Püttmanns ehrliche Grabreden - Folge 8

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Die Inquisitte

Ich machte et mir gerade mit nem Tässken Kaffee inne Küche gemütlich.
Berta brachte mir die Tageszeitung, und ich ging wie jeden Morgen die Anzeigen mit die schwatten Kreuze durch. Schade, et war heute kein Bekannter dabei.
Ich blätterte zwei Seiten vor, da sprang mir n interessanter Artikel inne Augen rein.
Schlaue Buchforscher hatten inne geheimen vatikanischen Keller rumgestöbert und wat Bemerkenswertet rausgefunden.

„Berta, hömma zu: Die römische Inquisitte, nee, Inquisition steht da, hatte 1820 dat Benimmbuch, den ‚Knigge’, inne Buchzensur. Die guten Sitten von dem Freiherr von Knigge, widerstrebten dem Geist der katholischen Kirche’. Auch ‚Onkel Toms Hütte’ machte sich bei den Kerlen in Rom schwer verdächtig. Dat Buch sei son versteckten Aufruf für ne Revolution gewesen. Sach ma, Berta, sind die in Rom eigentlich total bekloppt?
Stell dir ma vor, du hättest damals unschuldig den Knigge gelesen, um dir für mich son paar Anstandsregeln einzutrichtern, da wärsse wahrscheinlich als Ketzerin auffem Scheiterhaufen gelandet wie die Jungfrau von New Orleans.
Hier steht noch wat, kuck ma: Die Bücher von dem Martin Luther wurden damals auch als äußerst verwerflich eingestuft. Den armen Martin hätten die frommen Brüder damals am liebsten kalt lächelnd abgemurkst.
Nur die Revoluzzerbücher von dem Charly Darwin und Hitlers ‚Mein Kampf ’ haben die Buchforscher vergeblich bei die verbotenen Bücher gesucht, iss dat nich seltsam?
Berta, glaub et mir, die Kirche hat auch heute noch überall die Finger drin und will alle Welt vorschreiben, wat se zu tun oder zu lassen hat.
Selbst inne Politik mischen die immer noch fleißig mit, und wenne nich gehorchen oder kapieren willz, bisse direkt n Ketzer.
Wat dann mit dir passiert, wirsse überhaupt nich mehr gewahr, weil dich die römische Inquisitte mit ihren neuzeitlichen Mafiamethoden ruck, zuck aussem Verkehr ziehen tut. Die Querdenker werden nich mehr öffentlich verbrannt oder gevierteilt, nee, son Ketzer von heute kriegt auffem Spaziergang unverhofft einen über die Birne oder findet sich tot unterm LKW wieder.“

Während wir so angeregt über den Zeitungsartikel quasselten, schellte dat Telefon.
„Berta, geh ma dran.“
„Willi, iss für dich, da iss son komischen Sekretär am Apparat.“
„Püttmann, Glück auf, wat kann ich für Sie tun? Termin? Kein Problem, heute 15 Uhr. Bis nachher, Glück auf.
Berta, dat war der Sekretär von som theologischen Privatdozent, wat der bloß von uns will? Hoffentlich hat man unser Gespräch von vorhin nich heimlich abgehört, und wir kriegen jetz mit die Brüder Ärger. Die schicken dich nämlich, wenne denen nich ganz koscher biss, son Exorzisten inne Bude, der dich so lange foltert, bisse nix Kritischet mehr über die Kirche quatschen tus.“
„Willi, jetz fängsse aber an zu spinnen. In unserem Haus haben die doch keine Wanzen versteckt. Vielleicht hängt der Besuch mit deinen Grabreden zusammen. Die haben nen Pick auf dich, weil du den Pfaffen int Handwerk pfuschst. Die haben dich bestimmt schon lange auffem Kieker.“
Dat war von meiner Berta verdammt logisch erklärt. Ich kriegte Muffe. Man kann dat bei die scheinheiligen Brüder nie so genau wissen, wat die im Schilde führn. Bis drei Uhr waren dat noch knapp fünf Stunden.
Hatten unsere Wände Ohren?

