Gedichtformen: Priamel

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Zur Priamel

Die Priamel ist eine Aufreihung von Beispielen mit einer Schlußpointe.

Schon im Mittelalter wurde sie verwendet, ist in verschiedenen Sprachen zu Hause. Im 15. Jahrhundert entwickelte sie sich zu einer literarischen Gattung.

Ein Beispiel aus der Volksdichtung:
Ich leb und waiß nit wie lang,
ich stirb und weiß nit warum,
ich far und waiß nit wahin,
mich wundert, daß ich so fröhlich bin.
Ursprünglich waren es immer drei Zeilen plus eine Schlußpointe, heute gibt es aber auch längere Aufzählungen.

Weitere Beispiele:

Vor knechtes zung und kinder spil,
Vor hunds maul, als ich sagen wil,
Vor großen fueßen und lispenden leuten:
Hut dich wol, thue ich dir bedeuten.
Manchmal gibt es eine stufenweise Steigerung:

Unselig ist, der got übel gehagt:
Noch unseiger, der nie wider übel facht;
Aber unseiger, dem got sein genad versagt;
Aber unseiger, der sein sünd nit klagt;
Vil unseiger, der in sein sünden verzagt:
Ganz unselig, der in die helle wird gejagt.
Auch Stammbuchverse:

Für alters wirdt jedermann graw,
Für alters auch jeder mist stroh,
Für alters faulen äpfl und birn,
Für alters werden runzeln an der stirn,
Für alters werden heiße wänglein bleich,
Für alters harte Brüstlein weich,
Für alters wird der Topf zu scherben,
Für alters müssen wir alle sterben.
von Friedrich von Logau (1604-1655):
So gute Fische häuffig essen,
So ohne Maß den Wein vermessen,
So viel als fasten heißen sol,
So fastet der so gut und wol,
Der, wan er wil ein Hun verzehren,
Nur meint, als wann es Fische wären.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803):

Singt, ihr Dichter,
Singt und schmeichelt,
Singt und bettelt,
Singt von Helden;

Ich will singen,
Ich will spielen,
Aber wahrlich
Nicht von Helden!
Goethe schrieb an seinem sechzehnten Geburtstag seinem Freund F. M. Moors folgende Priamel ins Stammbuch:
Dieses ist das Bild der Welt,
Die man für die beste hält:

Fast wie eine Mördergrube,
Fast wie eines Burschen Stube,
Fast so wie ein Opernhaus,
Fast wie ein Magisterschmaus,
Fast wie Köpfe von Poeten,
Fast wie schöne Raritäten,
Fast wie abgehatztes Geld
Sieht sie aus, die beste Welt.
Stammbuchvers aus dem Jahre 1796:
Zufrieden seyn ist große Kunst,
Zufrieden scheinen großer Dunst,
Zufrieden werden großes Glück,
Zufrieden bleiben Meisterstück.
Weiteres steht in Gerhard Grümmer: Spielformen der Poesie.
Aus diesem Buch stammen auch die Informationen und die obigen Beispiele.
----

Hier Priameln von mir:

Gestern war ich auf der Hut
heute war ich auf der Hut
morgen werde ich auf der Hut sein
Wenn ich nur wüßte, wann das war.

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In der Leselupe veröffentlichte ich Gedichte,
in der Leselupe veröffentlichte ich Geschichten,
in der Leselupe veröffentlichte ich Impressionen,
in der Leselupe veröffentlichte ich Erotisches,
ich möchte Kritik, doch vertrage sie nicht.
 

Haget

Mitglied
MoinMoin Bernd,
Deine Informationen sind hervorragend - danke!
Dein letztes Beispiel enthält keine Steigerung - trotzden noch akzeptabel?
Ist mein "Immer wahr" (Poesie) vielleicht "ungewußt" eine Abbart davon?
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Hans-Georg,

keine Steigerung zwar des Gedankens, enthält es doch eine Schlußpointe, die, je nach Stimmung - traurig oder ironisch klingt.

Hoffentlich langweile ich niemanden mit all den (fast vergessenen) Formen.

Die Priamel wird oft auch als Teil von größeren Werken eingesetzt. Man braucht auch den Begriff gar nicht zu kennen, damit sie wirkt.

Eigentlich möchte ich Anregungen geben.

Viele Grüße von Bernd

PS: Dein "Immer wahr" habe ich nicht gefunden, nicht mal mit der Suchmaschine.
 

Haget

Mitglied
Immer wahr = Poesie Seite 3

Ich wiederhole hier:
Immer wahr!
Haget 252

Wer
...am laut’sten schreit - hat Recht,
...nervös rumblickt - ist schlecht,
...nach vorn wegläuft - hat Mut,
...ins Aug’ dir schaut - ist gut!

Was
...recht bunt aussieht - gefällt,
...aus Metall ist - hält,
...klein mit weichem Fell - ist süß,
...Verzicht verlangt - führt ins Paradies!

Wo
...die Sonne scheint - ist’s schön,
...ein Wille - ist gutes Verstehn,
...gehobelt wird - fallen Späne,
...gelacht wird - fließt bald die Träne!

In Sprichworten kann man viel Weisheit erkennen,
weil sie Dinge so treffend beim Namen nennen,
doch oft ist’s gut, wenn man weitren Ausspruch nimmt:
Ausnahme bestätigt die Regel - weil’s dann immer stimmt!
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Haget

Wie es aussieht, ist es eine andere Form als die Priamel, wenn auch eine wesensverwandte. Das Gedicht gefällt mir.

