Ode an die Mutter - Ungeheuer

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shiva

Mitglied
Ungeheuer

Der Mund ist versiegelt
die Hände verbrannt
tief in mir
ein Pochen
Gefühle verbannt

Die Tage sie trügen
es ist schwarze Nacht
fast wollte ich leben
der Tod hat gelacht

Schreien
vor Schmerzen
das Herz rausgerissen
kurz vorm Zerbersten
quälend mein Wissen

Ein Jammern
ein Flehen
wohin soll ich gehen
zu früh und zu spät

Nie würd ich was sagen
aus Angst schürt ihr Feuer
schreit zu mir
die Fragen
Stirb nun, Ungeheuer

Gebote zu hassen
hier liegt der Verrat
die Folter zulassen
Doch bald
ist mein Tag
 
hallo Shiva

Was soll ich sagen?
Würde ich sagen, das Gedicht ist genial
und gefällt mir sehr, dann wäre das eine Gratulation
zum Leiden.
Aber so ist es eben.
Man schreibt nicht, weil mans kann, sondern weil
man muss!
Kennst du die " Ode an meine Mutter" von Gottfried
Benn- " Mutter, ich trage dich wie eine Narbe auf
meiner Stirn..."-?
Vielleicht ist es immer so, dass wir die Kunst
wegen unserer Eltern entdecken, aber wir brauchen uns nicht bedanken, es ist eher als würden wir sagen:
"So, da habt ihrs!"

Pass auf dich auf

black sparrow
 

Jongleur

Mitglied
Wut?

Zustandsbericht. Anklage. Jammern. Klagen. Unterdrückte Wut, scheint mir, die in der (Ich-tröstlichen) Drohung endet: bald ist *mein Tag.
Die ersten beiden Strophen finde ich am stimmigsten und am besten durchgetextet. Schön die unaufdringlichen Reimpaare.-
Eindringlich und fließend geschrieben. Ein verletztes, missachtetes "Kind" trägt zusammen, es geht um das Erleben der Tochter (?)
Deswegen erstaunt es mich, dass der Titel "Ungeheuer" sich auf die ferne Auslöserin des Ich-Schmerzes bezieht.
Nicht klar gekommen bin ich mit der vorletzten Strophe.
Nie würd ich was sagen
aus Angst schürt ihr Feuer
schreit zu mir
die Fragen
Stirb nun, Ungeheuer

Aus Angst, *dass* die "Widerrede" ihr Feuer schüren würde?
*Wer* schreit Fragen?? Schreit - scheint eine Aufforderung, aber an wen bloß?
Und dann, nach den "Fragen" der Verdammnissatz stirb nun, Ungeheuer - so plötzlich, gerade nach dem Anführen, dass das Lyrische Ich nichts offen ausspricht, anspricht. Dass da ... Fragen ... sind.
Aber "stirb nun" ist doch wohl eine Verwünschung. Die dreizehnte Fee. Voodoo-Spruch zur nadelgespickten Puppe. - Das kommt mir nach diesen unverständlichen Zeilen zu losgelöst.
Aber vielleicht ist es nur zu heiß, und ich kapier deswegen nicht?
Wünschen würde man diesem Lyrischen Ich, dass es "den Absprung" schafft, es ist nie zu spät, sich aus schädlichen Bindungen zu lösen. Aber so lange der Rachegedanke noch mehr im Vordergrund steht, ist das Ich zu wenig achtsam für sich selbst, vermute ich.
Grüße vom Jongleur
 

shiva

Mitglied
Danke

Vielen Dank für die tollen Antworten.

Klar ist - und das hätte ich gar nicht vermutet -, dass jeder sofort versteht, was ich mit diesem Gedicht sagen möchte. Das bin tatsächlich ich, die da schreit und wütend ist auf ihre eigene Mutter.

Es ist das erste Mal, dass ich etwas über meine Mutter geschrieben habe.

Das misshandelte, geprügelte Kind. Prügeln ohne Grund. Die Mutter schlägt im Grunde sich selbst oder auch ihr eigenes beschissenes Leben. Sie hasst sich selbst, sie hasst die Welt und sie hasst ihre Kinder und gibt ihnen einen Großteil der Schuld an ihrem - selbst verursachten - Elend.

Der Versuch, sich an jemanden zu wenden, scheitert. Nach außen hin ist die Mutter perfekt, freundlich, sachlich und ruhig. Doch andere - z.B. beim Sport - sehen die blauen Flecke - doch niemand - auch nicht der Lehrer - unternehmen etwas. Meine Aufforderung an die Gesellschaft (schreit zu mir die Fragen!), tut was! Denn immer noch werden in unserer (ach, so zivilisierten) Gesellschaft Kinder geschlagen und misshandelt. Das darf einfach nicht sein!

Wenn mir niemand helfen kann, dann gibt es nur eine Lösung: Stirb!!

Meine Mutter lebt noch, ich habe mich jedoch von ihr distanziert.

Sommerliche Grüsse
shiva
 



 
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