„Berta, dat ganze Haus wird sofort vom Dach bis zum Keller auf Wanzen und Kameras überprüft. Uns spioniert die vatikanische Mafia nich aus. Ruf die Blagen vonne Straße, die suchen mit.“
Ja, selbst den Telefonhörer hab ich auseinandergeruppt und gekuckt, ob da wat Auffälliget drinsteckte. Wir fanden im ganzen Haus keinen verdächtigen Hinweis auf Spionageaktivitäten.

Um fünfzehn Uhr hielt ein schwatter BMW vor unserem Haus. Wir beobachteten hinter der Gardine, wie ein Mann mit nem langen Staubmantel, also mit som typischen Agentenmantel, aus dem Auto stieg und schnurstracks die Treppe zu uns hochsprang. Flink, zu flink.
„Berta, der hat unser Haus bestimmt schon tagelang beobachtet, sonst hätte der Kerl zuerst ma die Hausnummer gesucht. Dat iss sehr verdächtig.
Solln wir die Tür überhaupt aufmachen?“
„Quatsch, Willi, mach dir nich inne Hose. Du hass doch dat große Reklameschild vor der Tür, dat kann man doch gar nich übersehen.“
Der Klingelton erschien mir viel lauter als sonst. Alle Sinne waren angespannt. Ich öffnete ängstlich die Haustür.

„Gott zum Gruße, Herr Püttmann, ich bin Bruder Franziskus Fröhlich. Darf ich eintreten?“
„Glück auf, Bruder Franziskus, kommen Se rein. Wolln Se ablegen? “
Er schüttelte uns ungewöhnlich lange die Flossen, Berta half ihm aussem Mantel und führte ihn in mein Büro. Ich fragte ihn:
„Bruder Franziskus, trinken Se n Pülleken Bier mit mir?“ Er lehnte mein Angebot dankend ab und bat verlegen um ein Tässchen Kaffee.

Er wirkte jetz überhaupt nich mehr geheimnisvoll, im Gegenteil, richtig sympathisch war der Kerl. Er war um die vierzig, trug n silbernet Kreuz auf seinem grauen Pullover, und seine blauen Augen passten gut
zu seinem Namen. Fröhlich blitzten sie uns an, checkten uns aber sehr genau ab.
„Lieber Bruder Fröhlich, womit kann ich dienen? Sammeln Se wat fürn guten Zweck?“
„Nein, nein, Herr Püttmann, ich komme zu Ihnen in einer sehr heiklen Mission, die absolute Verschwiegenheit gegenüber jedermann verlangt.
Mein Auftrag ist streng geheim und entbehrt nicht einer gewissen Tragik.“
„Bruder Franziskus, machen Se dat ma nich so spannend. Worum geht et denn? Und nebenbei, wat hier besprochen wird, bleibt hier inne vier Wände drin, dieser Raum iss verschwiegener als der Beichtstuhl vom Heiligen Vater. Und jetz ma raus mit die Sprache.“
„Ja, wie soll ich beginnen? Ich bin der Sekretär eines bekannten Theologen. Seine kritische Lehre war unserem Bischof und dem Heiligen Stuhl nicht genehm, man suspendierte ihn vom Priesteramt.“
Ich unterbrach ihn ma kurz:
„Bruder Franziskus, sagen Se jetz nich, dat Ihr Chef der Kirchenrebell Antonius Streitbürger iss?“
„Herr Püttmann, Sie überraschen mich. Sie sind nicht nur ein über die Gemeindegrenzen beliebter weltlicher Grabredner, sondern setzen sich auch mit dem Zeitgeschehen und der Kirche auseinander. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, ich komme tatsächlich in geheimer Mission von Hochwürden Antonius Streitbürger.“ Mir fiel der Kitt ausse Brille!

