Insel mit Palme
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Nächtlicher Verlust
Es begann in der Nacht, in der meine Mutter verstarb. Ich kann mich nicht mehr genau an den Wochentag erinnern, glaube jedoch, dass es eine laue Samstagsommernacht gewesen ist. Wind durchfuhr die Baumkronen der Eschen Ecke Ullmer- Liebichstraße, als erstes Indiz eines drohenden Gewitters. Ich kniete vor dem Anrufbeantworter auf dem Boden meiner spärlich beleuchten Wohnung. Grüner, alter, zu oft schon durchnäßter, streng riechender Teppichboden. Wahrscheinlich angeschimmelt. Wer weiß das schon? Gewöhnlich begegnete mir der alte Anrufbeantworter jede Nacht auf meinen sehnsüchtigen Blick hin, nach meiner allnächtlichen Heimkehr, mit einer Null auf seinem Anruferdisplay. Dieses Nacht war eine rot aufglimmende Eins darauf zu erkennen.
Eine Eins. Bestimmt der erste Anruf seit einer Woche oder länger. Ich drückte die Replaytaste und wartete gespannt. Auf dem Anrufbeantworter war ein Rauschen zu hören, das sich mit dem Rauschen des Windes, der draußen durch die Baumkronen fuhr, in einer herrlichen Harmonie paarte. Ich hätte diesem Spiel sehr lange gedankenverloren lauschen können, wurde dann jedoch durch die Stimme meines Vaters in die Realität katapultiert. Mein Vater?? Ich hatte seine Stimme bestimmt schon ein halbes Jahr nicht mehr wahrgenommen und ich vermisste sie genau so stark wie Herpes. Mein Vater klang schwer, bedrückt, ja fast ein wenig tot. Dieser Bruchteil Tod stand seiner Stimme sehr gut, machte sie irgendwie.....? Ja wie soll ich es beschreiben? Sympathischer? Ja. Dieses Wort ist angebracht. Sie machte die Stimme des großen und erfolgprotzenden Hektikers unaufdringlich sympathisch. Ich hätte mich fast mit dieser Stimme anfreunden können, tat es aber nicht.
Mein Vater sprach: „Michael? .... Michael bist du da? Hier ist dein Vater. .... Michael nimm bitte ab – es ist wichtig? ..... Michael? ..... Ich habe ein schlechte Nachricht für dich. Eine sehr Schlechte! Michael? Deine Mutter ist vor drei Stunden im Krankenhaus aufgrund der schweren Folgen ihres Schlaganfalls letzter Woche gestorben. Hörst du?“
Klick. Er hatte aufgelegt. Ich kniete auf dem grünen Boden vor dem Anrufbeantworter und überlegte, warum ich nicht traurig war. Ich überlegte die ganze Nacht hindurch. Immerhin war meine Frau Mutter „nach schwerem Kampf“, wie man es später der Todesanzeige des Tagblattes entnehmen konnte, verstorben. Und dennoch nicht einmal ein Anflug von Traurigkeit meinerseits.
Wo war meine Trauer über diesen Verlust? Meine Mutter war verstorben – und ich? Mir war so langweilig wie eh und je.
Mein Finger glitt sanft über das kalte Plastikgehäuse des Anrufbeantworters von der Replay- auf die Resettase. Ein Klick später und Vater war weg – für immer. Wieder durchfuhr ein Windstoß die Baumkronen außerhalb meiner Wohnung.
Seit dieser Nacht empfinde ich keine Trauer mehr. Vielleicht hatte ich zuviel von ihr, als hätte ich zuviel Kaugummikugeln für 10 Cent genossen und würde den Geschmack jetzt verabscheuen, als hätte ich meinen wohlwollenden Gefallen an ihr verloren und wäre ihr überdrüssig geworden.
Meine Traurigkeit sprudelte in dieser Nacht aus meinen Hautporen. Perlte über meinen Körper. Vereinigte sich in keine Güsse, die im stillen Zickzack über mein Gesicht, meinen Rücken, meine Arme und Beine flossen, um dann von meinem Körper zu tropfen und im keimgeschwängerten grünen Teppichboden zu versickern.
Was übrig blieb war ein Gefühl der Taubheit. Sonst nichts.
