Tante Neles Briefe

Inge Anna

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Tante Neles Briefe

Lob an die fleißige Verwandte,
die Briefe schrieb und auch versandte;
kam Post aus Hamm von Tante Nele,
sprang Jubel in die Alltagsseele;
ergeben schwieg die Hausarbeit,
es wuchs und blühte Heiterkeit.

Man brauchte sich nicht anzustrengen,
Schreibfehler gab's in rauhen Mengen;
ja, Tante Neles Schreibmixtur
war die begehrte Angelschnur.
Wir fischten nach den Leckerbissen,
die Hungrige nicht darben ließen.

Sie half dem Wort den Berg hinauf,
war's störrisch, kriegte es eins drauf;
es mußte sich zusammenreißen
brav in den sauren Apfel beißen;
denn hier trieb Neles Meisterhand
die Feder forsch durch freies Land.

Ihre Zähigkeit in Ehren,
sie trotzte aufgezwung'nen Lehren;
für sie galt einzig und allein,
die Herrin des Papiers zu sein
und das geduldige Papier
war schwach und unterwarf sich ihr.

Klaglos purzelten die Sätze
auf die von ihr bestimmten Plätze;
bedauernswerte Kreaturen,
die ihren Niedergang erfuhren;
und noch ein weiterer Verdruß:
Wo saß das Haupt, wo stand der Fuß?

Mit Feuereifer schrieb die Tante,
auch wenn's an allen Ecken brannte;
furchtlos lenkte sie das Schiff,
dem Griffel bangte vor dem Riff;
das Komma blieb im Sperrgebiet,
dem Punkt gewährte sie Kredit.

Alle Patzer anzustreichen
bot Zerstreuung ohnegleichen.
Wir wieherten wie Ackerpferde
mitten hinein in diese Herde;
auf solche Weise Spaß zu haben
brachte den lahmsten Gaul zum Traben.

Vier Seiten Holper-Stolper-Glück,
fein hingekleckst, vor und zurück;
jedoch ein Ende mußte sein,
dies sah selbst Tante Nele ein;
und unter einem dicken Strich
befand die Grußkolonne sich.

Längst kommen keine Briefe mehr
von Tante Nele, bitte sehr!
Sie ist mit fünfundsiebzig Jahren
im Ehehafen eingefahren;
doch hin und wieder ruft sie an:
Die Feder führt stilvoll ihr Mann.
 



 
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