Püttmanns ehrliche Grabreden 2. Folge

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Die Falle

Berta würde n Ehemann, der ihr wat von höherer Berufung zum Grabredner verklickern wollte, sofort zum Teufel jagen. Um ihr aber genau dat zu stecken, arbeitete ich an einem raffinierten Plan und lauerte auf n günstigen Moment – der kam schneller als erwartet.

Mein Mittagschläfchen wurde jäh unterbrochen, weil son Idiot draußen Sturm schellte.
Ich sprang wütend vom Sofa, riss die Tür auf, wer stand da im Rahmen? Der stadtbekannte Saufkopp Kalle, der ’Schienen-Kalle’.
Früher war dat ma n richtig staatsen Kerl und gab mit die Weiber an wie Ferkes sein Willem. Er war von Beruf Streckenwärter und wohnte direkt neben uns. Der Suff schmiss ihn erst vonne Bundesbahn, dann völlig ausse Bahn. Mit seinem ungepflegten, grauen Bart, dem geflickten Bundeswehrparka und schmierigen Cordhose sah er aus wie n echter Penner. Ich fragte:
„Kalle, wat willze? Ich hab selbst keine Kohle, bin auch n Sozialkrüppel, bin arbeitslos. Du kannz gerne ne Wurstknifte oder nen Teller Erbsensuppe von heut Mittag oder Pellmänner von gestern haben, mehr nich. Komm inne Küche.“
Er folgte schlurfend und setzte sich schwerfällig auf n Stuhl. Ich erkannte erst jetz, dat er zwei verschiedene Turnschuhe anhatte.
Kalle schüttelte den Kopp, starrte mit seinen müden Triefaugen durch mich durch und stotterte:
„Hö-hömma, Willi, du, biss doch jetz son Pr-r-Prediger, oder so-so wat ähnlichet. Man sacht dat wenigstens in unsere K-r-reise.“ Seine Stimme klang heiser.
Berta bügelte im Schlafzimmer, und weil sie schrecklich neugierig iss, ließ sie die Tür immer n kleinen Spaltbreit offen. Ich wusste genau: in diesem Moment hatte Berta wieder Ohren wie Rhabarberblätter. Sie hörte garantiert jedet Wort. Besser konnte dat nich laufen! Soll se dat Gespräch schön mitkriegen, dachte ich händereibend.
„Hö-ö-hömma, Willi, wir brauchen dich d-r-ingend. Et iss wat Schr-r-ecklichet passiert.“ Seine rechte Hand zitterte, er war innerlich stark aufgewühlt. Er zuckte auch mit die Augen und schluckte.
Meine Berta spitzte jetz noch angestrengter die Lauscher, da war ich mir ganz sicher.
„Wat iss denn los, Kalle? Mach endlich dat Maul auf.“ Er stammelte:
„Dat Lis-lisbeth iss hin, erfroren. L-lissi war meine D-d- Dauergeliebte vom Stadtpark. Wir haben uns im Winter zwei Mo-monate dat Lager und die Kartons zum Zu-zudecken geteilt. Wir ha-haben gestern A-abend am Bahnhof mit die Kollegen und Kolleginnen vonne Str-r-aße abgestimmt. Wir sind nur son paar Leu-leutchen, die unser Lissi verabschieden tun. Du sollz am Fr-r-eitag wat am Grab sagen.“
Dat war der Satz, auf den ich gewartet hatte!
„Kalle, wat soll ich? Hab ich dat richtig gehört?“, brüllte ich ihn an, damit Berta dat auch gut mitkriegte. „Ich glaub du spinnz, dat mit die Grabrede beim Stani Schybulski war doch nur ma ne Ausnahme, weil keiner wat am Grab quatschen tat!“
„Willi, a-a-alle haben wir für deine Rede wat gesammelt, ha-haben sogar ne Extraschicht beim Schnorren eingelegt, ich hab 262,50 Mark im Parka.“ Er knetete verlegen seine Finger.
Kalles ekelhafte Alkoholfahne vermischte sich mit dem Mief von seinen Käsemauken und kroch langsam in meinen Riechkolben. Schrecklich!
Er kramte dat Geld aus seiner Parkatasche und legte et aufn Küchentisch. Wat fürn herrlichen Anblick!
Klar, Berta hatte natürlich allet mitgekriegt, kam aufgeregt inne Küche gerannt, begrüßte unseren Gast überschwänglich, sogar mit Handschlag und ließ dat Geld, wat zum Greifen nah aufn Tisch lag, nicht mehr ausse Augen. Selbst Kalles Gestank überroch se vor lauter Schrappigkeit. Ich ließ beide zappeln und sprach erst nach einer fast unerträglichen Kunstpause weiter:
„Hömma, Kalle, ich bin n arbeitslosen Bergmann, kein Prediger. So wat Abartiget trausse mir zu? Nee, geh mir weg! Dat iss doch kein Beruf für mich!“
Ich drehte in aller Ruhe zwei Zigaretten mit Brinkmanns Feinschnitt und schob dem Kalle eine rüber. Ich wiederholte:
„Also, Kalle, völlig ausgeschlossen, du muss dir n anderen Grabredner suchen. Schade, dat Geld könnten wir zwar gut gebrauchen, aber ich kann dat beim besten Willen nich!“ Mit sadistische Freude sachte ich dat.
Ich hatte noch nich ganz ausgesprochen, da tappte Berta voll inne Falle rein. Herrlich!
Sie schrie mit hochrotem Kopp:
„Wilhelm, wie kannze nur so unmenschlich sein! Dat iss hier n Notfall, ein Schicksal, siehsse nich, wat hier los iss? Eine arme Frau hat für immer die Welt verlassen. Die armen Menschen wünschen sich doch nur ne würdige Bestattung! Dat iss deine verdammte Christenpflicht! Du wirss dort sprechen, sonst lernze mich kennen!“
Oh, ich war jetz schwer auf Draht. Aufreizend ruhig erwiderte ich:
