VergangenheitsSchnipsel

4,00 Stern(e) 1 Stimme
Schwarz

Wie lange kann eine Frau widerstehen, wie lange?

Unzählige Male offenbarten wir uns in Briefen und Telefonaten, solche, die keine waren, sondern mir weis machen sollten, dass wir uns unterhielten. Ich fühlte mich verloren, ja verloren "...verstehst du das?"

Er sagte keinen Ton.

Nie sagtest du etwas, nicht mal am Telefon. Stunden über Stunden verbrachte ich auf dieser Tankstelle, ging mit dir die Zeitungsregale durch, wir lasen den Spiegel, die Gala, die FAZ, die Bravo, hahaha, wir lachten und dachten - am Telefon - und die Tageszeitung, die WAZ, frisch aus der Druckerpresse. Schwarze Hände hattest du, ich sah sie. Sie waren so schwarz wie der Hörer deines Telefons, die Muttermale auf deinem Hintern, die Flecken auf deiner Lunge und die Löcher deiner Seele. Schwarz war auch die Nacht, jede Nacht, die wir mit nichts anderem verbrachten, als uns Zeit zu geben, Zeit für...für was eigentlich?!

Doch deine Stimme, deine Hülle und dein Charme, deine Haare, dein Lachen und dein Rücken, ja, dein Rücken war weiß. Alles was ich sah, war weiß, was ich spürte, war Loch. Ein verschlingendes, schwarzes Loch. Du warst ein Loch und zogst mich mit jedem Wort weiter in dich hinein, obwohl du nichts sagtest. Zwei Jahre verbrachten wir mit dem Nichts, den Entschuldigungen, der Leere und dem Skorpion, der Jungfrau traf. Du warst in einer schwierigen Phase, jaja, eine Phase, die dein ganzes Leben anhalten sollte. Du suchtest Antworten und glaubtest sie damals in der Esoterik zu finden. Heute bekam ich eine kleine Pyramide, gestern war es ein Stein und morgen sollte es ein Buch sein. "Ich bin so; ich wurde in mich hinein geboren, nicht zum letzten Mal, frag bitte nicht.", sagtest du mir immer dann, wenn ich deine Isolation nicht mehr aushielt.
Bis zu diesem Satz lagen schon viele Monate hinter uns, in denen wir versuchten eine Entfernung zurückzulegen, die man in neun Leben nicht bewältigen konnte. Was fiel mir also ein, es mit einem Leben zu versuchen. Wie sollte mir das gelingen, wenn du vor mir standst und auf vier Leben zurückblicktest, während ich mir im Spiegel meine Endzeit betrachtete.

Wie lange kann eine Frau dir widerstehen, wie lange?

Du warst immer einsam, immer, aber allein wolltest du nicht bleiben. Auf Abruf sollte ich deiner Existenz einen bürgerlichen Glanz verleihen, dir ein Stück von dem geben, was du tagsüber wehmütig in den Straßen und Parks sahst. Zweisamkeit. Diese Bilder spazierender Pärchen, eng umschlungener Leiber, gemeinsamer Einkäufe oder einfach nur einen ruhigen Schlaf, ohne sich ein wärmendes Komplement schwitzend zu erträumen, ja, diese Bilder ließen dich einen kleinen Moment dem hinterher eifern, was mir selbstverständlich erschien. Doch dir war es schon zu viel, wenn man dich ansprach. Hinter jedem Wort vermutetest du eine Finte, eine Frage oder eine Unterstellung. Stundenlang konnten wir über andere reden, uns mit Belanglosigkeiten die langweiligen Nächte in deiner gottverdammten Tankstelle um die Ohren schlagen, doch nur ein Wort, eine Geste oder ein Blick in deine innere Richtung ließ dich verstummen, beinahe trotzig werden. Schon warst du wieder zugeknöpft und straftest mich mit tagelangem Schweigen ab. Ständig ging das so, kaum waren wir an einem Punkt, an dem ich so etwas wie deine Hand auf meinen Bauch spürte, verkrochst du dich in dein Schneckenhaus, um ein paar Tage später wieder von vorne anzufangen. Immer wieder nahm ich mir vor, dich zu verwünschen, dich nicht anzurufen, dich zu vergessen und dich in deinem Schwarz ertrinken zu lassen. Doch du kanntest meine Schmerzgrenzen und kurz bevor ich von dir abzuspringen drohte, klingelte wieder das Telefon oder hielt einen Brief von dir in Händen.

