Organspende

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Sagittarius

Mitglied
Blaulichtgeflimmer

„Was ist passiert?“
„Motorradunfall. Schädelbruch. Wirbelsäule... Muss noch genauer bestimmt werden. Vermutlich keine inneren Verletzungen. Der Patient ist erstversorgt. Bewusstlos, aber stabil. Puls..., Blutdruck...“
„ O.K. Haben sie Papiere gefunden? Schwester! Wundversorgung, Röntgen Cranium, HWS,BWS, CT Thorax innere Verletzungen. Dann auf die ITS, das Übliche.
Ja, haben sie Papiere?“
„Hab ich. Hier ist die Börse.“
„Prima, alles da! Deutscher Pass. Ziemlich junger Mann noch... Blutspenderpass. DKMS. Interessant, noch so jung, und schon so ein selbstloser, hilfsbereiter Mensch! So sind sie, die Deutschen. Organspenderpass. Respekt! Krankenkasse .... Gut.“
„Kann ich dann wieder gehen? Will noch was essen, sonst stürze ich mich auf die nächstbeste Fleischwunde!“
„Ja, ich habe alles, was ich brauche. Gute Schicht noch. Hoffentlich nicht so blutig lange!“

„Da haben wir ja wieder was reingekriegt, Doktor! Darf gar nicht an den bürokratischen Wust denken, der auf uns zukommt. Deutschland! Die haben doch dort an allem was rumzukritteln. Der hat keine ausreichende Auslandskrankenversicherung. Das kenn ich doch, da müssen wir uns wieder über jeden Cent auf unserer Abrechnung streiten! Wie ist es denn nun um ihn bestellt, Doktor?“
„Er hat einen Schädelbruch mit leichter Subarachnoidalblutung. Die OP war erfolgreich. Sieht ganz gut aus. Der Helm hat ‚ne Menge abgehalten. Die Wirbelsäule ist bei C4 angebrochen. Eine Niere ist angerissen. Wir haben ihn ins Koma gelegt. Zwei Wochen, denke ich, dann kann er nach M. überführt werden.“
„Hm. Schädelbruch, SAB. Der Mann ist stabil, sagen Sie?“
„Ja. Wie gesagt, wir haben ihn ins Koma gelegt. Das wird schon wieder. Kann natürlich noch nicht sagen, ob da neurologisch was fehlt, wenn er wieder auf den Beinen ist.“
„Morgen kommt die Kommission unabhängiger Ärzte. Die wird sich den Fall ansehen.“
„Die Kommission? Morgen? Die kommt doch nur kurzfristig zusammen. Und: was will die denn bei dem Fall? Ist doch kein Problem!?“
„Reine Routine. Sie wissen doch, die Kosten...“
„Die Kosten?! Was haben die denn mit der Rettung eines Menschenlebens zu tun?“
„Doktor, tun Sie doch nicht so? Wie lange stehen Sie täglich am Tisch? Sie kennen doch auch die wirtschaftlichen Zwänge, die auf unserer Klinik lasten. Womit wollen Sie diagnostizieren und behandeln, ohne technische Ausrüstung, ohne Medikamente, Verbandmittel, etc. Sollen wir daran noch mehr sparen? Wir sind eine relativ kleine Klinik. Wir können verhandeln, wie wir wollen, wir kommen nie auf die Umsätze großer Häuser, entsprechend sind die möglichen Rabattvereinbarungen. Wir zahlen für das gleiche Produkt fast das Doppelte, wenn man die Uniklinik als Vergleich heranzieht. Und das bei diesem mafiosen Preisniveau. Mal von allen möglichen Subventionen abgesehen... „
„Heißt das, die Kommission...?“
„Kommt morgen elf Uhr. Danke, Doktor. Und bereiten Sie alles vor.“
„Wie darf ich das verstehen, Herr Professor?“
„Herr Doktor S.: Der Patient bekommt heute Nacht Komplikationen infolge der SAB. So, dass wir morgen früh leider den Hirntod diagnostizieren müssen. Der Körper wird weiterhin künstlich am Leben erhalten. Wir alarmieren die Kommission, die Herren werden sich schnellstmöglich hier versammeln, werden zum Ablauf der Krankengeschichte und nach Begutachtung des Patienten keine Zweifel an der Tatsache bekunden. Damit sind wir in der Lage, dem Wunsch des jungen Mannes nachzukommen, seine Organe bedürftigen Menschen zu spenden.“