„Nee, Berta, nee, wat könnte ich denn schon den Suffköppen sagen? Kannze mir dat ma verraten, lass mich damit in Ruhe!“
Ich hörte im Geiste den zweiten Schlagbügel krachen. Berta wurde fast hysterisch.
„Kokolores, Wilhelm, du lässt dir sofort die Lebensgeschichte von der Lissi erzählen, ich notiere die wesentlichen Punkte, und damit basta!“
„Berta, ruhig, ganz ruhig, nur auf deine Verantwortung würde ich eventuell, aber nee, Berta, dat iss wirklich nix für mich, ich kann dat nich. Und noch wat:
Wenn sich dat mit die Trauerrede vom Stani jetz schon wie n Lauffeuer rumgesprochen hat, wat meinze wohl, wer dann noch allet hier angeschissen kommt?“
Mein lieber Scholli, Berta kam herrlich in Wallung, richtig ruppig wurde die.
„Wilhelm, sei froh, dasse noch son paar Kröten nebenbei in deine leeren Taschen stecken darfst. Dat Geld haben wir bitter nötig! Son Angebot lässt man doch nich sausen! Dat iss n Wink vom Himmel, sei also nich undankbar, die Zeiten sind schon schwer genug!“
Dat mit die Berufung von höherer Stelle hatte Berta auch geschnallt, gut so! Sie wurde immer zahmer:
„Willilein, vielleicht haben wir dann auch ma Geld fürn Telefonanschluss. Ach, Williken, vielleicht könnten wir uns auch ma ne größere Wohnung leisten, vielleicht auch die Kinder aufe höhere Schule schicken ...“
Sie schwärmte und träumte, und ich war wieder ihr Williken, nein, sogar ihr Willilein. In so traurigen Zeiten tut son liebet Wort vonne eigenen Ehegattin richtig gut.
„Hör auf zu spinnen, Berta, dir gehen die Gäule durch! Dat iss hier mit dem Predigerhonorar nur ma son Einzelfall.“ Berta schaute träumerisch zum Himmel und flüsterte bedeutungsvoll: „Wer weiß, Willi, wer weiß.“
Gezielt verzögerte ich meine Entscheidung und qualmte erst ma in aller Ruhe ne Zigarette. Beide starrten mich ungeduldig an. Nach dem letzten Zug antwortete ich wohlwollend:
„Hm, nun ja, gut, ihr habt mich überredet, so soll et denn sein. Ich will gerne meiner Christenpflicht und dem Wunsche dieser armen Menschen nachkommen. Hör gut zu, Berta. Ich frag den Kalle jetz über dat Lissi aus, und du notierst jede Einzelheit für meinen Spickzettel.
So aussem Ärmel läuft sonne Rede nich. Ich weiß doch von der Lissi überhaupt nix. Stuss reden läuft da nich, ich muss verdammt gut sein, dat iss beste Friedhofskundschaft, die Sterbefälle bei den Alkis sind vorprogrammiert.“
Den Satz hätte ich mir besser verkniffen.
Der Kalle peilte mich erschrocken vonne Seite an und brummte: „V-v-verdammter Aasgeier, hö-hö-hör auf damit.“
Bertas Augen glühten vor Ehrgeiz, nee, besser gesagt – vor lauter Geldgier. Schon bei der ersten Frage nach Lissis Alter hatte Kalle nur ne Schätzung parat:
„S-s-so zwischen Ende vierzig und A-a-anfang sechzig!“
Ja, dat fing ja schon gut an! Ich knallte wütend den Kugelschreiber aufn Tisch.
„Ey, Kalle!“, schrie ich, „wie soll ich bei so beschissenen Angaben ein vernünftiget Wort am Grab sagen, wie stellze dir dat vor? Gibt et da noch Angehörige?“
„Nee, wir sind ihre einzigen Angehörigen. Ich ka-kann dir leider nich viel erzählen. Ich weiß nur, dat se n l-l-ecker Dierken war und uns alle sehr l-l-liebte, aber noch mehr liebte se die Blümkes im Stadtpark. Wenn dat Lissi v-v-voll war, legte sie sich dort inne fr-r-frischen Blumenbeete rein. Am liebsten im Spätfr-r-rühling.“
„Kalle, hatte dat Lisbeth auch n Beruf?“
„Ja, Willi, fr-r-üher war se ma Studienrä-ä-ätin. Manchma hat se mit uns Schr-r-eiben, Le-sen und Rechnen geübt. La-la- Latein konnte die auch.
„Pec-pec-pecunia non olit“, hat se beim Schnorren aufe Bahnhofstraße gegrö-ö-ölt. Sollte wohl h-h-heißen: „Eure P-p-penunsen duften nicht schlecht.“
Er seufzte tief und schlürfte den heißen Kaffe, den Berta ihm mit nem paar Wurstkniften vorgesetzt hatte.
„Kalle“, forschte ich weiter, „um wieviel Uhr geht dat mit die Beerdigung los?“
So g-g-gegen zehn, wir ha-ben freie Hand. Wir ha-haben nach die Bestimmungen vom Frie-friedhofsgärtner dat Loch selbst gebuddelt und l-l-lassen dat Lissi am F-r-reitag ohne die Friedhofskerle mit die Seile runter. Nordfrrriedhof, Feld siebzehn, R-r-reihe sieben, Grab siebenhundertdrei.“
Kalle reichte mir nen Zettel mit die Koordinationen rüber, dann stand er stöhnend auf und peilte mich mit som flehenden Dackelblick an. „W-w-illi, du k-k-kommst doch bestimmt?“
„Jau, Kalle, ich steh Freitag um zehn bei euch aufe Matte.“ Ich brachte ihn vor die Tür.
„Hö-hömma“, sachte er da für mich, „ich w-w-wollte dat nich vor deiner A-a-alten sagen, ich vertrau dir noch son paar wichtige Ei-einzelheiten vonne Lissi an, die du in deine R-r-r-Rede nich vergessen darfs.“
Dann erzählte er mir Sachen, na ja, ob ich dat allet am Freitag bringen kann? Will ma kucken.