„Ihr Chef iss der bekannte Theo … äh, Theologe Streitbürger? Franziskus, ich verrate Ihnen watt, der Mann besitzt unsere ungebremste Verehrung. Der war doch der einzige Priester auffe Welt, der den Heuchlern in Rom ma gezeigt hat, wat son echten Theo …, Theologe aussem Ruhrpott drauf hat. Der machte eben nich jeden Mist mit, den die Kostümheiligen in Rom ihm auffe Augen drückten. Ich wette, dat auf Ihren Chef der Scharfrichter warten tut, um ihn als Ketzer öffentlich auffem Petersplatz zu köppen.
Aber sagen Se ma, wat hab ich und meine Familie damit zu tun? Wir können doch nix für seine vernünftigen Ansichten. Ich meine, et wär doch Opfer genug, wenn er stellvertretend für alle Ketzer im Ruhrpott dat Schafott besteigen würde, da muss er uns doch nich gleich mit reinziehen.“

„Herr Püttmann, ich bitte Sie, haben Sie keine Angst, so weit wird es nicht kommen. Mein Auftrag ist nicht nur äußerst heikel, nein, auch sehr, sehr traurig. Hochwürden lässt durch mich fragen, ob Sie an seinem Grab sprechen würden.“

„Wie? Wat soll ich? Wieso soll ich für einen lebenden Hirten der römisch-katholischen Kirche ne Grabrede halten? Ausgerechnet ich? Sie sind vielleicht gut! Sind Sie vom Messwein noch son bissken schicker?“
„Lieber Herr Püttmann, ich bin nüchtern, bitte lassen Sie mich erklären. Hochwürden ist krank, todkrank, sein Leibarzt bestätigte vor zwei Tagen, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hat.
Sie, werter Herr Püttmann, hat Hochwürden auserkoren, die Grabrede zu halten. Er will keinen Priester oder Abgesandten aus Rom am Grab sehen. Er wünscht eine weltliche Beerdigungsfeier im kleinsten Kreis.“

„Nix da, ich hab doch kein Rad ab. Dat läuft nich mit mir. Meinen Se, ich würde mich mit Rom anlegen? Die machen mich und meine Familie fertig. Nee, bestellen Se Ihrem Chef nen schönen Gruß, ich danke für dat Vertrauen, aber noch bin ich nich lebensmüde. Außerdem bin ich kein Kirchenmitglied mehr.“

„Lieber Herr Püttmann, das wissen wir. Bitte kommen Sie dem Wunsche unseres sterbenskranken Hochwürden nach. Wir haben das Thema ‚weltliche Bestattung’ zwei Tage diskutiert, er wünscht nur Sie als Grabredner. Selbst ich darf die Trauerrede nicht halten, weil ich noch zu sehr mit den starren Riten unserer Kirche verwurzelt bin.“

Jetzt mischte sich wutschnaubend Berta ein:
„Willi, du biss ein elender Feigling! Die Zeiten mit die Inquisitte sind doch längst vorbei, du kannst doch den Letzten Willen einer so angesehenen Person nich einfach ablehnen. Dat iss doch für uns ne besondere Ehre. Für son tapferen Mann, der allen Gläubigen die Augen geöffnet hat, für den wirst du am Grab sprechen, iss dat klar?“
„Berta, du hass gut reden. Wen vierteilen se denn nach der Rede, he?“
Ich bat um zwei Tage Bedenkzeit. Bruder Franziskus übergab mir n Zettel mit der Telefonnummer vom Sekretariat und ein paar Daten aussem Leben von Hochwürden. Dann lächelte er milde: „Herr Püttmann, ich habe Ihre Bedenken erwartet und in unserem kurzen Gespräch erfahren dürfen, dass Sie wirklich der richtige Mann für uns sind. Außerdem möchte ich Ihnen nicht verschweigen, dass ich eine Ihrer letzten Grabreden persönlich beiwohnte und für Hochwürden heimlich mitschnitt.
Hochwürden waren begeistert. Gott mit Ihnen.“

Bruder Franziskus dankte sehr herzlich für das Gespräch und verließ unser Haus.
Er fuhr los, und ich beobachtete, wie ihn ein schwarzer 2,5-l-Adler-Diplomat folgte.