„Sind Sie wahnsinnig?! Ich hab mal einen Eid als Mediziner abgelegt! Sie doch auch, oder?“
„Mann, denken Sie doch mal realistisch. Dieser Eid ist doch heute gar nicht mehr guten Gewissens haltbar. Noch vor dreißig Jahren wäre Ihr Patient längst tot. Und Sie hätten sich jederzeit auf den Eid berufen können. Es gab damals einfach noch nicht die technischen und pharmazeutischen Möglichkeiten, die wir heute haben. Die selbst wir haben, die wir weiß Gott nicht perfekt ausgerüstet sind! Er liegt jetzt im Koma. Sind Sie sicher, Sie kriegen ihn da wieder raus? Wenn nicht, muss man ihn unter Umständen jahrelang künstlich am Leben erhalten. Was glauben Sie: ist das Lebenswert? Wenn er stirbt, ersparen wir uns jede Menge Formalitäten, Kosten und Ärger. Übrigens kommt das auch den Deutschen entgegen. Die müssten ihn schließlich restlos wieder aufpäppeln. Oder an die Maschinen hängen... Oder als geistig Behinderten betreuen... So wird nur die Überführung einer Leiche fällig. Fertig. Und schließlich: er möchte gerne seine Organe spenden. Wir haben eine Anfrage aus den USA bezüglich eines Spenderherzens. Blutwerte und genetische Daten passen exakt zu der Anforderung. Der Empfänger ist der Sohn eines stinkreichen Börsenmaklers, der das Dreifache des üblichen Preises bezahlt. Die Zentrale bekommt natürlich offiziell den von ihnen geforderten Obolus (keine Ahnung, was da sonst noch läuft, schließlich müssen die ihre Warteliste entsprechend abstimmen, ist mir auch egal...). Das Doppelte dieses Betrages wird uns als neutrale Spende überwiesen. Wir wären endlich in der Lage, ein neues, zuverlässiges Patientenrufsystem zu installieren, Betten zu erneuern und vieles mehr.
Ähnlich läuft das mit den anderen verwertbaren Organen. Alles legal. Keiner wird irgendetwas anzumerken haben. Wenn Sie Ihren Part auch so spielen, das niemand Verdacht schöpft. Aber das fällt Ihnen doch nicht schwer. Sie können Komplikationen verhindern, also wissen Sie auch, wie welche entstehen... Ach, übrigens, Chefarzt, Prof. Dr. K. hat sich entschlossen, das Angebot einer privaten Kurklinik anzunehmen, dort als ärztlicher Direktor zu arbeiten. Sein Posten ist also ab ersten September vakant....“

„Guten Tag, meine Herren. Bitte, nehmen Sie doch Platz. Darf ich Ihnen Doktor S. vorstellen. Er behandelt den Ihnen vorliegenden Fall seit der Aufnahme in unsere Klinik. Ich nehme an, Sie haben Sie sich bereits mit der Krankengeschichte vertraut gemacht. Bitte, Dr. S. steht Ihnen für die Beantwortung Ihrer Fragen zur Verfügung.“


Nach diesem Vorfall verließ Dr. S. die Klinik, hängte seinen Beruf aus moralisch-ethischen Gründen an den Nagel und wurde Börsenmakler.

Die Herztransplantation bei dem Sohn des amerikanischen Börsenmaklers gelang. Nach der Operation musste, um Abstoßungsreaktionen zu verhindern, sein Immunsystem mit Immunsuppressiva dauerhaft unterdrückt werden. Trotz ständiger Vorsichtsmaßnahmen, die ihm ein einigermaßen normales Leben unmöglich machten, verstarb er drei Jahre später an einer Infektion.
 



 
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