Trampen mit M.

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Lakritze

Mitglied
Es war Sommer, ich war jung und ich war noch nie getrampt. Das, meinte M., könne man ändern. Er reiste ausschließlich auf diese Weise, das fand er billig und unterhaltsam. Also zogen wir los, Ziel: Amsterdam. Was auch sonst?

»Wenn wir erst auf der Autobahn sind«, meinte M., »dann sind wir eigentlich schon da.« Nach zweieinhalb Stunden an der Auffahrt zur Bundesstraße hielt endlich jemand. Wir arrangierten uns mit einem halben Hausstand auf dem Rücksitz und schwiegen etwas mit der Fahrerin und ihrem Freund.

»Viel Glück«, wünschten sie uns zum Abschied an der Raststätte.

Den nächsten fanden wir schnell, einen Geschäftsmann, Anzug und Krawatte. Seine Augen leuchteten ein bißchen auf, als er uns sah; klar könnten wir mitfahren, bis Köln, gerne. Das Auto war ein Sportwagen, kaum Kofferraum und fast kein Rücksitz für uns, unsere Rucksäcke und das Zelt. Auf dem Beifahrersitz saß eine blonde Frau mit Miesmund. »Ich will nicht, daß hinterher was dreckig ist«, sagte sie zur Begrüßung. Dann schwieg sie so eisig, daß wir den Fahrer baten, uns doch am nächsten Rastplatz wieder rauszulassen. Wir wollten ihm ja keine Schwierigkeiten machen. Der Geschäftsmann schickte uns einen entschuldigenden Blick nach; als der Wagen losfuhr, hörten wir Frau Miesmunds schrille Stimme …

»Rastplatz,« meinte M., »schwierig. Wir werden nehmen müssen, was geht.« Das war dann ein LKW. Der Fahrer hieß Kalle und freute sich über die Gesellschaft. Er war auf dem Weg von Portugal nach Dänemark; das fuhr er jede Woche. Und seine freien Tage verbrachte er gleich »da unten, is schön waam da, und billjer wie hier.« Sein Führerhäuschen war seine Junggesellenwohnung. »Wat hab isch’n Beruf — den ganzen Tach in Sessel sitzen und ausm Fenster gucken!« Dann lachte er zahnlückig. Wir schlossen ihn ziemlich ins Herz und genossen den Blick auf die Autobahn. Zum Abschied öffnete er den Laderaum und schenkte uns jedem eine Packung »escht pottugiesche Kekse«, die wir später wegwarfen; sie bestanden aus Zucker und Zusatzstoffen und waren ungenießbar.

Dann stiegen wir in den Wagen eines Pärchens, der vor Techno vibrierte. Daß wir einen Fehler gemacht hatten, ahnten wir, als der Fahrer im dritten Gang auf der Beschleunigungsspur überholte. Als ihm seine Beifahrerin das erste Bier öffnete, machte M. mir hektische Zeichen. Das Radio dröhnte, die beiden brüllten sich an: Er solle nicht so viel trinken; er könne trinken, soviel er wolle, und sie solle ihm noch eins aufmachen, blöde Kuh. Wir klammerten uns an unsere Sitze. Am nächsten Rastplatz (M. war übel) ging er Bier holen, und sie erklärte uns, ihr Freund sei eigentlich ein ganz Lieber. Als er dann sah, daß wir unser Gepäck aus dem Kofferraum klaubten, versuchte er noch, uns das Auto zu verkaufen. Wir lehnten ab und machten uns aus dem Staub.

Weiter kamen wir erst viel, viel später, im gepflegten Oldtimer eines Kunstsachverständigen mit lichter Frisur. Der wollte zwar leider nicht nach Amsterdam, aber nach Holland schon, »was auch sonst«. Wir entschieden uns also aus praktischen Gründen für Maastricht; der Kunstsachverständige und M. fachsimpelten über Zappa und Steely Dan, während ich auf der Rückbank einschlief.

Maastricht hatte einen Zeltplatz unter Sternen, bucklige Gassen, einen Supermarkt und ein Kneipenschiff; es war sehr hübsch und beschaulich und ein bißchen romantisch.

Nach eineinhalb Tagen ging es zurück, hinter karierten Vorhängen im Wohnmobil eines älteren holländischen Ehepaars. Die beiden meinten, wir hätten Glück. In den Niederlanden könne man nicht trampen, da nehme einen kein Mensch mit.

