Seestadt Leipzig

wolanders

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Seestadt Leipzig

Leipzigs Bewässerungsverhältnisse in alter und neuer Zeit

In der großen Seestadt Leipzig war einst eine Wassersnot,
Menschen stürzten ein wohl dreißig, Häuser blieben mehr noch tot.

Wogen rollen auf und nieder, Sünder haben keine Lieder,
auf dem Dache sitzt ein Greis, der sich nicht zu helfen weiß.

Und die Kranken in dem Bette, auf der Leiter steht ein Mann, der nicht höher steigen kann.

Mütter ringe mit den Händen, Kinder krabbeln an en Wänden, und ein Kind liegt in der Wiegen, auf der Rasen eine Fliegen.

Ach, wie sind die Fluten kühle, und wie düster ist das Grab! Dies erweichet mein Gefühle, drum brech' ich das Lied hier ab.


Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Unsrer guten Meßstadt Leipzig hat immer eine große Wasserader gefehlt, die die Waren billiger heranbringen könnte; und manche, die der aufstrebenden Handelsstadt, deren Handel trotz dieses Mangels immer mehr blühte, ihren Aufschwung nicht gönnten, haben sich darüber im stillen und auch laut gefreut. Seit nun ein Spötter dieses lustige Liedlein von der "großen Seestadt Leipzig" gesungen hat, ist unsre Stadt diesen Namen nicht wieder los geworden, und Fremde vor allem, die unsre schmalen Wasserläufe sehen, freuen sich heute noch dieses Scherzes und verspotten uns Leipziger gern. Sie wissen nicht, daß unsre Stadt früher, wenn im Gebirge der schnee schmolz und große Regengüsse niedergingen, oft im Süden und Westen von einem großen gewaltigen See umgeben war. Elster, Pleiße und Parthe und die vielen sich von ihnen trennenden kleinen Wasserläufe, die heute zum großen Teil zugeschüttet oder überbaut sind, die aber einst weit bis in die Stadt herein reichten, traten dann über ihre Ufer hinaus und überschwemmten weithin die Aue; der ganze Wald von Connewitz bis schleußig stand unter Wasser, so daß der Verkehr zwischen diesen beiden Vororten vollständig abgeschnitten war und die Frankfurter Wiesen, wo heute die großen Tennisplätze sind, die jetzt von dem breiten, von Zeppelin- und Hindenburgbrücke überspannten Flutkanal durchquert werden, waren in einen weiten See verwandelt, von dem man kaum das andere Ufer erblicken konnte. Seit die große, breite Flutrinne, die in der Gegend von Zwenkau beginnt, die überschäumenden Wasser der Elster aufnimmt, ist die Überschwemmungsgefahr für die bedrohten Stadteile Leipzigs viel geringer geworden, aber völlig geschwunden ist sie nicht. Noch im Jahre 1909 trat am Ende des Winters einmal so plötzliches Tauwetter mit Regengüssen ein, daß die gewaltigen Wassermassen keinen Ausweg finden konnten und fast den ganzen Stadtteil Schleußig unter Wasser setzten. Wie in Venedig fuhr man da in den Straßen auf Kähnen umher, wenn man seines Leibes Nahrung und Notdurft befriedigen wollte. Die Verbindung von der Bismarckbrücke nach dem Albertpark war abgeschnitten; denn ein breiter Strom wälzte seine Fluten aus dem Ronnenholz nach dem Palmengarten zu, weil der Damm an der Rödel gebrochen war. Geafhr für Menschen bestand im großen und ganzen nicht; aber ängstliche Gemüter jammerten doch über die Wassersnot und forderten den Spott der Mutigeren heraus. So mag es wohl auch damals gewesen sein, als der Spötter sein Lied von der Seestadt Leipzig sang. Und manches humoristische Bild gab es auch bei den Wasserfahrten in der Rödelstraße zu sehen oder an der Furt bei der Bismarckbrücke, wo ein findiger Geschäftsmann gegen Entgelt die Passanten in einem Wäglein durch den Strom fuhr oder Damen auf seinen starken Armen ans andere Ufer hinübertrug.
Wie mag es da wohl in den ältesten Zeiten, als das slawische Fischerdörflein Lipsf zwischen Elster und Pleiße entstand, oder noch früher in unsrer Leipziger Gegend ausgesehen haben? Alstrawa (Elster), den eilenden, Lupaha (Luppe), den rauschenden Fluß, nannten unsr identifizieren.

