Späte Erkenntnis

MarenS

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Späte Erkenntnis

Die Erkenntnis ähnelte in ihrer Wirkung einem Blitzschlag, der gleichzeitig ihr Hirn wie auch ihr Ich mit voller Wucht traf. Da stand es schwarz auf weiss gedruckt! Gedruckt in einem Buch, das sie zu Beginn dieser Reise in aller Eile erstanden hatte, um sich die Zeit während der Bahnfahrt zu vertreiben. Ein Buch, das ihr eher der Zufall...oder war es das Schicksal? in die Hände gespielt hatte. Sie hatte sich im Bahnhofsbuchhandel lange nicht entscheiden können, nichts schien passend, nichts sprach sie an und dann dieses Buch, dessen Titel in ihr wie eine Verheißung für ihre Reise klang!
Sie hatte auf der Hinfahrt schon gut die Hälfte des Buches verschlungen, der Inhalt entsprach durchaus ihren Hoffnungen. Während des Aufenthaltes jedoch hatte sie kaum Muße das Geschehen innerhalb des Einbandes weiter mitzuverfolgen und so genoss sie es, sich, nach mit neuen Eindrücken gefüllten Tagen, in der Ruhe der Bahnfahrt der wunderbaren Spiegelwelt dieser Literatur zu widmen.
Mehr und mehr fesselten sie die Parallelen der Handlung zu ihrem Leben. Nicht, dass sie sich mit der Hauptfigur indentifiziert hätte, nein, und doch immer wieder diese Ähnlichkeit im Verhalten, dieses schweigende Verstehen, das Erkennen der eigenen Fehler, der eigenen Nichtakzeptanz. All` das hätte sie jedoch nur leicht verwundert zur Kenntnis genommen, es gibt sie, diese Zufälle, diesen Wink des Schicksals mit dem Zaunpfahl.
Doch dann dieser Blitz, schmerzhaft und doch befreiend. Da stand es, gnadenlos in Worte gefasst, was sie seit Monaten, seit Jahren immer wieder erfolgreich verdrängt hatte und erst in den letzten Wochen vage ahnte; die Formulierung noch im Unreinen, die Wertigkeit noch nicht erfasst, von Auswirkungen noch weit entfernt.
Da stand dieser Satz, der ihr den Atem nahm, ihr grausame Gewissheit gab und sie doch zugleich erleichterte, ihre Ängste und forschenden Überlegungen auf den Punkt brachte:
"Er hat all` das, was dich ausmacht, nie geliebt!"

09.05.04
MarenS
 

sohalt

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Aber:
Hätte sie so einen Satz nicht jederezeit in jeder beliebigen Ratgeber-Kolumne jeder beliebiger Frauenzeitschrift finden können?
Daraus einen Wink des Schicksals zu konstruieren... ach, ich weiß nicht.

lg
sohalt
 

MarenS

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...wie du so schön schreibst: "hätte"...Konjunktiv...! Denn sie liest keine Frauenzeitschrift, sie hätte diesem Satz, so sie ihn in einer solchen Zeitschrift entdeckt hätte, keine Bedeutung beigemessen, denn es war ja nicht der Satz allein, der die Wirkung tat.
Reduzierte ich es auf diesen Satz...von der Wirkung her...so wäre der Text vor diesem Satz völlig für die Füße. Aber nein...es ist ja die Reise, die sie überhaupt erst ein Buch suchen lässt, das Lesen des Buches, dieser Gedanke, der langsam hoch gespült wird aus seiner Verbannung und der dann mit dem Lesen dieses Satzes plötzlich klar vor ihr steht.

Irgendwie drängt sich mir das Gefühl auf, du hast den Anfang und den letzten Satz gelesen und daraus resümiert:
oweh, ne Frauenherzschmerzgeschichte!...schmunzel

Dir lieben Dank für den Kommentar,
Grüße von Maren
 



 
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