Dann kam der Augenblick der Trennung: wir mußten in unterschiedliche Richtungen weiter. M. patrouillierte auf der Raststätte und sprach reihenweise Fahrer an, bis er einen gefunden hatte, der nur eine Stadt von meiner entfernt wohnte. Er trug ein gestricktes Käppchen, im Auto lief Reggae, und auf der Rückbank schlief ein Bernhardiner. »Mit dem kannst du fahren, der hat einen Hund,« bestimmte M., »er setzt dich dann am Bahnhof ab. Und ruf mich an, egal, wie spät es ist.«

Ich fuhr also mit dem kleinen, rundlichen Mann. In der Stunde, die wir zusammen hatten, hörten wir Reggae, ich streichelte die Hündin, die Bismarck hieß, und er erzählte mir von seiner Anklage wegen sexueller Belästigung. In ein paar Tagen sei die Verhandlung, das mache ihm schon arg zu schaffen.

Schließlich brachte er mich nicht bis zum Bahnhof in seiner, sondern zu dem in meiner Stadt, weil ich ihm so nett zugehört und nicht »irgendwie doof reagiert« hätte. Bismarck wachte kurz auf und guckte treu, als ich ausstieg.

Als ich M. hinterher von meiner Heimreise erzählte, spürte ich ihn durchs Telefon erbleichen.

Heute nehme ich auf langen Strecken den Zug. Auch nicht schlecht, was die Geschichtenausbeute angeht, aber an diese Reise mit M. reicht irgendwie nichts heran.
 

Eva

Mitglied
Trampen mit M

Hallo Lakritze,
die Geschichte ist sehr gut gelungen, - unterhaltsam und amüsant, es macht Spaß, sie zu lesen. Wann gibt es die nächste?
Liebe Grüße, von Eva.
 

Lakritze

Mitglied
Danke, Eva! Das war mein erster Kommentar, und gleich ein netter (-- ich hoffe, ich habe zum Antworten den richtigen Knopf erwischt).
Ich muß mich hier erst noch ein bißchen umschauen und herausfinden, wie was geht; dann schreibe ich weiter. Grüße!
 

Eva

Mitglied
Trampen mit M

Mir geht's ganz ähnlich (mit dem Zurechtfinden), - bin auch ein Neuling auf diesen Seiten. Aber wirklich: ich hab richtig Freude an deinem guten Ausdruck gehabt. Du kannst so erzählen, daß man sich alles richtig gut vorstellen kann. Tschüß, Eva.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo lakritze,
von mir ein herzliches willkommen in der ll.
ich kann mich leider meiner vorrednerin nicht anschliessen.

deine "schreibe" ist gefällig. tempo,rhythmus sind angenehm,
allein ich werde nicht mitgerissen vom prot. .
da passiert viel, mal halten sie dort mal da, aber ich sehe
keine entwicklung, sehe keine problematik, die sich verdichtet,
die sich erschließt.

und gerade der plot mit dem " sexuellen Belästiger", de scheint mir doch zu aufgezwungen.

Wie soll ich sagen, es liest sich rund aber es ist mir zu rund...

( nicht böse seine)

lg ralf
 

Lakritze

Mitglied
Hallo Ralf, danke Dir! Fürs Willkommen und für die Kritik. (Wieso sollte ich böse sein?) So "rund", wie sie ist, wird die Geschichte bleiben; allerdings werde ich wohl den letzten Absatz verändern; der Hopser auf die Metaebene gefällt mir nicht.

Ich hätte den Text nicht unter "Kurzgeschichten" einsortiert, ich wollte ihn unter "Kurzprosa" veröffentlichen. Ohne Spannungsbogen ist er nämlich wirklich keine Kurzgeschichte, da hast Du völlig recht.
 

Lakritze

Mitglied
Es war Sommer, ich war jung und ich war noch nie getrampt. Das, meinte M., könne man ändern. Er reiste ausschließlich auf diese Weise, das fand er billig und unterhaltsam. Also zogen wir los, Ziel: Amsterdam. Was auch sonst?

»Wenn wir erst auf der Autobahn sind«, meinte M., »dann sind wir eigentlich schon da.« Nach zweieinhalb Stunden an der Auffahrt zur Bundesstraße hielt endlich jemand. Wir arrangierten uns mit einem halben Hausstand auf dem Rücksitz und schwiegen etwas mit der Fahrerin und ihrem Freund.

»Viel Glück«, wünschten sie uns zum Abschied an der Raststätte.

