Unser südlicher Nachbar

Pnirff

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Ich weiß nicht, wie oft ich schon mit meinem Herz auf unsere Terrasse gesessen und den Abend genossen habe. Unzählige Male, würde ich schätzen und auch heute noch setzen wir uns ab und zu auf die Staukiste für unser Brennholz, die über die Jahre mangels Pflege an Farbe und Lack verloren hatte.

Der Blick geht über unsere zukünftige Wiese, die derzeitig eher an einen Bauplatz erinnert, bis hin zu unserem Nachbar. Bevor mein Herz bei mir eingezogen ist, kannte ich nicht einmal den Namen des Herrn, der Familie oder wen auch immer, der dort sein Dasein fristete und eigentlich hatte ich mir auch nie Gedanken über die angrenzenden Grundstücke und der dort wohnenden Menschen gemacht. Das änderte sich schlagartig, als Alex die nachbarschaftliche Kommunikation und die zwischenmenschliche Beziehungspflege übernahm.

Eines Tages, wir saßen auf unserer maroden Holzkiste, erzählte sie mir von Horst und Gudrun (Namen sind hier aus Respekt vor Privatsphäre geändert worden). Die beiden hätten ein Pferd, nein, sogar zwei Pferde und das wären richtige Muskelpakete, hübsch und gesund. Nett wären die beiden auch und bei einem Kurzplausch von über 1 ½ Stunden hätte sie erfahren, dass sie ein Kind haben, eine Katze, dass der Vormieter bis Oktober noch Wohnrecht hätte, er immer zu Hause sei und so weiter und so fort. Wahnsinn, was Frauen in dieser kurzen Zeit an Information sammeln und Wahnsinn, wie viele Informationen sie in 5 Minuten wieder loswerden können. Gespannt schaute sie mich an, was ich ihr mitteilen könnte und erzählt Ihr von meinem Vorhaben, einen neuen, natürlich tollen Wagen zu leasen. „Hah!“, dachte ich. Der Nachbar hat sicherlich nur eine alte Karosse, auch wenn er zwei schöne Pferde hat. Leg‘ Dich nicht mit mir an.

Der nächste Tag sollte mich eines besseren Belehren, als ich dieses Mal alleine auf unserem Platz saß, rollte ein neuer Mercedes als Geländewagen die Auffahrt hoch und obwohl viele Bäume zwischen dem Grundstück und meiner Position wuchsen, könnte ich das Fabrikat genau erkennen. Extra langsam fuhr der Angeber, damit ich auch ja jedes Detail erkennen konnte. Sauber, akkurat gepflegt und in schwarzer Farbe, wie es mein Herz mag. Nachdem Horst seinen Wagen fachmännische parkte, hörte ich kurze Zeit später ein wesentlich stärkeres Motorengeräusch und ein Ungetüm von einem Radlader Marke „John Deere“ ratterte auf die Nachbarweide, ebenso Checkheft gepflegt und im glänzendem grün-rot lackiert. Unruhig rutschte ich auf meiner Kiste hin und her und versuchte aus den Augenwinkeln zu erkennen, ob Alex das gleich sah, wie ich. Zu meinem Glück war sie in der Küche beschäftigt. „Dieser Aufschneider“, pfiff ich durch meine Zähne. Sicherlich hat er sich den nur geliehen und der Mercedes ist bestimmt ein Firmenwagen. Anders kann das nicht sein. „ beruhigte ich mich, nahm unser neu erworbenes Pfluggerät von Aldi für 27 Euro und schmiss den Elektromotor an, nur um dem „Möchtegernnachbarn“ zu zeigen, dass wir Profiware an Bord haben. Dass er das säuselnd weibliche Motorengeräusch auf seinem martialischen „John Deere“ nicht mal zur Kenntnis nehmen würde, wenn ich auf dem Heck des Ungetüms stände, störte mich nicht weiter.
Am nächsten Morgen klingelt mein Wecker früh und ohne das übliche Recken und Strecken fuhr ich aus dem Bett, zog meine Hose auf dem Flug ins Badezimmer bis unter meinem Bauchnabeln, strich mir zweimal durch die Haare, um mich gleich danach in meiner Waffenkammer wieder zu finden. Hier liegen sie alle, unsortiert, aber sie sind vorhanden. Elektrokettensäge, Flex, Aufsatzrasenmäher der Marke Honda mit 102 cm Schnittfläche und fette 20 PS, Häckselmaschine mit Starkstrom, zusätzlich ein Turbo Cutter als Handrasenmäher, bei dem allerdings das Handgestänge gebrochen ist (an dieser Stelle, Danke mein Herz!). „Egal“, dachte ich mir. „Hier geht es um PS, hier geht es um …. die Ehre und ich, mein Freund, habe noch nicht einmal angefangen“.„… nicht einmal angefangen“, kicherte ich und platzierte die Luxusgüter auf unserer Weide, nicht zufällig, sondern so, dass Horst, der Störenfried und Feind alles genau sehen könnte, egal wo er stehen würde. Ein Lächeln fuhr mir durchs Gesicht, als ich auf den Zündschlüssel meines Mercedes CDI 350 schaute und ihn kurz streichelte. „Wie Schade, dass ich mich doch nicht für die S-Klasse entschieden habe“ dachte ich und sprang in den Wagen, um ihn auf dem Rasen hinter der Armada von Elektrogeräten zu platzieren. „Perfekt! Alles ist perfekt. Alex schläft und wir sind alleine, mein Freund. Keine Zeugen und das Überraschungsmoment ist klar auf meiner Seite!“, fantasierte ich und rannte, barfuß, wie ich nun erkannte, durch unseren Wald, schützend von Baum zu Baum, um mich nah an der vermeintlich feindliche Grenze zu postieren. Nichts passierte. Mit meinem Feldstecher, den ich schon am Vorabend in die Tasche gesteckt hatte, konnte ich jede Bewegung im Haus erkennen, soweit sie dann vor den Fenstern stattfand. Nichts!. „Sicherlich schläft das faule Pack noch. Der frühe Vogel fängt den Wurm“, flüsterte ich und wieder wurde mir bewusst, wie sinnlos das Sprichwort doch eigentlich war. Es setzt nämlich voraus, dass der Wurm früher oder mindestens genauso früh aufsteht, als der Vogel und damit ist der Wurm ja früher … „Konzentriere Dich“ ermahnte ich mich und schärfte alle meine Sinne. Nach einer guten Stunde schlief ich ein.