Ich besprach mit Berta die Lage. Sie bestand darauf, dat ich ohne Honorar den Auftrag erfüllen müsse, dat wäre doch wohl selbstverständlich. Und vonne vatikanischen Bestrafung wollte sie auch nix mehr hören.

Gegen siebzehn Uhr schellte et draußen Sturm. Ich riss genervt die Tür auf, da stockte mir der Atem.
Man stelle sich dat vor! Zwei hohe katholische Würdenträger standen mit ihren langen, prunkvollen Klamotten bei uns auffe Matte. Beide hatten so kleine, runde Käppis auffem Kopp. Dat eine war rot, dat andere schwatt.
Einer stellte sich als Bischof Rabenschwarz vor und machte mich mit seinem Kumpel, Seiner Eminenz, Kardinal Höllenzorn bekannt.
Ich peilte auf den vor unserem Haus geparkten Mercedes-Pullmann, da kriegte ich fast nen Ohnmachtsanfall. Vorne rechts und links war jeweils ne gelbweiße Fahne angebracht. Ich war mir sicher, dat war die Standarte vom Vatikanstaat. Am Steuer saß n Chauffeur oder sogar der Papst höchstpersönlich. Ich konnte dat nich so genau erkennen.

Die beiden stellten sich als Abgesandte des Heiligen Stuhls vor und baten um ne kurze Unterredung.
Sicherheitshalber ließ ich mir ihre Ausweise zeigen, denn et war der 11. im 11.!
Dann bat ich die Herren höflich herein. Klar, dat ich jetz schwer beunruhigt war, so hohe Kirchentiere statteten uns nich ohne Grund nen Besuch ab. Et musste um wat ganz Wichtiget gehen. Ich kriegte Schiss.

Mich befiel nämlich plötzlich sonne seltsame Vermutung. Ich fragte vorsichtshalber ma nach: „Ma wat anderet, meine Herren, iss Ihr oberster Chef auch schwer erkrankt?“
„Nein, Herr Püttmann, der Heilige Vater erfreut sich bester Gesundheit und lässt Sie und Ihre werte Familie, auch wenn Sie nicht mehr zu unseren Schafen zählen, herzlich grüßen.“
Ich war vonne Socken.
„Wie? Sie solln uns vom Papst grüßen? Der kennt uns doch überhaupt nich. Und woher wisst ihr, dat ich ausse Kirche ausgetreten bin?“
„Mein Sohn, der Heilige Vater weiß alles und kennt Sie, lieber Herr Püttmann, ganz besonders gut. Lassen Sie uns nun über Hochwürden Streitbürger sprechen.“

Der Bischof wurde auf einmal sehr sachlich.

„Wir wissen von dem 15-Uhr-Gespräch mit Sekretär Fröhlich. Wir wissen auch über die Krankheit unseres verlorenen Sohnes Streitbürger. Wir ahnen auch, dass Sie, mein Sohn, die Grabrede halten sollen. Das wird der Heilige Stuhl aus grundsätzlichen Erwägungen unter allen Umständen verhindern. Das ist auch der Grund unseres Besuchs, mein Sohn.“

Jetz hatte ich aber die Schnauze voll:
„Entschuldigen Sie bitte, meine Herren, aber dat geht zu weit! Dat geht Sie wirklich nix an, ob ich spreche, für wen ich spreche und wat ich sprechen tu, dat iss ganz allein mein Bier. Ich bin nur meiner Kundschaft verpflichtet.
Ich bin übrigens auch nich Ihr Sohn, ich kenne meinen Vater, merken Sie sich dat.“
Die beiden kuckten mich plötzlich so durchdringend an, als wär mein Todesurteil beschlossene Sache und von Rom längst abgesegnet.
Vorsichtshalber rief ich laut nach meiner Berta, denn die beiden wurden mir unheimlich. Irgendwie ging von denen Gefahr aus, dat spürte ich.
Dat waren mit Sicherheit neuzeitliche Inquisitöre, schlimmer noch, die wirkten auf mich wie zwei leibhaftige Hufentünnesse ausse Hölle.

