Trash

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R. Herder

Mitglied
Trash


Wenn einer wochenends den Rahmen der Arbeit verlassen will, so betritt er ihn erneut. Er folgt dem operationalisierten Bewusstsein seiner Bedürfnisse. Der Alkohol entblößt deren Brüche. Ein Schema: Was alle wollen, will er ebenso. Das liegt in der erfundenen Natur der Sache. In der produzierten Natur der Sache. Beats und Bässe in Kinderclubs bilden den Soundtrack zum Verlangen nach stumpfer Lust. Denn Freiheit ist die Wahl zwischen Konsum und Konsumtion.

Einer ist struktural funktionalisiert. Oder funktional strukturalisiert. Seine Werbung um das blondeste der Weibchen wird erfolgreich sein. Werbung ist erfolgreich. Mit mathematischer Eleganz, Bier im Blut und Noise im Hirn, spult er Standard-Instrumente von der Zunge. Er ist die unabhängige, sie die abhängige Variable. Sie weiß um ihre Funktion, darum liefert sie, die Arme unter den Brüsten, wasserstoffliche Informationen. Weiteres verläuft strikt programmatisch.

Wenn einer sagt, dieses, jenes will er so, dann ist das falsch. Das kann er nicht wissen. Öl in ein Glas gefüllt, verdrängt die Luft darin. In einem Zeitroman: Systemisch und systematisch wird alles Außen ins Innere gespült. Das ist die bestellte Segregation vom Prozess. Zu finden im Katalog für Statisches und Statistiken. Nebenwirkungen nicht auszuschließen. Ein mimetischer Strip im Augenblick der Geburt forciert die Festigung alles Institutionalisierten. Und das ist alles.

Einer sitzt, wiederum montags, im Büro und dreht sich dauernd um. Es ist nichts an der Wand, von den introjizierten Psychosen luftschnappender, weil überflusswürgender Organisationen abgesehen. Sein tabellarisches Wirken ist symptomatisch für die Nutzlosigkeit einer behaupteten List der Vernunft. Er ist eingedämmt auf Lebensbasis. Er dreht sich dauernd um und ist von Mal zu Mal noch fester überzeugt, dort müsse etwas sein, dort müsse jemand stehen.

Wenn einer den zuckrigen Colapelz der Zulieferwissenschaften im Maul verspürt, studiert er zweifelsohne Brotloses. AstA-Arbeiter, APO-Gläubiger, Marx-Versteher, Kunst-Werkelnder, Idealismus-Ideologe, Bunt-Haariger, Anderthalb-Dimensionaler, Stuben-Protestler, Sozialkapitalist, Ungewaschener. Untertan des Bachelor, halbherziger Hinterfrager. Hirnfick-Reproduktion für Puristen, so basisdemokratisch wie ehemals, ein Bier in der Hand, das Fließband im Kopf.

Einer will die totale Verwaltung. Paragraphen sind ins Herz gestochene Tatauierungen. Pragmatische Arbeitsteilung wird zur praktischen Automation des Humanapparats. Der Computer ist die Verlängerung des Menschen. Umgekehrt. Der Mensch ist die Verlängerung des Computers. Er will sich gewinnbringend vermieten, versteigern, verkaufen. Im Zweifelsfall mit sich selber konkurrieren. Den Preis drücken. Natürlich gibt es dafür Regeln und Gesetze. Er ist ein glücklicher Herr.

Wenn einer in seinem Heim die Füße hochlegt, wird der Alltag zur Primetime, wird er entlohnt mit Falschheit, die nur Wahrheit sein darf. Die Farbsättigung seiner Umwelt lässt sich stufenlos bestimmen. Hier genügt kausales Denken. Finger drauf, krasses Rot. Aus seinen Augen, von seinen Lippen läuft und tropft der Geifer paparazziger Idiotie. Da kann er nichts für. Es sieht nur beschissen aus. Ständig in Spiegel zu starren, ohne zu wissen, dass es sich um Spiegel handelt, lässt einen so werden.

Einer folgt der mustergültigen Konzeption von Bourgeoisie. Jedenfalls kommuniziert er dergleichen. Die endgültige Ausdifferenzierung, soll heißen Vereinheitlichung des Selbst, zugunsten der Effizienz aller Produktionsmittel, ist sein ebenso ausgesprochenes wie wenig wirksam reflektiertes Anliegen. Notwendig ist sein Kniefall vorm technisierten Fluss der Dinge ohnehin, warum also: warum nicht konsequent. Flexibel, mobil, kreativ, innovativ, reaktiv, spontan ist er. Selbstredend ausgestattet mit angemessenem Habitus.

Wenn einer dem medialen Modell von Leib und Geist Folge leistet, findet er sich im Fitnessstudio. Dort wird der private Corpus eigener Äußerlichkeiten in die öffentliche Meinung transferiert. Die Theorie der Immanenz – gesetzt, die Innenwelt sei einverleibt von jener mächtig großen Zahl – wird anhand Hanteln und Bänken gefeiert. Verschiedene Messungen inklusive. Audiovisuelle Indoktrinationen sollen die eigentliche Indolenz der Citoyen zugleich fördern und maskieren.

