Virus Raffgierikus - Püttmann... 21.

Virus Raffgierikus

Man, wat steht mir dat im Hals! Ich kann sowat einfach nich verknusen:
Kommsse dat zweite Mal in son Ibiza-Restaurante, um dir wieder ma schön die Wampe vollzuschlagen, dann musse fast überall datselbe blödsinnige Empfangszeremoniell über dich ergehen lassen.
Da kommt die Wirtin mit ausgebreiteten Flügeln auf dich zugeflogen, umarmt dich und hält dir dat Gesicht zum Knutschen hin. Küsschen hin, Küsschen her!
Früher sah man dat öfter ma in so Schicki-Schmicki-Filmen. Heute iss dat scheinbar überall so Usus. Schrecklich!

Da tun die falschen Schlangen so, als würden se dich schon hundert Jahre kennen. Gut, ich bin kein Spielverderber und will auch nich unbedingt unangenehm auffallen. Ich drück se dann, bis den Weibern die Luft wegbleibt, und küss, wie se dat ja verlangen tun, schön mit Schmackes aufe Schnute drauf.

Ich will dat eigentlich gar nich, aber dat erwarten ja die Judasweiber von dir. Danach kucken se entweder son bissken pikiniert oder voll angenehm überrascht ausse Wäsche.

Ja, liebe Leser, dat widerliche Zwangsküssen will gelernt sein, man muss dat hier aufe Insel beherrschen!
„Que tal?“, fragen se dich dann. Soll heißen: „Wie iss et? Allet im Lot?“ „Jau“, sach ich, „allet im grünen Bereich, allet muchas verde, allet paletti.“

Meine Berta steht bei sonner Begrüßung nur sprachlos da oder zeigt mir nen Vogel. Sie steckt mir danach vorwurfsvoll, dat ich die Frauleute, wenn ich wieder ma in sonne Zwangslage käm, nich immer so lange aufe Lippen knutschen soll. Nur links und rechts dürfte ich en kleinen Wangenkuss andeuten!

Ich sach: „Berta, dat iss doch Quatsch, dat iss bei mir praktizierter Ausdruck vonne spanischen Höflichkeitssitten. Die Russen machen dat doch auch! Weiße noch, wie der Gorbi damals dem Erich Honecker voll die Lippen abgeschmatzt hat? Dat sah für unseren westdeutschen Geschmack total abartig aus. Die Kerle wussten doch als hohe Staatsbeamte genau, wat sich gehören tat. Dat waren hochpolitische Männer, die ausnahmsweise ma nich schwul warn. Zum Beweis dafür brachten se ja ihre eigenen Ehefraugemahlinnen mit.
Die hielten sich bei der erbärmlichen Männerknutscherei schön duckes, taten einfach so, als sähen se dat gar nich. Also, Berta, erzähl mir keinen, wie ich dat mit dem Empfangsküssen hier aufe Insel praktizieren muss. Die Wirtsleute umarmen und küssen dich ja nich persönlich, nee, Berta, im Geiste knutschen die nur deinen Zaster, den se bei dir inne Brieftasche vermuten.“
Berta sachte darauf nix mehr.
Ich meine, dat war ja auch ne ganz plausibilsierte Erklärung.

Wenn der hocherotische Begrüßungsakt im Restaurante vorbei iss, führt dich die Wirtin gibbelnd und schwätzend zu irgendeinem Tisch, möglichst ganz inne hinterste Ecke, wo et nix zu peilen gibt.
Darüber reg ich mich natürlich hundsgemein auf. Ich sach dann für die Dame: „Hör’n Se ma, nur weil ich keinen Tisch bestellt hab, müssen se uns doch nich son verdammten Katzentisch anbieten. Ich wünsche für mich und meine Frau Ehegattengemahlin draußen den größten Tisch mit bestem Blick auf dat Meer und die Platja, sonst hauen wir direkt wieder ab!“ Dat wirkt.
Nach dieser ersten Hürde musse jetz noch en paar Mal schwer aufpassen. Die nächste Frage iss nämlich: „Wünschen die Herrschaften einen "Appetiv" ?“ Dat iss en sauteuret Vorabgetränk, nur son Troppen für’n hohlen Zahn. Für son kleinet Gläsken löhnze ungefähr zwischen sechs und zwölf Euro.

