Nicholas Cyphre
Mitglied
Tod an der Bar
Über dem Meer ging die Sonne unter, und Pedro setzte sich an die Bar und bestellte einen Absinth.
„Wie geht’s?“, fragte der Wirt.
„Nicht schlecht, nicht schlecht“, sagte Pedro und zündete sich eine Zigarre an. Er trug seit vier Tagen dieselben Kleider. Er hatte sich nicht gewaschen, sein langes, schwarzes, seidiges Haar hing schwer und feucht in Strähnen um das ausgemergelte Gesicht.
„Wie lange noch?“, sagte der Wirt und schaute ihn an.
„Ich weiß nicht. Ein paar Stunden – ein paar Tage? Warum nicht?“ Pedro paffte genüsslich. „Vielleicht länger“, sagte er, aber er glaubte nicht daran. Unter seinem Hemd, zwischen Gürtel und Bauch, fühlte er kalt die Pistole.
„Wenn es soweit ist“, sagte Pedro, „dann ist es soweit. Scheiß drauf“
Die Sonne war jetzt nicht mehr über dem Horizont, und das Meer schimmerte rötlich. Pedro setzte langsam an und trank von dem milchig-grünen Getränk. Kühl fuhr es durch seinen Körper, und ein bitteres Feuer wärmte ihn.
Die Bar lag am Strand, einige hundert Meter vor dem Küstendorf. Es waren nur wenige Gäste da, aber spät am Abend pflegte sie gut besucht zu werden. In einer Ecke, abseits vom Licht, saß ein alternder Schriftsteller mit Namen Nicholas Donner und trank ein Bier. Vor ihm lag aufgeschlagen eine zerlesene Zeitung vom Vortag. Nicholas Donner hatte einen dichten weißen Vollbart und vernarbte Hände. Er hatte seit Jahren nichts mehr geschrieben. Heute trank er nur, und manchmal prügelte er sich und redete von seiner großen Zeit, aber die war lange vorbei. Als Nicholas Donner Pedro an der Bar sitzen und Absinth trinken sah, ging er vor und setzte sich neben ihn.
„Was trinken sie?“, fragte der Schriftsteller.
Pedro nickte über sein Glas.
„Noch einen“, sagte Nicholas Donner zum Wirt, „und einen für mich.“
Dann sagte er zu Pedro: „Wissen sie, das ist Michel. Er wird von seiner Frau verprügelt.“
Michel, der es gehört hatte, kam vor.
„Mais non“, sagte er, „sie verprügelt mich nicht. Ich bin es, der sie verprügelt. Sehen sie, sie hat ein blaues Auge. Deshalb war sie seit drei Tagen nicht in der Stadt, und auch nicht in der Kirche heute morgen. Sie hat ein blaues Auge, es ist angeschwollen, und sie schämt sich. Aber dann heißt es, sie verprügelt mich, ich weiß nicht, warum dieser alte Mann es erzählt. Er hat einen Narren daran gefressen. Nicht wahr, Mister Donner?“
Nicholas Donner schwieg und schaute verträumt aufs Meer. Michael stellte die beiden Gläser hin und verschwand.
Hinter ihnen, auf der Straße, hielt ein Auto. Darin saßen drei Männer.
Pedro nahm einen großen Schluck. Die Pistole fühlte sich fest und gut an auf seinem Bauch, und es juckte ihn, sie herauszuziehen.
„Wissen sie, meistens bleibe ich bis morgens, und trinke dann einen Kaffee.“, sagte der Schriftsteller, aber eigentlich sprach er mit sich selbst, „es gibt hier keine Mädchen. Was führt sie hierher?“
„Ich bleib nicht lang.“, sagte Pedro, als schwere Schritte von Militärstiefeln auf der Treppe zu hören waren.
Sie waren zu dritt. Der Russe und zwei andere, die er nicht kannte. Der Russe hatte mächtige Schultern und einen schwarzen Schnurrbart. Sein Hemd war offen, und in seiner Hose steckte ein Revolver. Er trug eine Sonnenbrille. Die beiden anderen waren viel kleiner, sie sahen wie Zwillinge aus. Sie hatten keine Pistolen, aber sie hatten lange, sehnige Arme und hässliche Hände. Ihre dunklen Haare waren zu Zöpfen gebunden.
„Pedro“, sagte der Russe. Pedro blieb sitzen. „Docteur“, sagte der Russe nun lauter, „steh auf.“
Pedro presste seine Lippen aufeinander, dass sie weiß waren. Unter dichten Brauen brannte ein verzehrendes Feuer in seinen Augen. Er hielt das Glas fest, um nicht zu zittern.
Dann stand er auf. Es war still in der Bar. Nicholas Donner wich ein paar Meter zurück. Michel war erstarrt. Der Russe war ein Riese.