Den nächsten fanden wir schnell, einen Geschäftsmann, Anzug und Krawatte. Seine Augen leuchteten ein bißchen auf, als er uns sah; klar könnten wir mitfahren, bis Köln, gerne. Das Auto war ein Sportwagen, kaum Kofferraum und fast kein Rücksitz für uns, unsere Rucksäcke und das Zelt. Auf dem Beifahrersitz saß eine blonde Frau mit Miesmund. »Ich will nicht, daß hinterher was dreckig ist«, sagte sie zur Begrüßung. Dann schwieg sie so eisig, daß wir den Fahrer baten, uns doch am nächsten Rastplatz wieder rauszulassen. Wir wollten ihm ja keine Schwierigkeiten machen. Der Geschäftsmann schickte uns einen entschuldigenden Blick nach; als der Wagen losfuhr, hörten wir Frau Miesmunds schrille Stimme …

»Rastplatz,« meinte M., »schwierig. Wir werden nehmen müssen, was geht.« Das war dann ein LKW. Der Fahrer hieß Kalle und freute sich über die Gesellschaft. Er war auf dem Weg von Portugal nach Dänemark; das fuhr er jede Woche. Und seine freien Tage verbrachte er gleich »da unten, is schön waam da, und billjer wie hier.« Sein Führerhäuschen war seine Junggesellenwohnung. »Wat hab isch’n Beruf — den ganzen Tach in Sessel sitzen und ausm Fenster gucken!« Dann lachte er zahnlückig. Wir schlossen ihn ziemlich ins Herz und genossen den Blick auf die Autobahn. Zum Abschied öffnete er den Laderaum und schenkte uns jedem eine Packung »escht pottugiesche Kekse«, die wir später wegwarfen; sie bestanden aus Zucker und Zusatzstoffen und waren ungenießbar.

Dann stiegen wir in den Wagen eines Pärchens, der vor Techno vibrierte. Daß wir einen Fehler gemacht hatten, ahnten wir, als der Fahrer im dritten Gang auf der Beschleunigungsspur überholte. Als ihm seine Beifahrerin das erste Bier öffnete, machte M. mir hektische Zeichen. Das Radio dröhnte, die beiden brüllten sich an: Er solle nicht so viel trinken; er könne trinken, soviel er wolle, und sie solle ihm noch eins aufmachen, blöde Kuh. Wir klammerten uns an unsere Sitze. Am nächsten Rastplatz (M. war übel) ging er Bier holen, und sie erklärte uns, ihr Freund sei eigentlich ein ganz Lieber. Als er dann sah, daß wir unser Gepäck aus dem Kofferraum klaubten, versuchte er noch, uns das Auto zu verkaufen. Wir lehnten ab und machten uns aus dem Staub.

Weiter kamen wir erst viel, viel später, im gepflegten Oldtimer eines Kunstsachverständigen mit lichter Frisur. Der wollte zwar leider nicht nach Amsterdam, aber nach Holland schon, »was auch sonst«. Wir entschieden uns also aus praktischen Gründen für Maastricht; der Kunstsachverständige und M. fachsimpelten über Zappa und Steely Dan, während ich auf der Rückbank einschlief.

Maastricht hatte einen Zeltplatz unter Sternen, bucklige Gassen, einen Supermarkt und ein Kneipenschiff; es war sehr hübsch und beschaulich und ein bißchen romantisch.

Nach eineinhalb Tagen ging es zurück, hinter karierten Vorhängen im Wohnmobil eines älteren holländischen Ehepaars. Die beiden meinten, wir hätten Glück. In den Niederlanden könne man nicht trampen, da nehme einen kein Mensch mit.

Dann kam der Augenblick der Trennung: wir mußten in unterschiedliche Richtungen weiter. M. patrouillierte auf der Raststätte und sprach Fahrer an, bis er einen gefunden hatte, der nur eine Stadt von meiner entfernt wohnte. Er trug ein gestricktes Käppchen, im Auto lief Reggae, und auf der Rückbank schlief ein Bernhardiner. »Mit dem kannst du fahren, der hat einen Hund,« bestimmte M., »er setzt dich dann am Bahnhof ab. Und ruf mich an, egal, wie spät es ist.«

Ich fuhr also mit dem kleinen, rundlichen Mann. In der Stunde, die wir zusammen hatten, hörten wir Reggae, ich streichelte die Hündin, die Bismarck hieß, und er erzählte mir von seiner Anklage wegen sexueller Belästigung. In ein paar Tagen sei die Verhandlung, das mache ihm schon arg zu schaffen.