Und dein Weiß. Wie sich die Menschen mit deinem aufgesetzten Wohlwollen schmückten, wie sie versuchten sich in dein Licht zu stellen, wie unaufdringlich charmant und freundlich du warst, wie unverbindlich liebreizend. Wie du in deiner Musik aufgingst. Blues. Das war deine Ausdrucksform. Wie oft sah ich dich auf der Bühne und dachte in der Stille "Er ist bunt, er kann nur bunt sein." Doch du schmücktest dich nur mit Farben, damit keiner anfing Fragen zu stellen; in Scharen liefen dir die Frauen hinterher, doch keine bekam dein Schwarz, nur dieses Weiß, deinen Rücken. Wieso ausgerechnet ich. Wieso hast du mich nicht einfach in Ruhe gelassen. Du wolltest ein Stückchen Farbe jenseits der Bühne und des Rampenlichts, aber zu deinem Preis, egal, was es mich kosten sollte. Du hattest nicht mal eine Ahnung, wie ich mich verflüssigte, um wenigstens dein Schwarz zu bekommen. Du warst Viper und Natter, das Gift, die Falle, und ich die Maus. Die Pyramide, weißt du noch? Wie sollte ich zu deiner Grabkammer gelangen und wieso schicktest du mich immer wieder auf den Weg, du mumifiziertes Etwas. Wirklich nur über meine Leiche? Wie lange musste ich dir noch widerstehen, bis zu meiner Endzeit?

Als eine Frau nicht widerstand und Schwarz sah...

Und wieder ein Auftritt von dir. Der Wirt ein Alkoholiker. Schon nachmittags bauten wir die Bühne auf und ständig wurde uns Tequila gereicht. Der Ablauf des Abends war uns lange bekannt; Auftritt, anschließende Party und dein Bett. Unausgesprochen. Angeduselt füllte sich gegen 20 Uhr das Lokal und du standest hinter der Küchentür, um einen neugierigen Blick auf das weibliche Publikum zu werfen. Weißt du eigentlich, wie eitel du warst und weißt du, was mich bis heute noch zornig werden lässt? Ich stand mit den selben gierigen Blicken vor der Bühne. Ja, anfassen wollte ich dich, nicht mehr nur nicht reden oder unverbindlich schreiben. Ich bildete mir ein, dass da mehr war. War es auch, aber du warst Skorpion und ich musste mir dieses Alibi zur Selbstverständlichkeit hochstilisieren, auch wenn ich es als das sah, was es war - eine simple Umschreibung für deinen fortwährenden Rückzug, ein Halt, ein Stop, ein "Du bist mir gerade zu viel". Viel schlimmer noch, du hast alles daran gesetzt, dass ich mich in die selben Tore flüchtete; hast mir Esoteriker und Astrologen auf den Hals gehetzt, wolltest ständig meine Geburtsstunde wissen, um heimlich Nachforschungen anzustellen. Ich sollte begreifen, wie aussichtslos unser Unternehmen war, eines dieser spazierenden Paare zu werden, die den nächsten Morgen zusammen aufwachen, um gemeinsam einen weiteren Tag zu planen. War es nicht eine Genugtuung, als du erfuhrst, dass mich ein Löwe glücklich machen sollte? Heute weißt du, dass der Löwe ein schlimmerer Skorpion war, als du je sein könntest.