„Komm mit“, sagte er.
„Wohin?“
„Raus.“
„Nein.“
Pedro stand starr. Er bebte.
„Hör zu, docteur. Ich weiß, dass du gut bist. Du bist nicht schlecht. Du bist gut. Du hast immer für unsere Sache gekämpft, und du hast Walter geholfen. Du bist nicht schlecht, aber du hast Scheiße gebaut, Pedro. Du hast Scheiße gebaut, und Walter will dich nicht mehr sehen. Und wir wollen dich auch nicht mehr sehen. Entweder hier, oder draußen. Aber, verfluchte Scheiße, ich werd’s tun. Also -?“
Pedro bewegte sich nicht.
„Was ist mit Maria?“, sagte er trocken. Der Russe war wütend.
„Es ist scheißegal, was mit Maria ist. Vielleicht ist sie tot. Vielleicht auch nicht. Das kann dir egal sein. Walter macht es, und es geht dich nichts mehr an.“
Pedro schüttelte den Kopf.
„Es ist nicht egal.“
Dann drehte er sich um. Seelenruhig setzte er sich wieder an die Bar. Er griff nach dem Glas und trank. Der Russe tobte, aber er wollte sich nicht vorführen lassen. Nicht vom docteur. Pedro dachte, dass er nicht nach der Pistole greifen konnte, weil der Russe viel zu schnell war. Walter hatte keinen Idioten geschickt. Aber, dachte Pedro, ich gebe ihm nicht die Genugtuung, mich einfach abzuknallen. Ich habe keine Chance, aber ich werd den Teufel tun und es ihm leicht machen, dem Hurensohn. Was haben sie mit Maria gemacht? O Gott, hoffentlich haben sie sie erschossen. Hoffentlich lebt sie nicht, dachte Pedro, Herr Jesus Christus, lass sie nicht leben, nicht unter ihnen, nicht so.
Er hörte, wie der Russe seine Pistole zog. Also doch, dachte er und trank den Absinth.
Die Kugel kam unter seinem Auge heraus und das Glas zersplitterte in seiner Hand. Der docteur war tot. Leblos sackte er auf die Theke, und sein Blut floss zu beiden Seiten hinunter.
Der Russe schoss kein zweites Mal. Er sah, dass der Mann tot war.
Als er mit den Zwillingen ins Auto stieg, war das Meer tiefblau wie der klare Nachthimmel.
Über dem Meer ging die Sonne unter, und Pedro setzte sich an die Bar und bestellte einen Absinth.
„Wie geht’s?“, fragte der Wirt.
„Nicht schlecht, nicht schlecht“, sagte Pedro und zündete sich eine Zigarre an. Er trug seit vier Tagen dieselben Kleider. Er hatte sich nicht gewaschen, sein langes, schwarzes, seidiges Haar hing schwer und feucht in Strähnen um das ausgemergelte Gesicht.
„Wie lange noch?“, sagte der Wirt und schaute ihn an.
„Ich weiß nicht. Ein paar Stunden – ein paar Tage? Warum nicht?“ Pedro paffte genüsslich. „Vielleicht länger“, sagte er, aber er glaubte nicht daran. Unter seinem Hemd, zwischen Gürtel und Bauch, fühlte er kalt die Pistole.
„Wenn es soweit ist“, sagte Pedro, „dann ist es soweit. Scheiß drauf“
Die Sonne war jetzt nicht mehr über dem Horizont, und das Meer schimmerte rötlich. Pedro setzte langsam an und trank von dem milchig-grünen Getränk. Kühl fuhr es durch seinen Körper, und ein bitteres Feuer wärmte ihn.
Die Bar lag am Strand, einige hundert Meter vor dem Küstendorf. Es waren nur wenige Gäste da, aber spät am Abend pflegte sie gut besucht zu werden. In einer Ecke, abseits vom Licht, saß ein alternder Schriftsteller mit Namen Nicholas Donner und trank ein Bier. Vor ihm lag aufgeschlagen eine zerlesene Zeitung vom Vortag. Nicholas Donner hatte einen dichten weißen Vollbart und vernarbte Hände. Er hatte seit Jahren nichts mehr geschrieben. Heute trank er nur, und manchmal prügelte er sich und redete von seiner großen Zeit, aber die war lange vorbei. Als Nicholas Donner Pedro an der Bar sitzen und Absinth trinken sah, ging er vor und setzte sich neben ihn.
„Was trinken sie?“, fragte der Schriftsteller.
Pedro nickte über sein Glas.
„Noch einen“, sagte Nicholas Donner zum Wirt, „und einen für mich.“
Dann sagte er zu Pedro: „Wissen sie, das ist Michel. Er wird von seiner Frau verprügelt.“
Michel, der es gehört hatte, kam vor.
