Sehnsucht nach dem Erdbeermund

Sehnsucht nach dem Erdbeermund

Die Sonne blendete mich etwas, wodurch ich die Kreidestriche der Gleichung, die Uli anschrieb, nicht recht lesen konnte. War das nun eine Drei oder doch eine Acht, ich konnte es einfach nicht recht entziffern. Aber eigentlich interessierte es mich ja gar nicht, was für eine Zahl das nun war. Eigentlich schenkte ich meine ganze Aufmerksamkeit nur ihr, nur Uli. Mir schien als gäbe es nichts wichtigeres und vor allem nichts hübscheres als sie und da konnten mir irgendwelche, aus der anonymen Versenkung kommenden, Gleichungen gestohlen bleiben. Ihre Blicke, die Uli mit ihren wunderbar rehbraun funkelnden Augen immer wieder durch das Klassenzimmer schweifen und manchmal sogar in meinem Augenkontakt ruhen ließ, waren wundervoll. Aber mindestens genauso wundervoll waren ihre Haare, ihre dunkelblonden, fast braunen Haare, die mich an den zarten Schmelz eines Malagareises im Sommer erinnerten.
Ja -- Erinnerungen aus dem Sommer, Erinnerungen aus einem wunderbaren unvergesslichen Sommer, das verkörperte sie für mich, denn während des Landschulheimaufenthaltes im Sommer begann die Sache zwischen Uli, die eigentlich Ulrike Schmitt hieß und meine Mathematiklehrerin war, und mir so richtig. Wir verstanden uns schon seit unserer ersten Begegnung blendend, was vielleicht auch ein bisschen daran lag, dass ich ein nicht unbedingt schlechter Schüler war. Aber irgendwie war unser Lehrer-Schüler-Verhältnis von Anfang an etwas besonderes und basierte nicht nur auf der Schule.
So freute ich mich natürlich als bekannt wurde, dass Uli meine Klasse in den Schwarzwald ins Landschulheim begleiten würde und auch ihr konnte man die Freude etwas anmerken. Anfangs wurden meine Erwartungen jedoch nicht so richtig befriedigt, denn fast jeden Tag stand eine Wanderung mit dem Genuss der Natur auf der Tagesordnung. Deshalb schien es mir fast als Erleuchtung, als Belohnung, dass ich mir auf einer der zahlreichen Exkursionen den Knöchel verstaucht hatte und so für einige Tage lahmgelegt war. Ich konnte also unmöglich mit auf die Wanderung, die für den nächsten Tag geplant war und so erklärte sich Uli dazu bereit mit mir den Tag im Haus zu verbringen, was mich mit überwältigender Freude erfüllte und was auch in ihr die Vorfreude aufsteigen ließ, dass man an ihren vor Glück funkelnden Augen geradezu sehen konnte.
Als alle anderen sich auf den Weg gemacht hatten, waren wir alleine in dem Haus, alleine mit unserer Sehnsucht von der wir jedoch noch nicht wussten, dass sie da war. Aber schon bald bemerkten wir, während wir etwas plauderten, wie genau wir uns beobachteten. Uli erzählte mir, dass sie 25 Jahre alt war und dass ihr Freund vor kurzem Schluss gemacht hatte und ich berichtete, dass ich momentan ebenfalls ein paar Probleme mit einem Mädchen hatte. Wir hatten also beide zur Zeit Beziehungsstress.
Wieder sahen wir uns an, aber diesmal noch inniger. Wir sahen uns so tief in die Augen, wie wir es bisher noch nie taten. Ihre rehbraunen Augen waren fesselnd und auch ihre Haare, die durch die gelockten Spitzen etwas verwegenes hatten. Und dann geschah es. Endlich. Endlich geschah es. Sie neigte ihren Kopf etwas nach rechts und ich fuhr ihr mit den Händen durch die leichten Locken, um meine Lippen auf ihre zu legen. Es war wunderbar. Ich konnte gar nicht genug bekommen von ihrem herrlichen Erdbeermund und legte immer wieder meine Lippen auf ihre, während sie mich zärtlich umarmte. Ich war 16 und sie war 25, aber sollte dies eine Rolle spielen? Nein. Schließlich liebten wir uns. Zwischen uns war die Magie, das Band der Liebe, das nicht durch ein Alter zerstört werden sollte. Es war herrlich und wir wollten beide immer mehr davon, immer mehr, während unser Verlangen kaum zu stillen war. Das Feuer war also entfacht, das Feuer der Liebe und es loderte immer heftiger.
Uli und ich trafen uns jetzt jeden Abend. Immer erwarteten wir uns sehnsüchtig um die heftigsten, die besten Küsse auszutauschen, die uns beiden so viel bedeuteten.
Doch am letzten Abend unseres Landschulheimaufenthaltes, an dem wir uns ebenfalls trafen, war irgend etwas geschehen, irgend etwas war anders als sonst, wo doch das letzte Treffen dieser Art noch etwas ganz besonderes werden sollte. Wie immer begrüßten wir uns mit einem leidenschaftlich prickelnden Kuss, der wie immer noch besser war als die des Vorabends. Aber danach wurde Uli sofort ernst. Ziemlich schnell gab sie mir unmissverständlich zu verstehen, dass unsere Liebe keine Zukunft hatte und dass dies wohl unser letztes Treffen war. Sie begründete es damit, was für mich nicht ganz nachvollziehbar war, dass ein Schüler mit seiner Lehrerin keine Beziehung eingehen dürfe und dass es sonst Ärger von der Schulleitung gäbe. Aber sollte man deshalb einfach aufhören zu lieben. Das waren jedenfalls bisher unsere letzten Worte zu diesem Thema.
Und nun, nach etwa zwei Tagen, sitze ich wieder hier, im Mathematikunterricht meiner Geliebten und ich war mir sicher sie liebte mich auch noch. Aber wie sollte ich Uli nun bloß zeigen was ich noch für sie empfand? – Genau. Ich würde einfach hingehen und ganz ehrlich sein, ganz ehrlich, das wäre das Beste.
Ich wurde mir immer sicherer. Ich würde mit ihr reden und vielleicht erinnerte sich Uli dann wieder an den wunderbaren Sommer. So0 konnte ich bestimmt wieder ihre Sehnsucht wecken, so wie ich mich sehnte, nach ihren Erdbeermund.
 

