Return to sender

Raniero

Textablader
Return to sender

Willy Kleinweich suchte ein Internetcafe auf.
Er befand sich seit gut einer Woche mit seiner Ehefrau auf einer Urlaubsreise in den Bergen, in einer kleinen Stadt in den bayrischen Alpen. Zahlreiche Wanderungen hatten sie schon unternommen, seine Frau und er, teils auf steil geführten Bergpfaden, teils auf gemütlichen Wanderwegen im Tal.
Willy hatte all seine Eindrücke, die sich ihm in dieser ersten Urlaubswoche auftaten, zu Papier gebracht. Er galt als passionierter Reiseschriftsteller, und keine Gegend auf dem Globus, in die er seinen Fuß einmal gesetzt hatte, war vor seiner Feder sicher.
Oh, und er konnte beschreiben, was er mit eigenen Augen gesehen hatte; die Schilderung eines Sonnenaufganges in den Bergen versetzte seine Leserschaft in Hochstimmung, die Beschreibung eines Anstieges zu einem Berggipfel in den frühen Morgenstunden, noch vor Tagesanbruch, konnte die Schwingungen einer Symphonie erreichen, der Alpensymphonie von Richard Strauss.
Kurzum, seine Reiseberichte waren phantastisch und ließen manche seiner Leser sogar zu dem Entschluss kommen, die Reise gar nicht erst anzutreten, da sie sich durch die wundervollen Schilderungen Willys somit auch zu Hause in den heimischen vier Wänden in die erforderliche Stimmung versetzen konnten.

Nach gut der Hälfte seiner Urlaubszeit hatte Willy dermaßen viel zu Papier gebracht beziehungsweise auf die feste Platte seines tragbaren Computers, eines sogenannten Laptops, niedergelegt, dass er es an der Zeit fand, dieses schriftliche Gedankengut nach Hause in seine Wohnung bis hinein in die gute Stube, wo der große Heimcomputer stand, zu transportieren, auf elektronischem Wege mittels eines elektronischem Wege, einer sogenannten E-Mail.
Es war eigentlich nicht erforderlich, dass er diesen Schritt unternahm, denn all seine schönen Niederschriften wurden bereits von der ersten Zeile an auf diese feste Platte seines Minicomputers festgeschrieben, doch Willy war in dieser Beziehung ein Mann des Netzes und doppelten Bodens; Sicherheit ging ihm über alles, und warum sollte man sich nicht doppelt absichern, wenn dieses so einfach möglich war, in der heutigen supermodernen Zeit. Darüber hinaus reizte ihn die Möglichkeit, sich selbst auf diese Weise einen Brief zuzusenden, wenn auch in elektronischer Form.
Er ließ sich einen Platz zuteilen, in diesem Internetcafe, in dem es keinen Kaffee, aber dafür zahlreiche Computer und Anschlüsse zum Verschicken von Briefen in alle Welt gab. Sodann schloss er sein Laptop an einen dieser Anschlüsse in das unendliche weite Netz an, was in diesem Cafe möglich war, ohne ein Festgerät nutzen zu müssen, und schickte sich an, seine schriftlichen Urlaubsergüsse in sein Heim, zu sich nach hause, zu versenden.
Außer ihm befanden sich noch ungefähr ein Dutzend weiterer Freunde des elektronischen Briefes, teils männlichen, teils weiblichen Geschlechtes, in der Mehrzahl sehr junge Leute.
Willy startete einen ersten Versuch, sein schriftlich niedergelegtes Reisegedankengut in seinem heimischen Wohnzimmer zu installieren und sandte dieses an seine eigene elektronische Adresse, mit allen hierzu notwendigen Angaben.

