Püttmanns ehrliche Grabreden Folge 5

So nimm denn meine Hände

Berta und ich überlegten bis weit inne Nacht, wie wir dat Beerdigungsfest für den Hubertus Dachs würdig gestalten könnten.
Berta meinte, ich müsse ma langsam meine Trauerkleidung auswechseln, der enge Hochzeitsanzug wär nich mehr so ganz dat Richtige.
„Willi, morgen früh marschiersse zuallererst inne Bahnhofs-Pfandleihe und kucks da nach m vernünftigen schwatten Anzug. Schuhe und n weißet Hemd hasse auch dringend nötig. Mehr als zwanzig Mark darf der Kram nich kosten, hasse mich verstanden?“
Recht hatte se. Bei so vornehme Leute wie die Jäger durfte ich mich durch mein Äußeret nich lächerlich machen

Ich köppte gerade mein Frühstücksei und peilte inne Tageszeitung rein. Ich las dat Käseblatt neuerdings von hinten und dachte: Wo steht denn nur die verdammte Traueranzeige von dem Hubertus Dachs?
Aha, da isse ja. Mann, toll aufgemotzt! Dann schlug ich den Lokalteil auf. Da las ich n halbseitigen Bericht: „Jäger ohne Jagdschein erschossen auf Hochsitz...“
Jäger D. aus W., natürlich, dat war der Dachs aus Wanne. Dat durfte doch wohl nich wahr sein!
„Bertaaa!“, rief ich, „kuck ma hier inne Zeitung. ‚Jäger ohne Jagdschein …’, seltsam, Berta, höchst seltsam! Ich fahr schnell ma nach Wanne. Ich muss da dringend wat klären. Hier iss wat faul, dat wittere ich!“
Nein, ich bin nich zuerst inne Zeitungsredaktion geradelt, nee, ich fuhr direkt zur stadtbekannten Jägerkneipe „Mümmelmann“. Die Jäger saßen hier schon morgens nach dem Frühansitz und gaben sich tüchtig die Kante.
„Waidmannsheil und Glück auf“, begrüßte ich fünf grüne Frühaufsteher am Jägerstammtisch: „Darf ich mich n Moment setzen?“
„Sitz!“, befahl der Oberplatzhirsch.
„Mein Name iss Willi Püttmann, ich komme aus …“, ich brauchte gar nich weiterreden, da antworteten die Jäger im Chor: „… aus Herne.“ Nee, sonne Popolarität hätte ich hier wirklich nich erwartet. Ich schmiss ne Doppelrunde und kam zur Sache.
„Hört ma, ich soll da Freitag son paar Worte über den Hubertus Dachs sagen. Wat war da los auffem Hochsitz? Seine Alte hat mir wat von Jagdunfall erzählt und wat für’n guter Waidmann ihr Hubertus war, die hat mich mit eurer Jägersprache ganz bekloppt gemacht.“
Die Jäger lachten sich kaputt. Dann zogen die Grünröcke vom Leder.
Hubertus Dachs hätte jahrelang mit seiner Frau in fremden Revieren gewildert. Der Schurke hätte endlich seine gerechte Strafe erhalten. Familie Dachs hätte nur noch vom gewilderten Wildbret gelebt. Seine Baufirma sei seit vier Jahren pleite. Die Dachsens wären keinen Schuss Pulver wert. Frau
Dachs wäre die Gewissenlosere von beiden und betrüge schon seit Jahren ihren Mann. Die Revierinhaber ringsum könnten endlich aufatmen. Ein Strafverfahren wegen Wilderei wäre bereits eingeleitet.
Dat waren ja tolle Geschichten! Ich dankte den Jägern mit ner Doppelrunde.
„Willi, wir kommen alle zur Beisetzung. Nein, nicht wegen dem Dachs, dem Schuft, nee, nur um deine Rede zu hören, Waidmannsheil!“
Stolz wie Oskar bin ich dann ab inne Pfandleihe und kam dort bestens parat. Hab alle Klamotten für nur achtzehn Mark erstanden. Berta würde sich freuen.
Weil die Jagdkerle bekanntlich schon ma Jägerlatein erzählen,
erkundigte ich mich noch sicherheitshalber bei meinem alten Schulfreund Albert Brygulla. Der war bei der Kripo in Herne und bestätigte den Sachverhalt. Die Ermittlungen liefen noch.