Berta stürzte in dat Arbeitszimmer und erstarrte vor Ehrfurcht, als sie die hohen Würdenträger erblickte.
Der Bischof hielt ihr die Hand mit dem dicken Strunzring entgegen.
Berta ignorierte dat Angebot. Ich hätte den Klunkerkuss auch verhindert. Wer weiß denn, wer dat Dingen schon allet abgeleckt hatte. Igitt, pfui Deibel, und dat bei die fiesen Krankheiten von heute.
Und außerdem – wer küsste denn noch son albernen Ring oder grüßte n alten Hut auf ner Stange? Dat hatte doch damals schon der olle Schiller dem Willi Tell verboten.

„Meine Herren, bitte kommen Se ma zur Sache. Warum wollen Se meine Grabrede verhindern? Nennen Se mir ma son paar überzeugende Gründe.“
„Gut, Herr Püttmann“, erklärte Bischof Rabenschwarz, „wie Sie wissen, ist Hochwürden Streitbürger ein unbelehrbarer Theologe, der sich mit dem Heiligen Stuhl überworfen hat. Leider ist er nicht ein einfacher Katholik, sondern ein bekannter Geistlicher, der im Sinne unserer Heiligen Kirche eine christliche Beerdigung erhalten wird.
Die katholische Welt erwartet das. Das verstehen Sie doch! Das ist eine kirchenpolitische Entscheidung. Eine Entscheidung des Heiligen Vaters in Rom.“
„Entschuldigen Se ma, Ihr habt dem Antonius Streitbürger dat Priesteramt geklaut, dat war doch auch ne kirchenpolitische Entscheidung. Und meine Entscheidung iss, dat ich die Grabrede auf Wunsch Ihres verlorenen Sohnes halten werde und kein anderer, iss dat jetz klar?
Grüßen Se den Heiligen Vater schön von Willi und Berta Püttmann aus Herne-Baukau und trinken Se mit uns zum Abschied als Geste der Versöhnung noch n kleinet Körnchen.“

„Lieber Herr Püttmann“, versuchte Kardinal Höllenzorn eine letzte Erklärung, „wir trinken gerne ein Schnäpschen mit Ihnen. Wir flehen Sie an, denken Sie doch bitte auch an die Skandalpresse, wenn Hochwürden Streitbürger eine weltliche Beisetzung erfährt! Der Heilige Stuhl würde von den Schmierfinken wieder wochenlang gedemütigt und beleidigt.“

„Liebe Kirchenmänner, dat seid ihr doch selbst schuld. Ihr habt doch den Antonius Streitbürger jahrelang als Ketzer verteufelt. Jetz auf einmal wollt ihr ihn am liebsten wieder heiligsprechen. Dat glaubt euch doch kein Schwein, äh, dat nimmt euch doch kein Mensch ab, verlogener geht et doch nich mehr!“
Rabenschwarz stand dem Höllenzorn bei:
„Herr Püttmann, so sollten wir nicht miteinander reden. Bitte lenken Sie doch ein. Wir haben Ihnen vom Heiligen Vater auch ein großartiges Geschenk mitgebracht.
Wenn Sie uns entgegenkommen, erhalten Sie eine Dauereintrittskarte für den Petersdom. Das ist aber unser letztes Angebot. Bitte überlassen Sie uns die Grabrede.“

„Nein, nix zu machen, meine Herren, mit Bestechung läuft bei Willi Püttmann schon überhaupt nix. Schämt euch, grüßt euren Chef in Rom, dat Gespräch ist hiermit beendet. Glück auf.“

Die Herren kuckten mich wie versteinert an, kippten sich wütend den Schnaps hinter die Binde und verließen uns ohne Gruß. Sie stiegen in den vatikanischen Strunzschlitten, der mittlerweile von zwei Dutzend Menschen von allen Seiten begafft wurde, und rauschten davon.