Wenne auch diese Falle umgehen willz, sachsse einfach: „Viel muchas gracias, dat iss zwar very freundlich von Ihnen, aber wir haben uns zu Hause schon einen verlötet.“
Die Chefin iss dann meist mit ihrem Latein am Ende und schickt ihren Ober-Camarero. Der Knabe hält dann son Spickzettel inne Hand und will schon die Getränke für dat Essen aufnehmen.
„Halt, mein Freund!“, sach ich dann, „uno momento, por favor, wir müssen doch erst ma inne Speisekarte peilen, wat wir eventuell bestellen tun. Dat Getränk wählt der Alemanne immer erst dann, wenn er wat Vernünftiget aufe Speisekarte entdeckt hat und sich mit seiner Wahl völlig sicher iss. Speis und Trank müssen geschmacklich abgestimmt sein, also richtig gut miteinander harmonisieren. Kommen Se doch inne Viertelstunde noch ma vorbei. Meine Frau braucht erfahrungsgemäß leider etwas länger. bis se sich für ne Vorspeise entschieden hat.“
Der Hilfskellner schwirrt dann achselzuckend und etwat verunsichert ab und berichtet seiner Chefin von der "erfolgreichen" Bestellung. Dat iss uns aber völlig wurscht, denn so viel Zeit muss für sonne wichtige Entscheidung einfach sein.
Wider Erwarten entdeckte mein Bertaken schon nach zehn Minuten wat aufe Karte. Sie schaffte et heute erstaunlich früh, eine von drei Vorspeisen zu wählen. Eine sopa andaluz für unverschämte 9,90 €uro! Dat iss sonne kaltschalige Gemüsesuppe. Da schmeißte noch son paar Zwiebeln, Tomaten und son paar Kretins rein, ganz nach deinem Gustav, bis die Brühe richtig schmecken tut.

Ich hatte Vorspeisenkohldampf auf son leckeren Iberico-Schinken mit Melone. Als ich aber den Preis aufe Karte erspähte, war et aus mit meinem Schinken-Gelüst. Zweiundzwanzig Euro verlangten die Gierlappen dafür. Für dat Geld kauf ich beim Bauer Berkelmann in Herne en ganzet Ferkel!

Ich disponierte um und entschied: Willi, du isst heute ma en lecker Fischsüppken. Ich peilte wieder auf den Preis, da sollte ich für die ausgekochten Fischköppe fünfzehn Euro berappen!
„Berta“, sach ich, „die haben se doch nich mehr alle. Die hauen nur wegen dat bissken Ausblickantibiente so gemein auf die Preise drauf. Dat macht Dein Willi nich mit! Wir bestellen uns jetz als Vorspeise ne kleine Portion Aioli mit vier grünen eingelegten Oliven, vier Scheibchen Toast und zwei Gedecke. Dazu lassen wir en kleinet Pilsken kommen und teilen uns dat.“
Gesagt, getan. Wir orderten die Vorspeise und dat Pilsken und stellten ne Hauptspeise in Aussicht.
Beim Studium der Hauptgerichte verging uns aber total der Appetit. So wat Unverschämtet! Waren die denn hier total bekloppt?
„Berta“, sach ich, „mir iss der Appetit jetz aber wirklich verhagelt. Kucksse auch gerade die Preise vonne Fleisch- und Fischgerichte? Selbst für son Kindertellerken mit Fischstäbkes verlangen die schrappigen Aasgeier noch dreizehn Euro.
Kuck Dich doch ma hier inne Bude um, kein Schwanz sitzt in dem Schuppen, kein Wunder! Berta, dat Antibiente können wir auch billiger haben. Solln se doch auf ihrem Fleisch und Fisch hocken bleiben, bis allet stinkt. Wir lassen uns doch nich dat Fell über die Ohrn ziehen!“
Berta war ausnahmsweise ma meiner Meinung.
Nach dem Verzehr der üppigen Vorspeise kam die Wirtin wieder mit ihren hohen Pinnen an den Tisch gehoppelt. Sie trug ne große Schiefertafel, stellte dat Dingen vor unsere Nase auf und erklärte: „Das sind zusätzliche Hauptspeisen, ‚comidas principal’, die nicht auf der Karte stehen.“

