Der Stein und die Füße, die sich wegen ihm nicht auf einen warmen, gut gepolsterten Hocker betten lassen wollten
Ich lief durch das kleinen Stück Park unserer Stadt, während ein eisige Wind unter meine Kleidung fuhr und mir eigentlich nur eines sagen wollte: Geh nach Hause, hier hast du nichts verloren!
Ich glaube es waren meine Füße, die weiterwollten. Offenbar hatten sie keine Lust auf einen warmen, gut gepolsterten Hocker gebettet zu werden. Nein, sie wollten unbedingt noch bei dieser Kälte hier herumwandern. Aber da meine Beine ebenfalls ganz angetan von diesem Vorhaben schienen, konnte sich mein restlicher Körper nicht dagegen wehren. Eine Zeit lang trugen mich meine Füße also umher, bis selbst ihnen in meinen gefütterten Lammfellstiefeln zu kalt wurde. Und nun begannen sie sich zu beklagen, warum ich noch hier herum stehen würde, wo doch ein warmer, gut gepolsterter Hocker auf ihre Rückkehr wartete.
Doch ich ging nicht fort. Nein, denn der Wind hielt mich zurück. Jetzt, wo meine Füße maulten, da drängte er mich weiter. Zögerlich tat ich einige Schritte, hielt dann inne. Nein, es war wirklich viel zu kalt! Zu Hause erwartete mich ein behagliches, einladendes Feuer und hier draußen gab es nichts weiter als kahle Bäume und einen pfeifenden, frostigen Wind.
Gerade wollte ich umdrehen, da drang das Singen von Wasser an mein Ohr. Überrascht folgte ich dem Geräusch und tatsächlich konnte ich kurze Zeit später den kleinen Bach unseres Parks sehen. Er plätscherte fröhlich vor sich hin, so ganz unbeeindruckt von Kälte und Eis. Seltsam, dachte ich wirklich erstaunt. Seit zehn Jahren war dieser Bach, obwohl er selbstverständlich zu den fließenden Gewässern zählte, immer wieder zugefroren. Warum dieses Mal nicht? Es kam mir jedenfalls nicht wärmer vor als in den vergangenen Wintern... .
Einfach aus Neugier ging ich auf das Bachufer zu -
-und stürzte zu Boden.
Eisiger Matsch spritze in die Höhe und fiel wieder auf mich herunter, verdreckt und fluchend raffte ich mich auf. Ich wischte mir den Dreck aus den Augen und suchte zornig nach dem Gegenstand, über den ich gestolpert war:
Es war ein Stein. Ein nichtssagender, runder, grauer Stein. Stöhnend versuchte ich, meine vor Kälte klappernden Zähne wieder unter Kontrolle zu bringen. Großartig! Ganz, ganz großartig! Erst trieben mich meine sonst so faulen Füße an, dann der alltägliche Wind, dann das Plätschern eines fließenden Stromes und was bekam ich zu sehen?! Nichts weiter als einen langweiligen, grauen...
Stein. Ich hielt inne und von einem Reflex gepackt hob ich den langweiligen, grauen Stein auf.
Es war ein dunkles Grau, drückte nichts aus, und auch seine Form war eher nichtssagend. Doch trotz allem fesselte mich dieses kleine Stückchen Gestein so sehr, dass ich mein Gesicht bis auf wenige Zentimeter an es heranschob.
Und dann begann ich zu lachen. Vermutlich war das recht unpassend, so voll bespritzt mit Schlamm und Schnee, doch mir war gerade ein Erkenntnis gekommen. Dieser langweilige graue Stein... jeder würde ihn fortwerfen, in verschiedene Richtungen, zu verschiedenen Orten. In meiner Vorstellung malte ich mir aus, wie er bereits Tausende von Kilometern gereist war, verschoben von Gletschern, Wassern, Tieren und Menschen. Wegen seines unauffälligen Aussehens würde dieser Stein niemals einer Glasvitrine, einer Bank, irgendwelchen Wissenschaftlern oder der Industrie in die Hände geraten. Er hatte schon mehr von der Welt gesehen als ich es vermutlich je würde.
Und dann wurde mir noch etwas zweites bewusst.
Mit einem Grinsen warf ich den grauen, langweiligen Stein in den kleinen Bach.
So!, dachte ich mit grimmiger Genugtuung. Jetzt habt ihr was ihr wollt! Füße, Beine, Wind, Bach, Eis, Hände und Stein. Er geht wieder auf Reisen, das habt ihr wunderbar gemacht. Nun lasst auch mich gehen, nach Hause, zum meinem wohlig warmen Kamin.
Ich lachte noch einmal. Wie gerissen das alles doch war.
Erst als ich schon lange vor dem Kamin saß (ohne das mich irgendetwas daran gehindert hätte) fragte ich mich, warum sie alle gewollt hatten, dass der Stein wieder auf Reisen ging. Der Wind, der Bach, das Eis, sogar meine eigenen Füße und Beine, die doch angeblich meiner Kontrolle unterlagen. Erneut konnte ich ein Kichern nicht unterdrücken, dann starrte ich weiter in die wärmenden Flammen... .