Novembergefühle.

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Novembergefühle.

Als er sich entschied, mit ihr zu sprechen, hatte sie sicherlich schon wieder eine Stunde neben seinem Bett gesessen. Es war Nacht, es war November, er war müde. Wieder einmal nicht sicher, ob er träumte oder wach lag. Doch aus der Frau, die neben ihm saß, strömte heute ein nie dagewesener Frieden.

<<Ich habe Angst>>, traute er sich schließlich zu sagen.
Die Frau nickte, ohne ihre Augen zu öffnen. So saß sie da, seit sie ihm das erste Mal erschienen war. Silberne Locken umspielten ihr stolzes Gesicht. Tiefe Falten als Kalligrafie gelebter Erfahrungen überzogen ihre Stirn. Und über allem schwebte ein kaum wahrzunehmendes Lächeln. Doch ihre Augen blieben zunächst verschlossen. Wie in so vielen schlaf- und sprachlosen Nächten zuvor.

<<Ich habe Angst>>, wiederholte er.
<<Ich weiß>>, antwortete die Frau mit großer Sanftmut. <<Deshalb bin ich hier.>>
<<Weil ich Angst habe?>>, fragte er aufgeregt, als er das erste mal ihre Stimme hörte.
Doch die Frau antwortete nicht.
<<Du bist nicht gekommen, weil ich Angst habe>>, sprach er nach einer kurzen Pause weiter. <<Du bist gekommen...>>, er zögerte. <<...Du bist gekommen, weil du es selbst bist. Meine Angst.>>
Die Frau wartete einen kurzen Moment. Dann nickte sie.

<<Doch warum spüre ich dann Frieden?>>, fragte er.
<<Weil du mich heute das erste Mal nicht beiseite geschoben hast>>, antwortete die
Frau. Er dachte über ihre Worte nach. Fand, dass sie wahr und wirklich klangen. Er hatte Angst immer als etwas Lähmendes verstanden. Ein Gefühl, das er fort wünschte, nicht zulassen konnte und wollte. Nun fühlte es sich anders an.

<<Wenn ich meine Angst zulasse, verspüre ich Frieden>>, sagte er schließlich wie zu sich selbst.
<<Die Menschen haben vergessen, dass ich zum Leben dazugehöre>>, sagte die Angst, selbst ein wenig ängstlich. Ihr Lächeln war einem steinernen Blick gewichen. <<Doch wenn du lernst, mich zu ertragen, werde ich mich mit leisen Schritten davon machen. Und wenn es soweit ist, wirst du neben Frieden auch Freiheit verspüren.>>
Dann öffnete sie ihre Augen. Sie strahlten.
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich an einem Ziel, an das er oft gedacht, aber von dessen Erfüllung er nur selten zu träumen gewagt hatte.

<<Vergiss nicht, das auch ihr zu sagen!>>, flüsterte die Frau nach einiger Zeit.
<<Wem?>>, fragte er überrascht.
Doch sie hatte ihre Augen bereits wieder geschlossen. Und lächelte.
 
U

USch

Gast
Hallo VierZehnZwölf,
die Angst zulassen, ein Gespräch mit der Angst. Mir gefällt dein kleiner Text. Er wäre besser bei Kurzprosa aufgehoben. Du kannst die Forenredakteurin bitten, ihn zu verschieben.
LG USch
 
S

Steky

Gast
Kleiner Tipp am Rande: Die Klammern für die Dialoge findest du unter den Alt Codes - einfach mal googeln. Geschichte gefällt mir übrigens auch sehr gut. LG Steky
 



 
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