Es begann in der Nacht, in der meine Mutter verstarb. Ich kann mich nicht mehr genau an den Wochentag erinnern, glaube jedoch, dass es eine laue Samstagsommernacht gewesen ist. Wind durchfuhr die Baumkronen der Eschen Ecke Ullmer- Liebichstraße, als erstes Indiz eines drohenden Gewitters. Ich kniete vor dem Anrufbeantworter auf dem Boden meiner spärlich beleuchten Wohnung. Grüner, alter, zu oft schon durchnäßter, streng riechender Teppichboden. Wahrscheinlich angeschimmelt. Wer weiß das schon? Gewöhnlich begegnete mir der alte Anrufbeantworter jede Nacht auf meinen sehnsüchtigen Blick hin, nach meiner allnächtlichen Heimkehr, mit einer Null auf seinem Anruferdisplay. Dieses Nacht war eine rot aufglimmende Eins darauf zu erkennen.
Eine Eins. Bestimmt der erste Anruf seit einer Woche oder länger. Ich drückte die Replaytaste und wartete gespannt. Auf dem Anrufbeantworter war ein Rauschen zu hören, das sich mit dem Rauschen des Windes, der draußen durch die Baumkronen fuhr, in einer herrlichen Harmonie paarte. Ich hätte diesem Spiel sehr lange gedankenverloren lauschen können, wurde dann jedoch durch die Stimme meines Vaters in die Realität katapultiert. Mein Vater?? Ich hatte seine Stimme bestimmt schon ein halbes Jahr nicht mehr wahrgenommen und ich vermisste sie genau so stark wie Herpes. Mein Vater klang schwer, bedrückt, ja fast ein wenig tot. Dieser Bruchteil Tod stand seiner Stimme sehr gut, machte sie irgendwie.....? Ja wie soll ich es beschreiben? Sympathischer? Ja. Dieses Wort ist angebracht. Sie machte die Stimme des großen und erfolgprotzenden Hektikers unaufdringlich sympathisch. Ich hätte mich fast mit dieser Stimme anfreunden können, tat es aber nicht.
Mein Vater sprach: „Michael? .... Michael bist du da? Hier ist dein Vater. .... Michael nimm bitte ab – es ist wichtig? ..... Michael? ..... Ich habe ein schlechte Nachricht für dich. Eine sehr Schlechte! Michael? Deine Mutter ist vor drei Stunden im Krankenhaus aufgrund der schweren Folgen ihres Schlaganfalls letzter Woche gestorben. Hörst du?“
Klick. Er hatte aufgelegt. Ich kniete auf dem grünen Boden vor dem Anrufbeantworter und überlegte, warum ich nicht traurig war. Ich überlegte die ganze Nacht hindurch. Immerhin war meine Frau Mutter „nach schwerem Kampf“, wie man es später der Todesanzeige des Tagblattes entnehmen konnte, verstorben. Und dennoch nicht einmal ein Anflug von Traurigkeit meinerseits.
Wo war meine Trauer über diesen Verlust? Meine Mutter war verstorben – und ich? Mir war so langweilig wie eh und je.
Mein Finger glitt sanft über das kalte Plastikgehäuse des Anrufbeantworters von der Replay- auf die Resettase. Ein Klick später und Vater war weg – für immer. Wieder durchfuhr ein Windstoß die Baumkronen außerhalb meiner Wohnung.
Seit dieser Nacht empfinde ich keine Trauer mehr. Vielleicht hatte ich zuviel von ihr, als hätte ich zuviel Kaugummikugeln für 10 Cent genossen und würde den Geschmack jetzt verabscheuen, als hätte ich meinen wohlwollenden Gefallen an ihr verloren und wäre ihr überdrüssig geworden.
Meine Traurigkeit sprudelte in dieser Nacht aus meinen Hautporen. Perlte über meinen Körper. Vereinigte sich in keine Güsse, die im stillen Zickzack über mein Gesicht, meinen Rücken, meine Arme und Beine flossen, um dann von meinem Körper zu tropfen und im keimgeschwängerten grünen Teppichboden zu versickern.
Was übrig blieb war ein Gefühl der Taubheit. Sonst nichts.