germanischen Vorfahren schon das Flüssepaar, das heute noch nebeneinander von Leipzig aus seine Wasser der Saale zuführt. Da mögen wohl größere Wassermassen sich zwischen den flachen Ufern dahingewälzt haben, neue Wasserarme, Sümpfe und Tümpel bildend, und das Gebiet zwischen Elster und Pleiße war unzugänglich, nur Sumpf und Moor. Träge nur flossen die kleineren Flüsse, Plizna (Pleiße), das schleichende Wasser, und Pardava (Parthe), der Stinkfluß, dahin. Eine Menge von Namen aus der Zeit, da die Slawen doch das unwirtliche Gebiet zu besiedeln begannen, erzählt uns heute noch von dem damaligen Zustand des Landes und von den ungeheuren Schwierigkeiten, die zu überwinden waren. Leutzsch (luci), Lützschena (lucina), Lausen (luzna) haben einen Stamm, der Sumpfdorf bedeudet; bei Lausen liegt die Sumpfwiese, die Lautschke; Blösitz und Blösen stammen von qlesica = Teich oder Sumpf; Möckern hat seinen Namen von mokrina, der Bruch, die moorige Niederung. Auch als die Deutschen die Slawen verdrängten und neue Dörfer anlegten, war das Gelände stellenweise noch sehr sumpfig. An der Nordseite reichte der Sumpf - der Brühl - von der Parthe her noch dicht bis an die Stadt heran; erst spät ist er entwässert und in das Stadtgebiet mit einbezirkt und bebaut worden. Bei Plagwitz liegt der Ritterwerder, ein dem Ritter Georg Pflug in Leipzig gehöriges, aus dem Wasser ragendes Stück Land. Bei Burghausen am Bienitz gibt es Sumpf bei Rüben nasse, bei Großdölzig Sauerwiesen; Plaußig hat einen Binsen, Zweinauendorf einen tiefen und nassen Grund. Eschen, Erlen oder Ellern und Eichen wuchsen in fülle. Flurnamen, wie der Ellrich bei Dösen, die Ellern im Parke von Zweinaundorf und bei Schleußig an der Elster, erzählen davon. Eine noch deutlichere Sprache aber redet die Anlage der Ortschaften an Elster, Luppe und Pleiße; sie lassen alle eine breite Rinne frei und liegen auf dem Höhenrande, heute sind sie sogar hier und da noch durch Dämme vor Überschwemmung geschützt.
Seid ihr einmal in dem Gewirr von Wasserarmen, Sümpfen und Lachen zwischen Elster und Luppe bei Gundorf und weiter hinaus gewesen? So sah es in alter Zeit bis an den Stadtkern heran aus. Erst im letzten Jahrhundert noch sind eine Anzahl Teiche und sümpfe verschwunden. Eure Großmütter haben sich noch gefürchtet, an dem unheimlichen Kanonenteiche bei der Sandgrube vorüberzugehen, und eure Väter und Mütter sind wohl noch auf schimmels Teiche, wo heute das Reichsgericht steht, Schlittschuh gefahren oder haben dem Fischerstechen zugeschaut. Da gurgelte es hier, da plätscherte es dort; da rieselte und murmelte es; über den Wassern brauten die Nebel; Sumpfgase stiegen auf und leuchteten in der Nacht. Menschen verirrten sich im sumpfigen Wald, versanken und wurden nicht mehr gesehen. Alte buschige Weiden umstanden, gespensterhaft ihre Zweige in die Lüfte reckend, Tümpel und Teiche. Gespensterhaft! Ja, hier ließ sichs lustig leben für die Wassermänner und Nixen. An den Zweigen der Bäume trockneten die Weiblein ihre köstliche Leinenwäsche oder bleichten sie im grünen Grase, und an den Ufern tanzten sie im Modenlichte ihren Reigen; ihre Wohnung aber hatten sie unter dem Wasser. Eine Wehmutter aus Lindenau, in dessen Umgebung besonders viel Nixen wohnten, wurde einst zu einer Nixfrau gerufen, die guter Hoffnung war; die hatte ein hübsches Heim, wie richtige Menschenkinder; da fehlte nichts in Stube, Küche und Keller, und sie wurde gut bewirtet.
 



 
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