Rainer

Mitglied
???

hallo ercule poirot,

schön geschrieben.

entweder ich übersehe etwas (das muß nicht an der geschichte liegen; meine manchmal etwas lange leitung kann auch verstopft sein), oder es bleibt die frage:
warum siehst du den text als kurzgeschichte? ich erkenne nur die skizze einer etwas ungewöhnlichen liebe.

viele grüße

rainer
 

Haselblatt

Mitglied
Oh Herz, mein Schmerz

Wenn du, mein Freund, so ein ältlicher Junggeselle wärst (wie z.B. ich), dann hätte ich dich verdächtigt, seinerzeit zu viel bei Eichendorff auf Besuch gewesen zu sein - uff:

"...die wunderbar rehbraun funkelnden Augen,
gerührt vom zarten Schmelz eines Malagareises,
in überwältigender Freude erfüllt mit vor Glück funkelnden Augen,
voll der Magie und des Feuers der Liebe, das immer heftiger loderte,
in endlos geweckter Sehnsucht nach ihren Erdbeermund..."

Also liebkoste dich die Muse in bodenloser Süße!

Auf der anderen Seite darf ich anmerken, dass es (für mich!) ein hoffnungsvolles Signal ist, wenn es einen Nachwuchs an Romantikern gibt, der mutig genug ist, seinen Gefühlen verbalen Ausdruck zu verleihen. In diesem Sinne: Lass dich von meinem Geätze nicht entmutigen, aber tu beim nächsten Mal weniger Honig aufs Brötchen!
 



 
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