Autor
Wolfgang M. A. Bessel
http://www.bessel-autor.info
 
H

HFleiss

Gast
Püttmanns ehrliche Grabreden

Das soll offensichtlich Berlinisch sein? Ist es aber nicht, es ist provinziell verhunztes Berlinisch. Beispiele: Der Berliner sagt nicht "schellen", sondern klingeln oder die Tür einrennen oder so etwas. Schellen ist westdeutsch. "Wat willze" ist ebenfalls nicht Berlinisch, der Berliner sagt: "willste", also ein deutliches "t". Der Berliner hat schreckliche Schwierigkeiten mit dem Dativ und dem Akkusativ. Also würde er nicht sagen "mit den ...", sondern "mit de", da spart er sich die richtige Endung und grinst sich eens. Sowieso der Berliner Dialekt hat so reiche Bilder, die ich in dem gesamten Text wirklich vermisse.

Du hast hier eine Mischung aus Berlinisch und Hochdeutsch gewählt, die mir nicht so recht gefällt. Entweder nämlich glattweg hochdeutsch mit ein paar sprachtypischen Dialektwörtern oder Begriffen oder durchweg Dialekt - was du hier machst, stimmt hinten und vorne nicht. Vermute ich richtig, dass du kein Berliner bist? Vorsicht, das ist Glatteis.

Liebe Grüße
Hanna
 

maerchenhexe

Mitglied
Also,

ich glaube eher, dass Püttmann n echter Typ aussem Pott is. Der sacht dann aba nich:...kommst... sondern komms. Ansonsten gar nciht so übel seine Grabreden.

lg
maerchenhexe
 
H

HFleiss

Gast
Gut, Wolfgang, das war ein Missverständnis. Übers Ruhrpottisch kann ich nichts sagen. Aber dann fehlen mir die wirklichen Dialektwörter, mit denen man den Klang erst herstellen kann. Wie sonst will man Klang schreiben können?
Nein, den ersten Teil habe ich nicht gelesen, die Texte sind mir für den Bildschirm zu lang.

Liebe Grüße
Hanna
 



 
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