Eine Boeing versuchte auf meine Kopf zu landen und ein ätzend beißender Geruch schwängerte die sonst so herbe Waldluft. Mein Schlaf würde brutal zerschnitten und ich schaute verwirrt und leicht ängstlich auf eine graue wabernde Metallwand, die sich vor meinen Augen von links nach rechts zu bewegen schien. Instinktiv wich ich zurück und sah eine graue Hummel auf Rädern, eine riesige graue schmutzige Hummel, mit drehendem Metallbauch. „Er hat einen … er hat einen … „ stotterte ich schwitzend um anschließend das Wort „BETONMISCHER!“ gegen den Koloss zu schleudern. Es hämmerte in meinem Kopf und ich verlor das Gleichgewicht, als ich rückwärts über eine Wurzel stolperte und der Feldstecher in hohem Bogen in eine Gruppe Farn verschwand. „BETONMISCHER“ schrien die Farne und sie tanzten, hielten den Feldstecher hoch und grunzten, „Du hast nichts, nur Muschiwerkzeug und er hat einen BETOOON…“ … ein befreiender Schrei unterdrückte meine Gedanken und ich rannte flüchtend zurück ins Haus.
Der Wecker klingelte. Sanft streichelte Alex meine Wangen und ich öffnete die Augen. „Hast Du gut geschlafen, mein Hase?“, fragte sie und hielt mir eine dampfende Tasse Kaffee direkt unter meine Nase. „Ich … hatte einen fürchterlichen Traum“, erwiderte ich und setze mich aufrecht ins Bett. „Möchtest Du ihn mir erzählen?“. Sie schmiegte Ihren Kopf an meine Schulter und berührte meine Handgelenke. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich am Rücken schwitzte und das war ungewöhnlich für mich, zumindest für diese Jahreszeit. „Ich kann mich leider nicht mehr erinnern.“, log ich … „irgendwas mit großen Hummeln!“ verlieh ich der Lüge einen Mindestgrad an Wahrheit und verließ das Bett. Der direkte Gang auf die Terrasse und das Verrücken der Holzkiste, auf der wir so oft gesessen hatten, ließ mein Herz fragen „Ist wirklich alles gut bei Dir?“ … Ich winkte kurz ab, platzierte die Kiste von der südlichen Position zur nördlichen und sagte „Hier ist mehr Sonne und so gefällt es mir einfach besser“.

Heute sitzen wir immer noch auf unserem Platz, jedoch schauen wir auf den nördlichen Nachbar, ein altes Ehepaar Bernhard und Christa. Ich habe gehört, dass er seine Arbeit verloren hat und aus Kostengründen einen alten Nissan gekauft haben soll. Einen Bagger, so haben meine intensiven Recherchen ergeben, hat er nicht. Alles ist gut! Nur ab und zu erschrecken mich die bekannten grölenden Geräusche hinter unseren Rücken, doch ich drehe mich nie um. Niemals. Nicht bevor der „Catterpilla 966H“ mit integriertem „Arrowhead Rockdrill Hammer“ geliefert wird, den ich letzte Woche bestellt habe und erst dann, lieber Horst, richten wir erneut unsere Kiste gen Süden aus.
„Ich bin der Wurm, der früher aufsteht.“, flüstere ich und lächele.
 



 
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