Schließlich brachte er mich nicht bis zum Bahnhof in seiner, sondern zu dem in meiner Stadt, weil ich ihm so nett zugehört und nicht »irgendwie doof reagiert« hätte. Bismarck wachte kurz auf und guckte treu, als ich ausstieg.

Als ich M. hinterher von meiner Heimreise erzählte, spürte ich ihn durchs Telefon erbleichen.

Heute nehme ich auf langen Strecken den Zug. Auch nicht schlecht, aber an diese Reise mit M. reicht irgendwie nichts heran.
 

Eva

Mitglied
Trampen mit M

Hallo Lakritze, ich muss mich nochmal melden. Vielleicht hab ich zu wenig Erfahrung in der Branche oder sind die Geschmäcker eben einfach verschieden. Aber ich finde, daß deine Geschichte auch ohne den so oft diskutierten Spannungsbogen gut gelungen ist. Ich fühlte mich dabei gut unterhalten, auch wenn es mich nicht vor Spannung zerrissen hat.
Überhaupt fände ich es mal sehr interessant, von andern zu hören, ob nicht auch Geschichten eine Berechtigung haben, die einfach schön erzählt werden, die gemocht werden, weil der gute Satzbau, die gewählten Worte wirken. Natürlich darf das alles nicht einschläfernd sein, aber mich stört in der heutigen Zeit ein bißchen, dass immer nur Spannung bzw. Action gefordert wird. Runde Sachen, alles, was harmonisch ist oder endet, wird so häufig abgelehnt. Warum eigentlich? Vielleicht stehe ich mir meiner Meinung allein auf weiter Flur, - wer will, kann mir gerne auf die Sprünge helfen.
Tschüß, Eva.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo eva,
da du in deinem schreiben bezug auf meine kritik nimmst,
fühle ich mich berufen – in aller kürze- denn hier ist nicht der ort dafür
(das wäre das forum ) etwas zu ergänzen.
kritik ist immer subjektiv und betrifft stets den text und nicht den autor.

spannung ist nicht action, und ein spannungsbogen ist m. e. stets ein teil einer
kurzgeschichte.
Eine kurzgeschichte hat in der regel einen plot, der die geschichte auflöst,
z.B. weil der prot sich auf druck der ereignisse ändert, oder auch nicht ändert.
Da gibt es unzählige möglichkeiten.

Im vorliegenden stück ist die ausgangssituation eine reise. das ist gut gewählt.
Eine reise implementiert ortswechsel und personenwechsel, ohne das sie erklärt werden müssen, weil sie eben bestandteil einer reise sind.
der leser begleitet hier den prot auf den weg nach holland und zurück.
ihm begegnen orte und personen.
aber es passiert nichts. der prot durchreist einfach nur die strecke
der plot mit dem sexualverbrecher ist doch arg erzwungen. wirkt für mich aufgesetzt.


so bleibt der hauptakteur für mich kaum greifbar. ich fühle nicht mit ihm und deswegen
fällt es mir schwer ihn durch die geschichte zu begleiten.

in der vorliegenden form erinnert mich der text mehr an eine tagebuchskizze.
allerdings, und auch das hatte ich schon erwähnt ist der schreibstil von lakritze gefällig.

dir einen lieben gruß
ralf
 

Lakritze

Mitglied
Nochmals: Danke fürs Ausführen. Und: vollkommen richtig, dieser Text ist keine Kurzgeschichte; eher so etwas wie ein Fotoalbum. Er ist hier falsch. Ich werde aber keine Kurzgeschichte daraus machen.

Den Schuh, daß die Protagonistin wenig greifbar bleibt, ziehe ich an -- Porträts sind bei mir oft arg implizit, so daß es anstrengend wird. Bekannte Baustelle ...
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo kakritze,
möglicherweise dauert es ein wenig um sich hier in der ll zurecht
zu finden.
Meiner eigenen Erfahrung nach - ich bin jetzt ein gutes Jahr dabei - wurde mir hier viel geholfen.

Nichtsdestotrotz kann es vorkommen, das geschichten gar nicht oder nur schlecht bewertet werden.
Das mit dem bewerten ist halt so ne Sache und die sollte man nicht zu genau nehmen.

Ich persönlich schreibe nur dann etwas zu Geschichten wenn ich in ihnen etwas finde, das mich anspricht.
Wenn ich schweige habe ich auch nichts zu sagen.

Auf eine erquickliche Zusammenarbeit hier

lg
Ralf
 



 
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