Landsleute, jetz müsst ihr schwer auf Zack sein und äußerste Vorsicht walten lassen! Dat iss der raffinierteste Trick, wie se versuchen tun, dich hier über’n Tisch zu ziehn. Wat da auf sonne Tafel mit Kreide ohne Preisangabe aufgekritzelt steht, haut dich glatt um und bringt dich ins Armenhaus! Also, immer erst schön nach die Knete fragen, die du für dat Tafelgericht latzen sollz.
Die Wirtin erklärte uns auch allet schön lange und drängte nun auf Bestellung.
Ich erklärte der Frau: „Perdone, Señora, uns hat hier aufe Insel ne schwere Krankheit erwischt. Wir können hier leider keine Hauptspeise bestellen. Wir sind von dem hochinfektiösen Ebbe- inne-Brieftäsch-Syndrom befallen.
Die Krankheit verläuft seuchenartig und hat schon die meisten Touristen und Insulaner dahingerafft. Et hilft bei diesem Syndrom kein Inselmedizinmann und auch kein Geisterbeschwörer.
Dat Syndrom wurde durch dat V i r u s R a f f g i e r i c u s ausgelöst. Hiervon sind vor allem Restaurantebesitzer befallen. Dat iss ne ganz spezielle Inselkrankheit, die sich bei Nacht und Nebel nach Einführung von dem verdammten Euro rasend schnell verbreitet hat. Diese Epidemie, im Volksmund auch ‚Gemeine Geldgierseuche’ genannt, hat die Insel leider fest im Griff.
Die Inselbewohner kurieren sich selbst, indem se wieder auf ihren heimischen Herd wat brötscheln. Touristen buchen bereits inne Heimatländer „Allet inklusive“, gehen also nich mehr auswärts schmatzen. Ja, Señora, so iss dat mit die verdammte Inselkrankheit. Ich, Willi Püttmann aus Herne in Westfalen, hätte eventuell gegen dat tödliche Virus Raffgiericus ein Rezept.“

Jetz rissen Wirtin und Berta neugierig die Augen auf.
„Ja“, sachte ich, „ich hab dat Ei vom Kolumbus: Wenn ihr Euch ehrlich fragen tut, warum die Touristen stiften gehn oder nur noch ne Vorspeise bestellen, dann habt Ihr dat Virus Raffgiericus schon ma isoliert. Jetz iss für seine radikale Bekämpfung höchste Eile geboten.
Dat heißt: Die Preislisten müssen sofort auffen Prüfstand. Preis-Leistung muss endlich wieder stimmen! Die Speise- und Getränkekarten dürft Ihr bei der Gelegenheit auch ma familienfreundlich und seniorengerecht gestalten.
Wie gesacht, et iss höchste Eisenbahn! Dat Sterben wird sonst weitergehn!
Bei strikter Anwendung des hochwirksamen Püttmann’schen Heilrezepts werden Wirtsleute und Gäste gesunden und die verprellten Touristen kämen wieder gerne auf diese schöne Insel gedüst.
Señora, nehmen Se mir dat bitte nich krumm, aber meinen Se, Sie würden dat Virus in den Griff kriegen?“

Die Dame hörte mir andächtig zu, sagte aber nix. Ich glaub, die kannte längst diese schrecklich wütende Inselkrankheit.

Die Verabschiedung verlief leider viel kühler als der Empfang. Nich, wie Sie vielleicht vermuten tun, dat wir zu wenig verzehrt hätten, nee, die Señora kuckte bestimmt nur deshalb so bedröppelt, weil ich ihr auf Bertas Anweisung den Abschiedskuss nur noch andeutungsweise aufe Wangen hauchte.
 



 
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