Der Tod eines Jemeniten
Der Tod eines Jemeniten
Die Aufregung war unbeschreiblich. Rolf war aufmerksam geworden, als der Generator, der die Stromversorgung der Baustelle sicherstellte, ungewöhnlich mühsam zu arbeiten begann. So, als wäre plötzlich ein zusätzlicher Stromabnehmer zugeschaltet worden. Er war aus seinem provisorischen Baubüro in einem Zimmer im Rohbau des neuen Sheraton Hotels in Jeddah auf den Balkon hinaus gegangen und hatte mit Unglauben gesehen, wie der Turmdrehkran ein riesiges Bündel Bewehrungsstahl hochheben wollte. Das waren sicher mehr als neun Tonnen! Die Überlastungssicherung des Kranes würde den Strom abschalten. Zu seiner Verwunderung geschah dies aber nicht. Der Kran hob das Bündel hoch, der Dieselgenerator stampfte in einer veränderten Frequenz. Als der Kranführer die Last am Ausleger weiter hinaus fuhr, der Gitterträger sich abzusenken begann, sah Rolf, wie der Turm sich zur Last hin neigte. In Zeitlupe aber unaufhaltsam und völlig unrealistisch fiel der obere Teil des Drehkranes nach vorne. Rolf konnte es nicht glauben, er hatte das Gefühl, er könne den Turm halten, er brauche nur etwas zu sagen oder zu schreien und der Spuk habe ein Ende. Er war fokussiert auf die Last am Ende des Auslegers, er sah nicht die anderen Ereignisse. Bis der etwa 30 Meter lange Träger auf den Boden knallte war Rolf ohne Gefühl, erst dann begannen seine Sinne normal zu reagieren. Wie ein Film lief das vergangene Geschehen in seinem Kopf ab. Wie in einer Rückblende erinnerte er sich an den kurzen Knall, wahrscheinlich als die Bolzen am oberen Drittel des Turmmastes brachen. Der Ausleger hatte gehalten, doch der Mast war gebrochen und damit die Last zu Boden gefallen. In der Folge war der gesamte Kran kollabiert und nur mehr der untere Teil des Mastes ragte verbogen hoch.
Der Kranführer war mitsamt seiner Kabine in die Bewehrungseisen der in Bau befindlichen Säulen gestürzt und war gerade dabei, sich selbst daraus zu retten. Seine Kollegen kamen ihm zu Hilfe. Gott sei Dank keine Toten. Rolf besann sich darauf, dass er als Ausländer in diesem Land bei einem Unfall mit ernsthaften Schwierigkeiten zu rechnen hatte. Die herbeieilenden Arbeiter aus dem Libanon und dem Jemen bedrängten ihn, sofort zum Hauptbüro zu fahren, bevor die Polizei käme. Man würde alles für ihn erledigen.
Rolf rannte zu seinem Auto, das an der Hauptstrasse parkte und sah erst dabei das Ausmaß des Unfalles. Der Verkehr hatte sich gestaut, das drei Tonnen schwere Gegengewicht des Auslegers war auf die Fahrbahn gestürzt und hatte ein Auto zerschmettert. Ein Teil des Auslegers lag quer über der Fahrbahn. Rolf sprang in seinen Wagen und raste zum Büro. Der Chef und Besitzer der Baufirma, ein Saudi, setzte sich unverzüglich mit seinen Freunden in den diversen Behörden in Verbindung. Dann verbot er Rolf, sich in den nächsten Tagen auf der Baustelle sehen zu lassen. Am Besten, er kroch bei Bekannten unter, bis alles geregelt wäre.
Rolf wohnte drei Tage bei einer befreundeten Familie und bekam von denen die Situation gemeldet. Stündlich bekam das Ereignis klarere Konturen.
Der jemenitische Kranführer, alle Kranführer in Jeddah waren Jemeniten, hatte die Sicherheitseinrichtung gegen Überlastung des Kranes nach altbewährter Sitte überlistet, indem er einen passenden Stein unter den Kontaktfühler des Auslegers gekeilt hatte. Damit konnte er jede Last heben, ohne dass sich der Kran abschaltete. Das hatte er schon seit Jahren so gehalten. Dass damit die gesamte Konstruktion des Kranes überfordert war, darauf verschwendete er keinen Gedanken. Als der Kranmast gebrochen war und der Kranführer in seiner Kabine mehr oder weniger langsam in die in Bau befindlichen Säulen stürzte, hatte er das Glück, nicht von den Bewehrungseisen aufgespießt zu werden. Er kam mit einigen geringeren Schürfwunden davon. Zu seinem Verhängnis wurde, dass er sich, nachdem er aus den aufstehenden Armierungseisen geborgen war, theatralisch zu Boden sinken ließ. Vielleicht waren es auch die Nerven, die ihn verließen. Tatsache war, dass er von einigen hilfsbereiten Arbeitern hochgenommen wurde und sie ihn vom ersten Stock des Baues, dort, wo er aufgeschlagen war, hinunter zur Strasse tragen wollten. Dabei ließen sie ihn in der Hektik zwei Mal auf der Treppe fallen. Die vorderen Leute rannten zu schnell, die hinteren konnten nicht folgen. Zu seinem Unglück hatten sie den Jemeniten mit den Beinen voraus transportiert und er fiel beide Male mit dem Kopf auf die Betonstufen. Letztlich überlebte er diesen Transport nicht. Später, im Unfallbericht, wurde als Todesursache der Sturz vom Kran angegeben.