„Mais non“, sagte er, „sie verprügelt mich nicht. Ich bin es, der sie verprügelt. Sehen sie, sie hat ein blaues Auge. Deshalb war sie seit drei Tagen nicht in der Stadt, und auch nicht in der Kirche heute morgen. Sie hat ein blaues Auge, es ist angeschwollen, und sie schämt sich. Aber dann heißt es, sie verprügelt mich, ich weiß nicht, warum dieser alte Mann es erzählt. Er hat einen Narren daran gefressen. Nicht wahr, Mister Donner?“
Nicholas Donner schwieg und schaute verträumt aufs Meer. Michael stellte die beiden Gläser hin und verschwand.
Hinter ihnen, auf der Straße, hielt ein Auto. Darin saßen drei Männer.
Pedro nahm einen großen Schluck. Die Pistole fühlte sich fest und gut an auf seinem Bauch, und es juckte ihn, sie herauszuziehen.
„Wissen sie, meistens bleibe ich bis morgens, und trinke dann einen Kaffee.“, sagte der Schriftsteller, aber eigentlich sprach er mit sich selbst, „es gibt hier keine Mädchen. Was führt sie hierher?“
„Ich bleib nicht lang.“, sagte Pedro, als schwere Schritte von Militärstiefeln auf der Treppe zu hören waren.
Sie waren zu dritt. Der Russe und zwei andere, die er nicht kannte. Der Russe hatte mächtige Schultern und einen schwarzen Schnurrbart. Sein Hemd war offen, und in seiner Hose steckte ein Revolver. Er trug eine Sonnenbrille. Die beiden anderen waren viel kleiner, sie sahen wie Zwillinge aus. Sie hatten keine Pistolen, aber sie hatten lange, sehnige Arme und hässliche Hände. Ihre dunklen Haare waren zu Zöpfen gebunden.
„Pedro“, sagte der Russe. Pedro blieb sitzen. „Docteur“, sagte der Russe nun lauter, „steh auf.“
Pedro presste seine Lippen aufeinander, dass sie weiß waren. Unter dichten Brauen brannte ein verzehrendes Feuer in seinen Augen. Er hielt das Glas fest, um nicht zu zittern.
Dann stand er auf. Es war still in der Bar. Nicholas Donner wich ein paar Meter zurück. Michel war erstarrt. Der Russe war ein Riese.
„Komm mit“, sagte er.
„Wohin?“
„Raus.“
„Nein.“
Pedro stand starr. Er bebte.
„Hör zu, docteur. Ich weiß, dass du gut bist. Du bist nicht schlecht. Du bist gut. Du hast immer für unsere Sache gekämpft, und du hast Walter geholfen. Du bist nicht schlecht, aber du hast Scheiße gebaut, Pedro. Du hast Scheiße gebaut, und Walter will dich nicht mehr sehen. Und wir wollen dich auch nicht mehr sehen. Entweder hier, oder draußen. Aber, verfluchte Scheiße, ich werd’s tun. Also -?“
Pedro bewegte sich nicht.
„Was ist mit Maria?“, sagte er trocken. Der Russe war wütend.
„Es ist scheißegal, was mit Maria ist. Vielleicht ist sie tot. Vielleicht auch nicht. Das kann dir egal sein. Walter macht es, und es geht dich nichts mehr an.“
Pedro schüttelte den Kopf.
„Es ist nicht egal.“
Dann drehte er sich um. Seelenruhig setzte er sich wieder an die Bar. Er griff nach dem Glas und trank. Der Russe tobte, aber er wollte sich nicht vorführen lassen. Nicht vom docteur. Pedro dachte, dass er nicht nach der Pistole greifen konnte, weil der Russe viel zu schnell war. Walter hatte keinen Idioten geschickt. Aber, dachte Pedro, ich gebe ihm nicht die Genugtuung, mich einfach abzuknallen. Ich habe keine Chance, aber ich werd den Teufel tun und es ihm leicht machen, dem Hurensohn. Was haben sie mit Maria gemacht? O Gott, hoffentlich haben sie sie erschossen. Hoffentlich lebt sie nicht, dachte Pedro, Herr Jesus Christus, lass sie nicht leben, nicht unter ihnen, nicht so.
Er hörte, wie der Russe seine Pistole zog. Also doch, dachte er und trank den Absinth.
Die Kugel kam unter seinem Auge heraus und das Glas zersplitterte in seiner Hand. Der docteur war tot. Leblos sackte er auf die Theke, und sein Blut floss zu beiden Seiten hinunter.
Der Russe schoss kein zweites Mal. Er sah, dass der Mann tot war.
Als er mit den Zwillingen ins Auto stieg, war das Meer tiefblau wie der klare Nachthimmel.