Gleich der erste Versuch misslang.
Statt einer schriftlichen Bestätigung über die erfolgreiche Versendung seines Briefes bekam er zu lesen, auf dem Monitor seines kleinen Computers, dass seine Sendung den Weg in sein Heim nicht gefunden hatte, da die angegebene Anschrift unbekannt sei.
„Adress unknown“ stand in dicken Lettern unter der Fehlermeldung.
Er unternahm einen zweiten Versuch, mit dem gleichen Erfolg resp. Misserfolg; seine Anschrift in der Heimat schien nicht zu existieren, und er bekam langsam Zweifel, ob er noch selbst existierte, nach der erneuten Fehlermeldung, denn er wusste, dass sich Computer selten irren.
Aller guten Dinge sind drei, sagte sich Willy Kleinweich mit grimmiger Miene, und versuchte es ein drittes Mal. Dieses Mal erhielt er wiederum nicht die erfreuliche Mitteilung, die er erhofft hatte, nein, er bekam erneut eine Fehlermeldung, aber in einer gänzlich anderen Form als die beiden vorherigen Absagen. Statt der schriftlichen niederschmetternden Botschaft, dass es seine Adresse (und ihn selber vielleicht) gar nicht gäbe, erschien der in den siebziger Jahren verstorbene ‚King of the Rock n Roll ‚ genannte amerikanische Sänger Elvis Presley auf dem Monitor seines Laptops und begann, hüftenschwingend zu singen:
„Return to sender, adress unknown, no such a number, no such a zone!“
Willy war höchst erstaunt, dass er auf diese ungewöhnliche Weise zusätzlich erfuhr, dass er eine falsche Nummer und eine falsche Vorwahl eingegeben habe, doch schon setze Elvis zur zweiten Strophe des Liedes an, wobei er den Originaltext ein wenig veränderte und Willy direkt ansprach beziehungsweise ansang.
„You had a squarrell, a lovers spat...:
Willys Erstaunen erwuchs zur handfesten Irritation.
‚Woher weiß der Kerl nun auch noch,‘ dachte er wütend, ‚dass er eine Auseinandersetzung, ein „squarrell“ hatte?‘
Er führte in der Tat nicht nur eine Auseinandersetzung, sondern sogar einen handfesten Streit, jedoch nicht mit seiner Ehefrau, wie man vermuten konnte, auf Grund eines gewöhnlichen Urlaubskollers, nein, er hatte einen gewaltigen Krach mit seinem heimischen Computer und auch mit seinem Laptop, und es handelte sich beileibe nicht, wie Elvis sang, um einen einmaligen ‚squarrell‘, sondern um einen permanenten Kleinkrieg mit diesen Geräten.

Willy Kleinweich übte keinen technischen Beruf aus, er war ein Mann des Geistes und der schreibenden Zunft, und er hasste leidenschaftlich alles, was im Entferntesten mit Technik zu tun hatte. Auf der anderen Seite jedoch sah er ein, dass man, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben, ohne diesen neumodischen Kram wie diese Computer nicht mehr auskam. Aus diesem Grunde hatte er mit seinen Geräten, dem daheim und dem Tragbaren, eine Art Zwangsehe geschlossen, deren Basis die Hassliebe darstellte.
Er gab ihnen Zuckerbrot und Peitsche, seinen Computern und behandelte sie wie menschliche Wesen; er schrie sie an, wenn sie nicht so funktionierten, wie er es gerne hätte, und er vergoss Tränen der Freude, wenn sie es wider Erwarten taten.

Elvis beendete seinen Song von dem Brief, der sein Ziel nicht erreichte, und wackelte zum Schluss noch einmal ausgiebig mit seinen Hüften.
Sodann wandte er sich mit persönlichen Worten an den geplagten Reiseschriftsteller:
„Old boy, warum so grimmig? Don’t worry, be happy! Ich war auch niemals in meinem Leben ein Technikfreak, denn ich war ja Musiker, wie dir bekannt sein dürfte. Aber ich liebte zu meiner Zeit schon diese Fernseher. Wie du vielleicht auch weißt, hatte ich in meiner Glanzzeit in meiner Villa in jedem Zimmer ein Gerät stehen, sogar auf’m Klo. Keine fünf Meter ohne Fernseher! Ich liebte das Fernsehen, insbesondere, wenn meine Shows gesendet wurden“, fügte der ehemalige king hinzu. „sei nicht so grausam zu deinen Geräten. Don’t be cruel!“
Und schon ließ der stimmgewaltige ehemalige Rock‘n roll Sänger den gleichlautenden alten Hit folgen.
‚Don’t be cruel!‘ dachte Willy Kleinweich, als das Lied verklungen und der große King von der Bildfläche verschwunden war, ‚ich werde nicht mehr grausam sein, zu meinen Computern.‘
Er begann, in behutsamer Form auf seinen Laptop einzusprechen, in der Art, wie man ein Kind tröstet, und er steigerte sich im Verlauf seiner Trostrede zu einer mitreißenden Predigt, wie man sie von salbungsvollen Trauerfeiern her kennt.
Sodann fiel ihm ein, dass er ja noch seine Mail an das Gerät daheim loswerden wollte, und er verlagerte seine verbale Taktik. Er wählte, wie einst Orpheus vor den Wächtern des Hades einen derart flehentlichen Tonfall, dass an seinem Laptop bereits die ersten Tränen durchschimmerten. Nach gut einer Stunde flehentlicher Bitten gab der kleine Computer nach und sandte die Mail samt Anhang an seinen großen Bruder daheim in der Wohnstube.
Willy Kleinweich atmete tief durch, umarmte seinen tragbaren kleinen Freund und packte ihn behutsam ein.
Er verließ das Internetcafe mit der festen Absicht, am kommenden Tage gemeinsam mit seinem Weib eine schöne Häkeltasche für seinen Laptop zu erstehen, für die weiteren Touren in die kalte Bergwelt, und der Computer daheim sollte auch nicht leer ausgehen, eine neue Hardware vielleicht....

Willy war rundum zufrieden; endlich hatte er einen Weg gefunden, seine Computer zu lieben.
‚Andere Leute halten sich Haustiere‘, dacht er vergnügt.
 



 
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