Da der Kran verhältnismäßig langsam umfiel konnten alle in der Nähe Arbeitenden sich aus dem Gefahrenbereich retten. Ein Pakistani wollte über die Hauptstrasse auf die andere Straßenseite rennen, nachdem ihn einige Arbeiter gewarnt hatten. Er sah gar nicht nach oben, er wollte nur hinüber und musste noch den Verkehr durchlassen. Damit war er zu spät. Das Gegengewicht des Auslegers begrub ihn unter sich und traf auch noch ein Fahrzeug. Das Auto hatte Rolf bei seinem Abgang von der Baustelle gesehen, den Arbeiter nicht.
Am nächsten Tag standen alle Kräne der Stadt still, allgemeine Trauer der Jemeniten um ihren Kollegen. Aber schon am darauf folgen Tag war auf allen Baustellen wieder voller Betrieb. Die Blutgeldverhandlungen waren nach einem weiteren Tag abgeschlossen. Für den Jemeniten. Die Familie des Pakistani ging leer aus, er war kein Araber. Die Polizei hielt sich weitgehend aus der Angelegenheit heraus, es war kein Saudi involviert, im Gegenteil, ein Saudi, der Baufirmeninhaber hatte Interesse, die Dinge möglichst Amikabel zu lösen.
Nach drei Tagen teilte selbiger Saudi dann Rolf mit, dass mit der Zahlung des Blutgeldes an die Familie des Kranführers, der eigentlich selbst an diesem Unfall Schuld war, die Affäre erledigt sei. „Ein Glück, dass es kein Saudi war, sondern nur ein Jemenit! Wäre sonst viel teurer geworden“ , das waren seine Worte.
Der Tod eines Jemeniten
Die Aufregung war unbeschreiblich. Rolf war aufmerksam geworden, als der Generator, der die Stromversorgung der Baustelle sicherstellte, ungewöhnlich mühsam zu arbeiten begann. So, als wäre plötzlich ein zusätzlicher Stromabnehmer zugeschaltet worden. Er war aus seinem provisorischen Baubüro in einem Zimmer im Rohbau des neuen Sheraton Hotels in Jeddah auf den Balkon hinaus gegangen und hatte mit Unglauben gesehen, wie der Turmdrehkran ein riesiges Bündel Bewehrungsstahl hochheben wollte. Das waren sicher mehr als neun Tonnen! Die Überlastungssicherung des Kranes würde den Strom abschalten. Zu seiner Verwunderung geschah dies aber nicht. Der Kran hob das Bündel hoch, der Dieselgenerator stampfte in einer veränderten Frequenz. Als der Kranführer die Last am Ausleger weiter hinaus fuhr, der Gitterträger sich abzusenken begann, sah Rolf, wie der Turm sich zur Last hin neigte. In Zeitlupe aber unaufhaltsam und völlig unrealistisch fiel der obere Teil des Drehkranes nach vorne. Rolf konnte es nicht glauben, er hatte das Gefühl, er könne den Turm halten, er brauche nur etwas zu sagen oder zu schreien und der Spuk habe ein Ende. Er war fokussiert auf die Last am Ende des Auslegers, er sah nicht die anderen Ereignisse. Bis der etwa 30 Meter lange Träger auf den Boden knallte war Rolf ohne Gefühl, erst dann begannen seine Sinne normal zu reagieren. Wie ein Film lief das vergangene Geschehen in seinem Kopf ab. Wie in einer Rückblende erinnerte er sich an den kurzen Knall, wahrscheinlich als die Bolzen am oberen Drittel des Turmmastes brachen. Der Ausleger hatte gehalten, doch der Mast war gebrochen und damit die Last zu Boden gefallen. In der Folge war der gesamte Kran kollabiert und nur mehr der untere Teil des Mastes ragte verbogen hoch.