Mir war klar, dat die vatikanischen Henker von nun an überall auf mich lauerten. Sonne Demütigung ließ sich Rom von mir armseligem arbeitslosen Würstchen nich bieten.
Ich hatte zwar dat gute Gefühl, meine Seele nich verkauft zu haben, sah mich aber im Geiste schon als Märtyrer, gefoltert, gesteinigt, gekreuzigt und als Häufchen Asche in alle Winde fliegen. Ich fühlte mich innerlich einsam, verdammt einsam.

Berta zitterten die Knie. Sie war kreidebleich.
„Ganz ruhig, Berta, ich ruf ma schnell Sekretär Fröhlich an.“
Ich wählte die Nummer vom Sekretariat. Verdammt, wen hatte ich denn da am Telefon?
„Hier Streitbürger. Ach, Sie sind es, Herr Püttmann! Haben Sie sich entschieden? Sprechen Sie an meinem Grab?“
Ich schluckte, ich konnte doch nich wissen, dat mein künftiger Kunde da plötzlich inne Leitung hing, noch voll lebendig. Ich fasste mich erstaunlich schnell:
„Hochwürdigste Heiligkeit, oder wie darf ich Sie anreden? Dat iss aber wirklich schön, dat ich Sie noch ma lebend sprechen darf. Ich hatte soeben hohen Besuch aus Rom. Man wollte mich von Ihrer Grabrede unter allen Umständen abbringen.“
„Herr Püttmann, ich weiß es bereits, auch ich habe meine Beobachter. Welche Botschaft haben Sie dem Heiligen Stuhl zuteil werden lassen?“
„Ich hab die Kerle abblitzen lassen, ich bin Ihr Mann. Ich steh voll hinter Ihnen, meine Berta auch, ich soll Sie von ihr auch schön grüßen. Wir sind Fans von Ihnen, weil Sie so tapfer sind und auch aussem Ruhrpott stammen.
Wir hätten dat sehr gerne gesehen, wenn Se noch son paar Jährchen machen würden, um den scheinheiligen Brüdern in Rom die Meinung zu geigen. Haben Se schon an son Nachfolger gedacht? Der Bruder Franziskus macht doch nen ganz vernünftigen Eindruck.“
„Gut, Herr Püttmann, ich freue mich über Ihre tapfere Entscheidung. Ich muss mich jetzt ausruhen. Bis bald, mein Lieber.“
Sein „bis bald“ ging mir nich mehr aussem Kopp, die zwei Worte kratzten schwer anne Nieren!

Fünf Tage später klingelte dat Telefon: Bruder Fröhlich war am Apparat, er hörte sich traurig an.
Sein Chef war von seinem Leiden erlöst. Am Freitag um elf sollte die Beisetzung im engsten Kreis stattfinden, auffem Kommunalfriedhof in Herne, Feld vier, Wiese Nr. sieben, dat war der Platz für anonyme Bestattungen.

Der Tod von Antonius Streitbürger blieb nicht geheim. Presse, Fernsehen und viele Neugierige wollten Zeugen der Trauerfeier sein. Allet belagerte den Friedhofseingang. Die Polizei ordnete den Rummel und ließ außer namentlich gemeldeten Personen keinen Menschen durch. Oder doch?
Um dat Erdloch herum standen mit mir genau sechs Personen. Zwei Brüder und eine Schwester von Hochwürden, Bruder Franziskus, Berta und ich.

„Glück auf, liebe Trauergäste, wir nehmen heute Abschied von einem großen Theo…, theologischen Kämpfer aussem Ruhrpott. Antonius Streitbürger wollte keine christliche Beerdigung, deshalb hat er mich gebeten, diese traurige Pflicht zu übernehmen.
Er wollte keine Kränze, keine Blümkes, nur ne einfache Fichtenholzkiste mit nem schlichten schwatten Kreuz drauf. Das Grab sollte nach Südosten angelegt werden, Richtung Mekka. Der Kopf sollte gen Westen, Richtung Kaaba liegen.