Scheißegal, dachte ich. Der Dachs iss auch nur n Mensch, der muss inne Erde. Außerdem hasse ja schon dat Geld für die Rede inne Tasche. Ein Mann, ein Wort. Wenn einer inne Klemme steckt, dem helfe ich. Ja, und für dat gute Honorar mach ich auch gerne ma wat Besonderet. Hubertus Dachs war son Fall.

Ich fuhr zur Volksschule am Adolf-Hitler-Platz, oh, nee, der hieß ja jetz Schützenplatz. Herr Direktor Traugott Trampel, der Klassenlehrer von meinem Sohn Niklas, begrüßte mich überschwänglich und gratulierte zu meiner neuen beruflichen Tätigkeit als Grabredner. Dat wusste der Schleimer auch schon! Nee, dachte ich, wat iss dat hier fürn Provinzloch,
dat sich allet so schnell rumquatschen tut.
„Herr Direktor, ich bin verzweifelt, morgen muss ich n Waidmann beerdigen. Der Kunde wünscht sich zum Abschied n Jägerlied. Könnten Sie mir vielleicht mit Ihrem Schulchor ausse Patsche helfen?“
Der Mistkerl zögerte. Ich griff inne Tasche und zückte nen Zehner. „Herr Direktor, ich lass mich nich lumpen. Ich geb wat für die Schulkasse.“
„Aber, aber, Herr Püttmann, das ist doch selbstverständlich. Ich helfe Ihnen gerne. Wir haben in den letzten Wochen ein wunder-wunderschönes Jägerliedlein geprobt. Sie kennen es sicherlich. ‚Im grünen Wald, da …’“ – ich unterbrach ihn, als er mir gerade dat ganze Lied vorsingen wollte.
„Ich kenn dat Lied, dat iss goldrichtig. Dat iss dat Lied, wo der Jäger seine Knarre an den Baum knallt. Herr Direktor Trampel, gern würde ich noch mit Ihnen plaudern, ich muss mich leider sputen. Hier auffem Spickzettel steht allet für die Beerdigung drauf. Wann, wo, usw.“
Beim Verabschieden hab ich ihm die zehn Mark inne Hand gedrückt.
Wahrscheinlich hat sich der Schweinehund die inne eigene Tasche gesteckt. War mir egal, Hauptsache, der kam mit dem Chor.
Ich rief ihm noch zu: „Für dat Geld muss noch wat Ergreifendet geschmettert werden, ein Tränenlied, wat jeder kennen tut.“
Der Blödmann verbesserte mich: „Was jeder kennt, Herr Püttmann. Alles sonst vorbildlich. Ich werde den Chor selbst leiten. Stets zu Diensten. Auf Wiedersehen, Herr Püttmann."

Die halbe Nacht studierte ich die Teutsche Jagdbrauchtumslehre und war morgens für die Rede bestens gerüstet. Et konnte losgehen.
Ich schwang mich mit den neuen Trauerklamotten auf mein Fahrrad und radelte zum Friedhof. Ich traute meinen Augen nicht. Etwa hundert Leute standen da in langer Reihe und wollten von Hubertus Dachs Abschied nehmen. Ich wurde nervös, fast übel wurde mir. Sogar Presseleute lungerten mit ihren Kameras am Grab rum.
Patrizia-Eleonore Dachs stand in ihren jagdgrünen Klamotten inne ersten Reihe. Sie hatte wieder ihren schrecklichen Jagdhut auffem Kopp, von dem fiesen Dingen hing heute n schwatter Schleier über ihr hübschet Gesicht.
Mit lauter Stimme weckte ich die Trauergäste mit dem starken
Satz:
„Hubertus Dachs ist eingegangen, eingegangen in die ewigen Jagdgründe.“
Sofort hatte ich die nötige Aufmerksamkeit.
„Ich frage euch: Glaubt ihr, dat Hubertus Dachs ein Sünder war, weil er nich inne Kirche gelatscht iss, sich lieber in Gottes freier Natur aufhielt?
Nein, meine Freunde, so iss dat ma überhaupt nich.“
Ich hob mein Gesicht gen Himmel. Dat untermauerte den nächsten
Satz: „Hubertus’ frommer Blick im Wald zum Himmel war besser als dat falsche Gebet von so manch einem scheinheiligen Frömmling in euren Reihen. Dat schreibt euch ma alle hinter die Löffel! Wer von euch hat noch nie im Leben Schei …, äh, Mist gebaut, der werfe dem Hubertus den ersten Wackermann auf die Kiste drauf.
Er war mit seinen 82 Jahren noch ein verdammt guter Schütze und hat waidgerecht gejagt. Leider nich ganz legal und leider immer nur in fremden Revieren. Dat iss wohl wahr, aber, Herrschaften, ne eigene Jagd iss ja auch fürn normalen Sterblichen unerschwinglich! Ich sage euch: Dem Wild war dat egal, von wem et erlegt wurde. Die Tierleins wollten den Schuss nur nich mehr mitkriegen, vor allem nich leiden. Dat war den Tierkes sehr wichtig. Und unserem Hubertus Dachs
auch! Er schoss ne saubere Kugel, alle Tiere lagen im Knall! Nur darauf kommt et bei der Jagd an!“
Ich rief den angetretenen Jagdhornbläsern zu: „Bläsergruppe, bitte Aufstellung nehmen und dat letzte ‚Halligalli’, Verzeihung, ich meine, das letzte ‚Halali’ blasen!“ Sechs Bläser bildeten eine Reihe und waren über meine präzise Anweisung höchst erstaunt.
Nach dieser musikalischen Einlage redete ich weiter.
„Hubertus Dachs war durch und durch leidenschaftlicher Jäger. Seine Passion hat ihn sogar in den finanziellen Ruin getrieben. Jagdpassion iss Sucht, und Sucht iss ne Krankheit! Durch diese schwere Erkrankung musste er sogar seine Baufirma platt machen.“
Die Jäger inne ersten Reihe kuckten böse und murmelten sich wat Verächtlichet in ihre Bärte rein.
„Liebe Jägersleute, nehmt dem Hubertus Dachs dat nich so krumm mit seinen krummen Sachen. Er konnte seine junge, anspruchsvolle Frau doch nur noch auf der Jagd befriedigen. Sie half ihm nach besten Kräften, wenn er auf dem Hochsitz seine Büchse nich mehr hochkriegte, er war ja schließlich nich mehr der Jüngste. Auch seiner Frau solltet ihr vergeben und
sie in eure Jagdreviere einladen, dann hört dat Wildern automatisch auf.“

