. Wenn man zu wissen glaubt, wo es lang geht, wirken die kahlen Bäume vertraut, liebt man die Äcker im fahlen Licht. Da war auch schon die Straßenkreuzung, die ich mir eingeprägt hatte. Nach rechts! Da kam mir diese geniale Idee. Über die Hügel da könnten wir abkürzen. Ich tippte geübt die zwei Zentimeter ab, je zwei auf der Karte, ein Kilometer in der Wirklichkeit. Jawohl, Leute, wir kürzen ab. Wir werden die ersten sein. Das ließen die sich nicht zweimal sagen. Wir stolperten einen Hohlweg hoch, umsäumt von Schlehenbüschen. Es wurde finster in mir. Die Taschenlampen zeigten Schneekuppen und schwarze Sträucher. Endlich waren wir oben. Nun musste bald die Straße kommen, die ich gleichsam als Siegesbeute schon vor mir sah.
Aber sie kam nicht. Mich überfiel die Angst und sprang wie ein Ungeheuer zum Nächsten. Der ließ sich fallen, lag vor mir im Schnee, als wollte er so begraben werden. Die plötzliche Wut verdrängte in mir alle anderen Gefühle. Hoch, schrie ich und schlug ihm den Gewehrkolben ins Kreuz. Wir packten ihn und zogen ihn mit.
Es ist nicht mehr weit, behauptete ich im Befehlston. Auf der Höhe pfiff uns der Wind Leben um die Ohren.
Da stieg nicht allzu weit die rote Leuchtrakete in die Luft.
Diese Nacht hat jene andere in mir aufgerufen:
Du zerbrichst den Stock in der Hand des Treibers.
 



 
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