Nach dem Konzert feierten wir noch eine Weile und du bestandst darauf, dass ich bei dir nächtige. Die Bühne sollte erst am nächsten Mittag abgebaut werden und so hatten wir noch Muße zwei Bier in vertrauter (?) Zweisamkeit zu trinken. Wie an einer Schnur gezogen, bestimmtest du meinen Kurs. Wir landeten programmiert im Bett, nachdem du den Kohleofen für unsere Nacktheit angeheizt hattest. Eine weitere Episode, eine weitere Nacht, nach der du dich wieder Tage nicht melden würdest. Vorsorglich stand da noch eine volle Kanne Briketts für den ernüchternden Morgen und so gab ich mich ein weiteres Mal erst deinem Rücken, dann in deine Händen, über deinen Hintern und schließlich dem Schwarz hin. In diesen Augenblicken dachtest du "Ich bin fast überzeugt, sie ist es. Sie muss einfach die Frau sein, die durch Wort und Körper meine Erektionen auslöst" Erst im klaren Zustand der Dämmerung überkam dich die Farbe. Dämmerung, die stets ein Rausch von kurzer Dauer war, ob Musik oder Alkohol, ob eine traumlose Nachtstunde oder ein kurzer Blick aus deinem Loch. Ich spürte dich mit deinem ganzen Körper in mich eindringen, wir fingen an uns hin und her zu wiegen, wir sprachen durch unsere Haut, und ich bedauerte mit einem leisen Gedanken schon fast deine morgigen Schranken. Wie hieltst du ihn nur aus, diesen permanenten Druck? Doch etwas war anders als sonst. Wir liebten uns, und wie wir uns liebten. Durch deine ganze Wohnung liebten wir uns; mir schien als würdest du jede Pore öffnen, so, als wenn nicht ich mich in dich ergoss, sondern du dich in mir auflöstest.

Als ich aufwachte, sah ich Rot in deinem Gesicht. Du warst voller Blut und eine Platzwunde zierte deine Nase. Ich ging ins Bad und auf dem Weg dorthin stolperte ich über Schwarz. Die Kohlen lagen verstreut durch die ganze Wohnung, an den Türrahmen klebte Blut. Auch im Bad schien sich ein Drama abgespielt zu haben. Dein Lebenssaft, wo man hinschaute.

Du warst also doch sterblich.

"Hast du mich heute nacht absichtlich verletzt?" , war deine Frage, als du deine Hülle in kleinen Spritzern auf jedem Möbelstück vorfandst.
Der Ofen war aus, die Nacht vorbei und es war warm?!

Und die Frau begann Löcher zu lieben...

Nun standest du also vor mir, neu eingekleidet, du zogst die Vorhänge in deiner Wohnung auf, fingst an die Kohlen durch die Zimmer zu kegeln, als wenn du deinem Schwarz den langersehnten Laufpass geben wolltest. Wir frühstückten zusammen, das erste Mal, während wir vorher aus unseren Wohnungen flüchteten, um nicht auf das zurückzublicken, was uns an die Nacht erinnerte. Du in deine Wohnung, ich in meine, bevor der andere aufwachte. Nach anfänglich verschämten Schweigen über das, was uns widerfuhr, begannen wir zu plappern. Plappern ist gar kein Ausdruck, wir überschütteten uns mit Worten, während wir eine Tasse Kaffee nach der anderen tranken, deinen gesamten Brotvorrat verzehrten und die Margarine im sich ständig erhitzendem Redeschwall langsam dahin schmolz. Erst nachdem auch die letzte Scheibe Käse verzehrt war, die Zigaretten sich dem Ende neigten, beschlossen wir einzukaufen. Einkaufen! Um zum nahegelegenen Einkaufscenter zu gelangen, mussten wir durch den Park...spazieren. Spazieren! Und als wir so durch den Park gingen, nahmst du mich an die Hand. Hand! Sie war warm und rosig. Zweisamkeit!

