Unerwünschtes Lob

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Unerwünschtes Lob


Abteilungsleitersitzung beim Hauptpostamt.
Teilnehmer: Herr Dr. Eilers, Amtsleiter – Herr Ruwegg, Oberpostrat – die Herren Longsam und Träger, Posträte – Frau Behabig, Posträtin – Frau Kugel-Schreiber, Protokollführerin


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Eilers:
Und nun zum letzten Punkt der Tagesordnung. Als Leser des „Odenwälder Boten“ sind Sie vermutlich alle auf das neueste Erzeugnis von Tadellober* gestoßen, der uns mit seiner Lobhudelei „Sonderstempel für die Post“. nach meiner Ansicht einen Bärendienst erwiesen hat. Was meinen Sie, Ruwegg ?

Ruwegg:
Also ich habe mich eigentlich drüber gefreut. Endlich mal ein Lob von der Presse !

Eilers:
Das ist eben das Fatale !. Als sich vor einigen Wochen ein Postkunde in einem Leserbrief anerkennend über unseren Service ausließ, war mir das durchaus angenehm. Ich habe mich neulich dazu auch vor der Belegschaft geäußert.

Longsam:
Mit Erfolg, wie man sieht: nur noch freundliche Gesichter an den Schaltern.

Eilers
Aber wie lange halten das unsere Leute durch !?

Träger:
Ich habe da auch so meine Bedenken. Erste Anzeichen von Überforderung unserer Mitarbeiter habe ich bereits festgestellt. Frau Markee von Schalter 5 hat mir kürzlich eine sehr patzige Antwort gegeben.

Frau Behabig:
Irgendwo muss man ja den Frust abladen.

Träger:
Auch Frau Klug vom Info-Schalter gelingt es nicht mehr recht, ihren Charme zu bewahren. Ihr sonst so gewinnendes Lächeln weicht zunehmend einem eingefrorenen Grinsen. Am Ende tragen sie nur noch Masken, unsere Mitarbeiter. Und in dieser heiklen Situation gießt dieser Tadellober Öl ins Feuer, indem er die Erwartungshaltung unserer Kundschaft noch weiter anheizt. Freundlichkeit lässt sich nicht beliebig steigern.

Ruwegg:
Ja, was machen wir denn nun?

Longsam:
Lässt sich das Rad vielleicht noch zurück drehen?

Eilers:
Frau Kugel-Schreiber, auch Ihre Meinung ist gefragt !

Frau Kugel-Schreiber:
O, danke ! Jaa – Ich würde gar nichts unternehmen und gar nicht mehr an dem Thema rühren. Dann wird sich alles von allein normalisieren.

Eilers:
Jawohl Frau Kugel-Schreiber. Sie haben’s erfasst !

Ruwegg:
Ich fürchte, dann haben wir sehr bald wieder den alten Schlendrian.

Eilers:
Immer noch besser als durchgedrehte Mitarbeiter.

Frau Behabig:
Außerdem käme der Betriebsrat vielleicht noch auf die Idee, für freundliche Gesichter eine Gehaltszulage einzufordern.

Eilers:
Nicht auszudenken ! Die Sitzung ist geschlossen.


Eilers versprach Frau KugelSchreiber eine Gehaltserhöhung für ihren Vorschlag des Nicht-tätig-Werdens, und dann schrieb er Tadellober, dem er schon immer mal die Meinung sagen wollte, einen Brief:


Sehr verehrter Herr Tadellober !

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Wir können Ihre Laudatio nur so verstehen, dass Sie uns partout zum allerfreundlichsten Postamt Hessens machen wollen. Wir lassen uns aber nicht nötigen. Eine Spitzenposition müsste verteidigt werden, und den damit verbundenen Stress wollen wir unseren Mitarbeitern nicht zumuten.
Diese werden also künftig ihre Freundlichkeit nur noch dosiert verströmen – also unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie.
Sie müssen sich also nicht wundern, wenn Sie bei Ihren nächsten Besuchen gelegentlich wieder verdrießliche Gesichter hinter den Schaltern antreffen. Unsere Leute machen dann gerade ihre Entspannungsübungen.

Mit freundlichen Grüßen

Eilers, Amtsleiter

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*Dahinter verbirgt sich die schillernde Persönlichkeit eines im südhessischen Raum agierenden Journalisten.
 

Juhser

Mitglied
Lob ist unerwünscht?

An einem Samstag vor knapp 2000 Jahren wurde geklärt, dass das Gesetz für den Menschen da ist, nicht der Mensch für das Gesetz (Markus 2:23-28).
Eberhard Schikora wendet in seinem Dialog diese Erkenntnis auf unsere Geschäftswelt an: Ist das Lächeln für den Menschen oder der Mensch für das Lächeln?
Zwischen den Zeilen entdecke ich die Frage, ob unsere Existenz ein Produkt aus beiden Faktoren ist:
Mensch*Lächeln = Unsere Existenz ?
Wäre auch nur einer der beiden Faktoren gleich Null, müssten wir als Menschen aufgehört haben zu existieren.
Guter Gedanke, Herr Schikora. Auch wenn er teilweise zwischen den Zeilen steht!
 



 
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