Treue bis ans Grab

erzählt von Sir Charles Blackwood

Vor rund 25 Jahren war ich im Süddeutschen auf Geschäftsreise. Es war Herbst, das Wetter schon eher wie im November und es kam, wie es kommen mußte. Eines Tages erwischte es mich mit einer bösen Bronchitis und ich sah mich gezwungen, einen Arzt aufzusuchen, um nicht am nächsten Tag flach zu liegen.
Ich erinnere mich noch, als wäre es erst gestern gewesen. Eine alte Praxis in einer Kleinstadt. Als ich nach der Anmeldung ins Wartezimmer ging, war es brechendvoll. Zum Glück erwischte ich noch einen der letzten freien Stühle. Meine Beine taten weh, der Husten ließ meine Brust schmerzen. Als ich mich setzte, hatte ich das Gefühl, nicht mehr aufstehen zu können. Das volle Wartezimmer versprach eine lange Wartezeit. Während ich so halb vor mich hin dusselte, vernahm ich das Gespräch zweier Hausfrauen. Menschen, wie man sie tausendfach auf dem Dorf sieht. Frauen, die sich kennen, die an jeder Ecke, an jedem Platz, zu jeder Tageszeit den neuesten Tratsch erzählen und auch immer etwas vom Nachbarn wissen. Und während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, vernahm ich, was sich die Frauen erzählten.

„Du Erna. Hast du schon gehört, der Schmäder Peter, der ist doch letztens gestorben.“
„Ja.“
„Du kennst doch auch den Hasso, oder?“
„Du meinst, den braunen Schäferhund von ihm?“
„Ja, der ihn immer morgens zum Amt begleitet hat.“
„Ja, der hat doch immer vor dem Rathaus gesessen und gewartet, bis er wieder rauskam, oder?“
„Genau der!“
„Nur hat er nicht gewartet, sondern ist wieder nach Hause getrottet und hat ihn dann immer schlag 4 Uhr Nachmittags abgeholt. Da konnteste die Uhr nach stellen.“
„Ja, und als der Schmäder Peter den Herzkasper hatte, da kam er ja ins Krankenhaus und ist eine Stunde später gestorben.“
„Und.“ Desinteressiert hörte sich die Stimme der Nachbarin an. Schien dies doch keine Sensationsgeschichte zu sein, die man direkt weiter erzählen konnte.
„Ja, der Hasso, der ist dann 4 Wochen, stell dir einmal vor, einen ganzen Monat lang, jeden Abend schlag vier zum Amt, um sein Herrchen abzuholen.“
„Ach, das wußte ich ja gar nicht.“ Langsam wurde sie wieder wach.
„Ja, stell dir vor. Und dann war er weg. Keiner hat mehr den Hund gesehen.“
„Iss ja ein Ding. Und dann?“
„Ja, dann eines Tages – da lag er tot auf dem Grab des Schmäder Peter. Verhungert war er und ganz verzottelt.“

Nun, die Frauen wechselten das Thema und ich wurde bald aufgerufen. Doch die Geschichte ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Sie schien auf dem ersten Blick schlüssig, ja absolut nachvollziehbar. Hat man doch schon oft von der Treue eines Tieres bis in den Tod gehört. Um sicher zu gehen, habe ich die Geschichte nachgeprüft. Beim Rathaus, bei der Presse und auch bei der Polizei hat man die Geschichte so bestätigt. Verwundert machte ich mich auf die Heimreise. Doch eines konnte ich nicht erklären: Woher konnte der Hund wissen, wo sein Herrchen begraben war? Wie hat er zu der letzten Ruhestätte hingefunden?

So, und jetzt entscheiden Sie selber:
Kann es sein, das diese Geschichte, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag, der reinen Wahrheit entspricht? Oder habe ich Sie einfach nur geschickt hinters Licht geführt? Vieles ist doch bei näherer Betrachtung anders, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Ist es ein moderner Mythos, der selbst Fachleute in die Irre führt?
 



 
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