Der Kranführer war mitsamt seiner Kabine in die Bewehrungseisen der in Bau befindlichen Säulen gestürzt und war gerade dabei, sich selbst daraus zu retten. Seine Kollegen kamen ihm zu Hilfe. Gott sei Dank keine Toten. Rolf besann sich darauf, dass er als Ausländer in diesem Land bei einem Unfall mit ernsthaften Schwierigkeiten zu rechnen hatte. Die herbeieilenden Arbeiter aus dem Libanon und dem Jemen bedrängten ihn, sofort zum Hauptbüro zu fahren, bevor die Polizei käme. Man würde alles für ihn erledigen.
Rolf rannte zu seinem Auto, das an der Hauptstrasse parkte und sah erst dabei das Ausmaß des Unfalles. Der Verkehr hatte sich gestaut, das drei Tonnen schwere Gegengewicht des Auslegers war auf die Fahrbahn gestürzt und hatte ein Auto zerschmettert. Ein Teil des Auslegers lag quer über der Fahrbahn. Rolf sprang in seinen Wagen und raste zum Büro. Der Chef und Besitzer der Baufirma, ein Saudi, setzte sich unverzüglich mit seinen Freunden in den diversen Behörden in Verbindung. Dann verbot er Rolf, sich in den nächsten Tagen auf der Baustelle sehen zu lassen. Am Besten, er kroch bei Bekannten unter, bis alles geregelt wäre.
Rolf wohnte drei Tage bei einer befreundeten Familie und bekam von denen die Situation gemeldet. Stündlich bekam das Ereignis klarere Konturen.
Der jemenitische Kranführer, alle Kranführer in Jeddah waren Jemeniten, hatte die Sicherheitseinrichtung gegen Überlastung des Kranes nach altbewährter Sitte überlistet, indem er einen passenden Stein unter den Kontaktfühler des Auslegers gekeilt hatte. Damit konnte er jede Last heben, ohne dass sich der Kran abschaltete. Das hatte er schon seit Jahren so gehalten. Dass damit die gesamte Konstruktion des Kranes überfordert war, darauf verschwendete er keinen Gedanken. Als der Kranmast gebrochen war und der Kranführer in seiner Kabine mehr oder weniger langsam in die in Bau befindlichen Säulen stürzte, hatte er das Glück, nicht von den Bewehrungseisen aufgespießt zu werden. Er kam mit einigen geringeren Schürfwunden davon. Zu seinem Verhängnis wurde, dass er sich, nachdem er aus den aufstehenden Armierungseisen geborgen war, theatralisch zu Boden sinken ließ. Vielleicht waren es auch die Nerven, die ihn verließen. Tatsache war, dass er von einigen hilfsbereiten Arbeitern hochgenommen wurde und sie ihn vom ersten Stock des Baues, dort, wo er aufgeschlagen war, hinunter zur Strasse tragen wollten. Dabei ließen sie ihn in der Hektik zwei Mal auf der Treppe fallen. Die vorderen Leute rannten zu schnell, die hinteren konnten nicht folgen. Zu seinem Unglück hatten sie den Jemeniten mit den Beinen voraus transportiert und er fiel beide Male mit dem Kopf auf die Betonstufen. Letztlich überlebte er diesen Transport nicht. Später, im Unfallbericht, wurde als Todesursache der Sturz vom Kran angegeben.
Da der Kran verhältnismäßig langsam umfiel konnten alle in der Nähe Arbeitenden sich aus dem Gefahrenbereich retten. Ein Pakistani wollte über die Hauptstrasse auf die andere Straßenseite rennen, nachdem ihn einige Arbeiter gewarnt hatten. Er sah gar nicht nach oben, er wollte nur hinüber und musste noch den Verkehr durchlassen. Damit war er zu spät. Das Gegengewicht des Auslegers begrub ihn unter sich und traf auch noch ein Fahrzeug. Das Auto hatte Rolf bei seinem Abgang von der Baustelle gesehen, den Arbeiter nicht.
Am nächsten Tag standen alle Kräne der Stadt still, allgemeine Trauer der Jemeniten um ihren Kollegen. Aber schon am darauf folgen Tag war auf allen Baustellen wieder voller Betrieb. Die Blutgeldverhandlungen waren nach einem weiteren Tag abgeschlossen. Für den Jemeniten. Die Familie des Pakistani ging leer aus, er war kein Araber. Die Polizei hielt sich weitgehend aus der Angelegenheit heraus, es war kein Saudi involviert, im Gegenteil, ein Saudi, der Baufirmeninhaber hatte Interesse, die Dinge möglichst Amikabel zu lösen.
Nach drei Tagen teilte selbiger Saudi dann Rolf mit, dass mit der Zahlung des Blutgeldes an die Familie des Kranführers, der eigentlich selbst an diesem Unfall Schuld war, die Affäre erledigt sei. „Ein Glück, dass es kein Saudi war, sondern nur ein Jemenit! Wäre sonst viel teurer geworden“ , das waren seine Worte.