Die Träger ließen Hubertus Dachs mit Hörnerklang in die ewigen
Jagdgründe hinab. Dat klappte hier allet wie am Schnürchen. Die ersten Tränen kullerten.
Wo blieb nur der verdammte Kinderchor? Aha, endlich! Nee, dat gab et doch nich!
Da kam Direktor Trampel mit der halben Schule anmarschiert. Wo
sollte ich denn diesen „Fischerchor“ noch unterbringen? Blitzschnell kombinierte ich und rief mit fester Stimme: „Ey, da vorne, ma herhörn! Allet zehn Schritte zurück! Lasst den Chor durch.

Der Schuldirektor dirigierte mit gewichtiger Miene seinen Chor. Dat war unheimlich ergreifend. Mir standen Tränen inne Augen drin. Ich nahm meinen Schappoklack vom Kopp.
„Ja“, sachte ich nach der letzten Strophe, „Hubertus hätte seine leere Büchse auch besser vor son Baum gehauen, sein Leben war wirklich nur ein Traum, ein Albtraum.
Der Schulchor schmettert noch ein letztet Lied. Danach pirscht ihr Jäger alle zum Hubertus und verzeiht ihm, soweit ihr dat können tut.“
Patrizia-Eleonore Dachs verabschiedete sich als Erste von ihrem geliebten Mann. An ihrer Seite stand Oberbürgermeister Ratlos. Sie zog von ihrem Jagdhut einen Fichtenzweig und warf ihn auf den Hubertus.
Der Schulchor begann mit dem Abschiedsliedchen: „So nimm denn
meine Hände …“
Wat war denn da plötzlich in die Frau Dachs gefahren? Drehte die Frau jetz durch? Ich sah schockiert, wie die arme Frau dat Liedchen wörtlich umsetzte und tatsächlich ihre Hände weit nach vorne ausstreckte. Warum tat se dat, verdammt noch ma?
Ich hörte Handschellen klicken. Zwei Männer im Trenchcoat und
Schlapphut führten sie ab.
Der fesche Oberbürgermeister Sigismund Ratlos erhielt die gleiche Behandlung!
Die Presseleute hatten auf diesen Moment gelauert. Sie zückten
die Kameras. Blitzlichtgewitter! Die Zeitungskerle waren voll eingeweiht.

Laut Morgenpresse fand die Kripo bei der Hausdurchsuchung
den zweiten Jagdhandschuh von Frau Dachs - mit eindeutigen Blut und Schmauchspuren. Im Keller – im Keller von Oberbürgermeister Ratlos.

Autor
Wolfgang M. A. Bessel
http://www.bessel-autor.info
 



 
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