Niemand aus Rom sollte wissen, wo man ihn inne Erde tut. Schon der weise Prophet Mohammed soll ma gesacht haben: ‚Dat beste Grab iss dat Grab, dat man nich sieht.’
Hochwürden wollte den scheinfrommen Glaubensbrüdern mit dieser weltlichen, fast islamischen Beerdigung nochma richtig einen zwischen die Hörner hauen.
Pastor Antonius scheute et nich, sich mit die Mächtigen im Vatikan anzulegen. Man jagte ihn aus seinem Priesteramt, weil er laut zu denken wagte. Er lehrte seine Überzeugung, anders als seine heuchelnden, kuschenden Amtsbrüder mit ihren verkrusteten Doggen …, äh …, ich meine Dogmen, oder wie man dat nennen tut.
Gut, er hatte schwer Glück, dat die römischen Inquisitöre ihn nich noch kurz vor seinem Abgang beim Wickel hatten und auffem Scheiterhaufen schmissen.
Er war für uns einfache Menschen aussem Ruhrpott ein Held, ein großet Vorbild, ein starker Ruhrpöttler.
Seine aufklärenden Worte haben viele Menschen inne Welt wachgerüttelt. Seine unbequeme Botschaft war: Man muss nich allet glauben, wat da so inne Schriften drin steht, man darf auch ruhig ma wat anders inter …, äh …, interpretitieren. So manchet biblische Ereignis soll nämlich nich so gelaufen sein, wie et später übersetzt wurde.
Unser Antonius meinte, dat man viele Bibelgeschichten nur symbolisch sehen müsste, so als mist …, äh…, mystische Begebenheiten, die vonne besten arabischen Märchenerzähler über Generationen überliefert und ausgeschmückt wurden.

Dat höchste katholische Institut in Rom hat unseren lieben Antonius Streitbürger einfach fallenlassen. Ob unser lieber Herr Jesus auch so gehandelt hätte?
Er wurde Rom gefährlich, weil lautet Denken inne kirchlichen Welt riskant und hochgradig ansteckend iss.
Wir sehen hier am Grab n treuen Wegbegleiter, den Bruder Franziskus Fröhlich, und wie ich glaube, auch n würdigen und streitbaren Nachfolger. Bruder Franziskus, bitte sprechen Sie für Ihren Chef n kleinet Gebetchen.“

Ich gab den Trägern n Wink. Sie ließen Hochwürden schön langsam inne kühle Erde gleiten und schaufelten danach schnell dat Grab zu. Sie bedeckten seine letzte Ruhestätte sorgfältig mit frischen, grünen Grasnarben und verschwanden diskret. Rein äußerlich war nix mehr vom Antonius zu sehen.

Während wir beteten, beobachtete ich ausse verkniffenen Augenwinkel zwei Kerle, die uns mit Fernglas und Kamera hinter ner dicken Linde bespinksten. Dat waren mit Sicherheit Vatikanagenten in Mönchskutten.
Die haben vermutlich mit hochempfindlichen Mikrofonen meine Rede aufgezeichnet und später dem Heiligen Vater vorgespielt.

Genauso war et.
Der iss, wie ich später aus sicherer Quelle erfuhr, total ausgeflippt, hat im Vatikan wie n Bestusster getobt, Kardinal Höllenzorn und Bischof Rabenschwarz Kerzen anne Köppe geworfen, die Versager für impotent und unfähig erklärt, degradiert und als Missionare nach Hippen-Indien gejagt.

Er ersetzte die armen Kerle durch die schlimmsten vatikanischen Finsterlinge, die aus Sizilien stammenden Bischöfe Diabolo Satanus und Inkubus Inferno.

Ja, und meine Grabrede, die landete natürlich auffen Ketzerindex und kam für vierhundert Jahre unter Verschluss, viel länger als dat Benimmbuch vom ollen Knigge
 



 
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