Viele Grüße von Bernd
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Die Priamel ist eine Aufreihung von Beispielen mit einer Schlußpointe.

Die Priamel ist eine sehr alte Form, schon im Mittelalter wurde sie verwendet, ist in verschiedenen Sprachen zu Hause. Im 15. Jahrhundert entwickelte sie sich zu einer literarischen Gattung.

Sie ist volkstümlich oder literarisch.

Sie wurde früher sehr häufig verwendet, verschwand aber fast völlig. Es gibt sie in Gedichtform, aber es gab sie auch als eine Art Aphorismus. Die meisten alten Sammlungen verwenden eine Versform.

In einer unbestimmten Anzahl von Zeilen (im Prinzip mindestens drei) werden miteinander verwandte Gedanken oder Beschreibungen geäußert, sie werden dann in der letzten Zeile als Pointe zusammengefasst.

Heute werden Priameln nur noch selten geschrieben.
Priamelform haben neben Gedichten auch einige Sprichwörter.

Zunächst zwei Beispiele für Priameln aus "Deutsches Lesebuch", Band 1, Ausgabe 1
Von Wilhelm Wackernagel http://books.google.de/books?id=HrQ...&ved=0CEQQ6AEwAw#v=onepage&q=priameln&f=false

Seite 1037

Wer einen Raben will baden weiß
und darauf legt sein ganzen Fleiß,
und an der sonne schnee will dörrn,
und allen wind in ein truchen sperrn,
und unglück will tragen feil,
und narrn will binden an ein seil,
und einen kahlen will beschern:
der tut auch unnütz arbeit gern.
Zer ich, so verderb ich;
spar ich, so sterb ich:
noch ist wæger, ich zer und verderb,
wenn daz ich spar und sterb.
Ein Beispiel aus der Volksdichtung:
Ich leb und waiß nit wie lang,
ich stirb und weiß nit warum,
ich far und waiß nit wahin,
mich wundert, daß ich so fröhlich bin.
Ursprünglich waren es oft drei Zeilen plus eine Schlußpointe, schon im Mittelalter gibt es aber auch längere Aufzählungen.

Weitere Beispiele:

Vor knechtes zung und kinder spil,
Vor hunds maul, als ich sagen wil,
Vor großen fueßen und lispenden leuten:
Hut dich wol, thue ich dir bedeuten.
Manchmal gibt es eine stufenweise Steigerung:

Unselig ist, der got übel gehagt:
Noch unseliger, der nie wider übel facht;
Aber unseliger, dem got sein genad versagt;
Aber unseliger, der sein sünd nit klagt;
Vil unseliger, der in sein sünden verzagt:
Ganz unselig, der in die helle wird gejagt.
Auch Stammbuchverse:

Für alters wirdt jedermann graw,
Für alters auch jeder mist stroh,
Für alters faulen äpfl und birn,
Für alters werden runzeln an der stirn,
Für alters werden heiße wänglein bleich,
Für alters harte Brüstlein weich,
Für alters wird der Topf zu scherben,
Für alters müssen wir alle sterben.
von Friedrich von Logau (1604-1655):
So gute Fische häuffig essen,
So ohne Maß den Wein vermessen,
So viel als fasten heißen sol,
So fastet der so gut und wol,
Der, wan er wil ein Hun verzehren,
Nur meint, als wann es Fische wären.
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803):

Singt, ihr Dichter,
Singt und schmeichelt,
Singt und bettelt,
Singt von Helden;

Ich will singen,
Ich will spielen,
Aber wahrlich
Nicht von Helden!
Goethe schrieb an seinem sechzehnten Geburtstag seinem Freund F. M. Moors folgende Priamel ins Stammbuch:
Dieses ist das Bild der Welt,
Die man für die beste hält:

Fast wie eine Mördergrube,
Fast wie eines Burschen Stube,
Fast so wie ein Opernhaus,
Fast wie ein Magisterschmaus,
Fast wie Köpfe von Poeten,
Fast wie schöne Raritäten,
Fast wie abgehatztes Geld
Sieht sie aus, die beste Welt.
Stammbuchvers aus dem Jahre 1796:
Zufrieden seyn ist große Kunst,
Zufrieden scheinen großer Dunst,
Zufrieden werden großes Glück,
Zufrieden bleiben Meisterstück.
Weiteres steht in Gerhard Grümmer: Spielformen der Poesie.
Aus diesem Buch stammen auch die Informationen und die obigen Beispiele.
----

Hier Priameln von mir:

Gestern war ich auf der Hut
heute war ich auf der Hut
morgen werde ich auf der Hut sein
Wenn ich nur wüßte, wann das war.

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In der Leselupe veröffentlichte ich Gedichte,
in der Leselupe veröffentlichte ich Geschichten,
in der Leselupe veröffentlichte ich Impressionen,
in der Leselupe veröffentlichte ich Erotisches,
ich möchte Kritik, doch vertrage sie nicht.


Quellen:
Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Priamel

Karl Rosenkranz: Geschichte der deutschen poesie im mittelalter http://books.google.de/books?id=q3U...1&ved=0CCkQ6AEwAA#v=onepage&q=priamel&f=false
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe meine beiden Beiträge zur Priamel hier zusammengeführt.
 



 
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