Einer muss die Dimensionen wahrhaftig ökonomischer Wirtschaftlichkeit begreifen. Es gilt, die Sophismen der Philantropie zu zerstören. Ein kleiner Zug in die Lunge, ein großer Zug für den Markt. Die Verqueren sind Geschwüre, sind Tumore in der geraden Existenz Seiner Heiligen Welt- und Weitläufigkeit. Einer muss die Unausweichlichkeit der optisch einwandfreien Sklaverei begreifen. Es drehen sich die Umstände und Begebenheiten kreisförmig. Einer muss. Trash.
 

HerbertH

Mitglied
Hallo R. Herder,

Klingt nach schwindender Frustrationstoleranz, vermutlich im Uni-Büro in den Geisteswissenschaften.

Aber mal im Ernst: pointiert und bissig ist es.

Gefällt mir.

Herbert
 
H

Hakan Tezkan

Gast
bissig triffts, das nenne ich mal eine kritik an der gesellschaft auf höchstem, intellektuellen niveau.
eine tolle abhandlung, objektiv gesehen, mich trifft sie aber nicht. warum, das kannst du dir wahrscheinlich denken. ich mag es sentimentaler;)
es spielt sich hier alles auf der ebene der vernunft ab, es scheint mir fast, dass du die eigentliche unmenschlichkeit komischer weise, ohne gefühle, also dem eigentlich menschlichem, darzustellen versuchst. sicher, hier gibt es grundsatzentscheidungen, was ist menschlich, was ist es nicht, blablabla. ich mag es aber lieber wenn mein blut rast oder gefriert, ach ich bin so ein pathetisch veranlagter mensch.
nun ja, trotzdem erkenne ich die qualität, mich stumpfen aber die etlichen fremdwörter und fast schon mathematischen herangehensweisen ab, du kriegst mich irgendwie nicht gepackt. so, ich glaube, ich beginne, mich zu wiederholen.
wird "konsumtion" nicht eigentlich "konsumption" geschrieben? ach, meine rechtschreibung ist auch nicht die beste. naja, hier hast du deine denkende schreibe auf jeden fall ganz stark aufleuchten lassen.
guter text.

wünsch dir was.

lg,
hakan
 

R. Herder

Mitglied
Ob mein Erzähler Trash ist, ich weiß es nicht. Ebenso wenig wohl genügt er höchsten intellektuellen Ansprüchen. Er legt auch keine Abhandlung vor.
Vielleicht pisst er bloß ein bisschen in bekannte Rinnen. Stimmt, das klingt nach schwindender Frustrationstoleranz.
Ob er dabei bissig genug ist, da bin ich wiederum nicht sicher. Wirklich bissig, Céline-bissig - da geht noch was, bestimmt.

Danke an euch, Herbert und Hakan.


Grüße,
René.
 

Milko

Mitglied
text

hallo wehrte gesellschaft
bissig im sinne von biß
nein
böse gar herablassend
nein
schwer verdaulich
jein
ein text der sich und nur für sich steht
( was sollte wohl aus dem satz.....ein text der sich..?)
trash
ja
ein text der (?) an die wand stellt und die exekutive nur auf den ausführungsbefehl wartet

doch es sind nicht die täter die schiessen
einfach dumme jungs
die eine familie brauchten
feuer frei
das frage zeichen fällt zu boden
und ver
endet

klasse text r.herder
( hast du lust kolumnen zu schreiben / - ich glaube so was wäre doch was für dich !)
gruss milko
 

Carlo Ihde

Mitglied
Ohne die Fremdworte, die richtig bemerkt an und für sich noch nicht das "hohe Niveau" verbürgen können, hat der Text astreinen Lesebühnen-Duktus. Gleiche Aussagekontexte findest du in Berlin in jeder zweiten Straße.

So allerdings wie es hier steht, also mit Fremdworten und der Gefahr, dass sie Abwehrhaltung beim Durchschnittsleser erzeugen, hab ich das bisher nirgendwo gelesen. Schade, dass dein genuiner Stil kein Massenpublikum hat, denn mich hat der Text äußerst gut unterhalten.
 

R. Herder

Mitglied
Kolumnen schreiben? Keine schlechte Idee. Wirklich nicht. Allein, ich fürchte, die will keiner lesen. Allerdings: das macht ja nüscht.

Zu den Fremdworten. Ich bin gewillt zu sagen, dass mir so ziemlich jedes Wort wie ein fremdes vorkommt. In diesem Text wär es eine größere Verbiegung meinerseits gewesen, hätt ich auf sie, die offiziellen Fremden, verzichtet.

Ein Massenpublikum werd ich mit dergleichen zweifelsohne nicht erreichen. Dazu kommt aber auch: ich bin nicht gut genug. Vielleicht: noch nicht, vielleicht: schlicht nicht.


Und: mich freut euer Lob, Carlo, Milko, sehr!

Danke für eure Kommentare,
in Verbeugung,
René.


PS: Dank auch an Justina für die Bewertung.
 



 
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