Noch eine Geschichte von Persol

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Kabelkolb

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Noch eine Geschichte von Persol

Persol sitzt in der Mensa. Während die Essenfrauen Mahlzeiten verteilen und abkassieren; Studenten auf Holzbänken hocken und Bratwurstschnecken in sich hineinschieben; andere in Blöcken, Ordnern oder Heften schmökern, um nachher zum Abfragen bereit zu sein; ...während dies also geschieht, mischen sich Bauarbeiter unter die Anwesenden, die in der Zeit, in der sie keine Pause machen, neuen Platz für neue Kommilitonen schaffen oder den alten verschönern ...obwohl Garagen immer Garagen bleiben.

Ganz typische Mensaatmosphäre liegt wie der Wurstgeruch in der Luft; nichts außergewöhnliches eben; alles ist wie immer ...das denkt auch gerade Persol, während er seinen Kaffee umrührt. Er hat nur einen Wunsch: Weiter im Kaffee rühren! Und wie er so den Zucker immer mehr schwinden fühlt unter dem warmen Eisenlöffel, setzt sich plötzlich ein Mädchen direkt zu ihm.

In dem Moment, in dem sie ihn mit einem zarten „Hallo“ ansprach, erschien es, als erstarre sein Gesicht, wie es sonst seine tägliche Kontinuität tat; ja, es war fast so, als hätte er sein Innerstes nach außen gekehrt, hin zu seinem Gesicht; in der Sekunde des Hallo blieb er kurz sehr gerührt.
Das Mädchen konnte dies selbstverständlich nicht wissen. Sie interpretierte sein Schweigen, als Aufforderung selbst noch etwas zu sagen.
-„Also, Hallo hab ich ja schon gesagt. Ist alles klar mit dir? In Ordnung, wenn ich mich hier hinsetze?“
Keine Antwort, nur weiteres erstarren.
-„Ich weiß ja nicht, ob du noch auf wen wartest. Soll ich an einen anderen Tisch gehen?"
Keine Antwort, sie steht auf.
-„Na gut, dann geh ich wieder...“
„Nein, musst du nicht.“
-„Oh, gut, es waren sowieso nur noch sehr wenige Plätze frei.“
„Ja.“

Es war unglaublich. Die Worte aus seinem Mund, klangen wie Laute, die ein erstarrter Klumpen aus Lehm von sich gab; Worte irgendwie, aber im Prinzip nur Laute. Sehr schlicht. Sehr karg. Sie hatten ja auch eigentlich keine Bedeutung; es ging nur darum, sie am Tisch zu halten ...Worte, nur um die Stimmung in Tönen zu äußern, nur um der Stimmung einen Klang zu geben...
-„Ich heiße übrigens Katja.“
„Und ich Persol.“
-„Ein ungewöhnlicher Name, irgendwie...“
(Ihr ins Wort fallend.) „...nicht wirklich ungewöhnlich.“

Schweigen.

Persol war nie gut, im Miteinandereden, nie gut im Fragen stellen und noch schlechter im beantworten.
Immer erschien ihm alles zu privat, was er im Stande war, preiszugeben. Deshalb erzählte er meist nichts von sich, sondern berichte mehr oder weniger oberflächlich von einem Typen und seinen Erlebnissen. Er sagte manchmal: Ja das hat mich echt berührt. Oder: Ich weiß nicht wirklich was ich davon halten soll. Oder: Darüber werde ich bestimmt später mal lachen. Das alles, dachte er immer, wird sich schon irgendwie zusammenfügen. Alles! Auch die komisch kosmischen Fragen, die Tage des Wartens, die Zeit in der Mensa usw. Irgendwann hört sein Warten auf. Wann? Wenn er weiß, worauf er wartet.

Er wartet auf sich selbst.

Er überlegt einfach nicht mehr, was alles mit seinen Geschichten geschehen könnte, was mit den albernen Telefonnummern passiert oder den Adressen in Süddeutschland...

Persol macht sich keine Sorgen über die Zukunft, denn er begreift sich als Heutiger. Vielleicht ist er der andere Mensch wie ich ihn immer suchte...
Ein Typ, der mehr verhehlt, als eröffnet. Ein Mensch der mit seinen Geschichten zu neuen, anderen Geschichten beiträgt, die wieder Neues und Anderes hervorbringen. Er setzt etwas in Gang. Er ist ein wirklicher freier Sprechsteller!

Zurück in der Mensa, wo er noch immer sitzt und mit Katja plaudert, fällt sofort auf, dass die Mittagspause vorbei ist. Die Essenfrauen räumen leere Töpfe weg; irgendwelche armen Seelen müssen diese dann saubermachen; Studenten haben längst die Tageszeitung ausgelesen und niemand ist mehr mit Block und Heft und Ordner am auswendig lernen.
In der Ecke: Dieser Mensch, Persol.

Er hat jetzt den Moment überwunden und sich entschieden. Die Sekunde des „Hallo“ ist vorbei. Diese minimale Zeitspanne, diese minimale Starre gab ihm genug Raum für eine entscheidende Frage: Was soll ich ihr sagen?

Erstarrt, für eine Sekunde, für einen Gedanken.

Wofür Persol sich diesmal entschieden hat, ist unmöglich zu erahnen. Er hat ihr etwas erzählt und ihr damit einen Brocken Kohle in die Hand gedrückt, vielleicht ist er echt, vielleicht aber auch nicht ...auf jeden Fall ist er Morgen etwas anderes.
 
D

Daktari

Gast
halb roh

Hallo!
Deine letzten Persolgeschichten fand ich schöner. Diese hier ist noch so halb roh, noch richtig gar, gewürzt isses auch nicht. Es schleppt sich dahin, man schmunzelt weder noch ist man gefesselt. Dabei ist die Basis ganz gut. Hol das Fleisch nochmal aus dem Ofen, gib ihm ne Form und Würze. Dann wirds ein Genuss.

Ciao
Tim
 



 
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