Die ganzen Monate arbeiteten wir auf diesen einen Augenblick hin, so schien es mir. Schon längst waren wir ein Paar, ohne es bis zu diesem Augenblick zu begreifen; was taten wir uns alles an, wie viel Leid und Freude hatten wir uns schon zugemutet, wie ausdauernd unser stetiges Umschwärmen und Verfluchen. Unzählige Tränen flossen in beide Richtungen, so viele, dass sie für Trennungen eines ganzen Leben reichten. Mein Leben. Wie hielt ich das nur aus und wie konntest du es, wo du nur im Stillen weintest. Ich wischte die Vergangenheit weg, so wie dein Gesicht an Farbe zunahm. Selbst deine Muttermale schienen im Tageslicht zu leuchten; ständig glitten meine Finger über deine Haut, um mich zu vergewissern, dass du da warst, nicht am Telefon, nicht in der Tankstelle, nicht in Briefen und nicht nachts. Ab und zu schautest du mich ungläubig an, nahmst meine Hand und legtest sie auf deine Brust, ohne ein Wort. Gespenstig schön.
So vergingen Wochen im Fluge, in denen wir das waren, was du mir monatelang auszureden versuchtest; ich brauchte deine Konzerte nicht mehr fortwährend besuchen, um dich in Farben zu erleben; ich sah nicht mehr die Frauen, die vor der Bühne standen und du schautest nicht mehr durch die Küchentüren, um dich begehrt zu fühlen. Doch eines Tages kam ich in deine Wohnung und die Vorhänge waren zugezogen.

Als eine Frau Angst vor Schwarz bekam...

Ich ging durch die Wohnung und mir war, als wenn jemand mein Herz in der Hand hielt und zudrückte. Das Telefon. Und ich sagte mir nein, nehme bloß nicht den Hörer ab und wähle die Nummer dieser Tankstelle. Ich sah das Papier auf deinem Schreibtisch und sagte mir nein, nehme bloß keinen Stift in die Hand und schreibe. Ich sah meinen Autoschlüssel und...fuhr zu dir. Als ich an den Zapfsäulen vorbei direkt vor deinem Fenster parkte, hattest du wieder diesen Ausdruck im Gesicht. Eine Weile, wahrscheinlich nur Sekunden, blieb ich unbeweglich sitzen und starrte dich an. Du sagtest nichts. Ich startete mein Auto und fuhr so weit weg, wie ich konnte. Wieder sollten Monate folgen, in denen wir uns aufrieben, in denen du mir dein Schwarz nach Belieben anbotst und ich die Wohnung vor deinem Erwachen verließ. Oder umgekehrt. Und ich sagte Nein. Nein, dass du mein Leben übernimmst und dich von meinem Blut ernährst, Nein, dass du meinen Liebes- und LebensRhythmus bestimmst, Nein, zu deinem Wohlwollen auf Zeit, Nein zu dir und dem Schwarz und...Ja zu mir, Ja zu meinem Körper, der nur einem Leben standhielt und vergänglich war, Ja zu dem Rest Herz, dessen Genesung von einer sofortigen Entscheidung abhing, Ja zu Farben, die nie deine waren.

Wir gingen auseinander, für eine Weile, ohne uns zu verlieren. Jeder seines Weges in die Arme anderer Partner; weißt du noch als wir vier uns spazieren gehend im Park trafen? Wir schmunzelten. Und wir schmunzeln heute immer noch. Was wir hatten oder nicht ist unwiederbringlich und unvergessen; wir zehren aus dieser Zeit und nähren die Hand in unserer Hand. Wir saugen nicht mehr aus. Verstehst du?

Wie lange kann eine Frau widerstehen, wie lange?

Und sie widerstand nie mehr...

den Löchern.
 



 
Oben Unten