Vorsicht: Ziegen!

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Seshmosis

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Vorsicht: Ziegen!

Kennen Sie Ziegen? Ich meine nicht die zweibeinigen, die sturen Böcke und die anderen, die man als doof bezeichnet. Ich meine die echten Ziegen auf vier Beinen und mit dem dicksten Dickschädel der Welt.
Wer, wie ich, längere Zeit mit einer oder gar mehreren Ziegen zusammenlebt, weiß wovon ich rede. Schnell wird einem klar, warum die alten Griechen ihrem Ur-Wolpertinger, der Chimäre, den Leib einer Ziege gaben. Eine Chimäre ist ein falsch zusammengesetztes Puzzletier, das einen Löwenkopf hat und einen Schlangenschwanz. Dazwischen, wie gesagt, ist Ziege. Viel Ziege. Das altgriechische Wort „Chimäre“ bedeutet übrigens ganz schlicht – Ziege!
Das Hauptproblem, das Menschen mit Ziegen haben, gründet sich in der Tatsache, dass Ziegen keineswegs dumm sind, sondern hochintelligent. Nun hat der Mensch schon immer und von Haus aus Probleme mit intelligenten Lebensformen. Besonders mit Künstlern, Schriftstellern und eben Ziegen.

Für mich fing alles damit an, dass ich meiner Frau vor einigen Jahren eine Ziege namens Rosa zum Geburtstag schenkte. Sie freute sich. Sie freute sich so sehr, dass sie den Tag und den Abend mit Rosa verbrachte. Die für das Abendessen geplanten Hühnerkeulen verwandelten sich derweil in der Röhre in Hühnerkohle. Ab diesem Moment hätte ich es wissen müssen.
Lassen Sie mich daher einige Dinge aufzeigen, die jenseits des üblichen Erfahrungshorizonts von Ziegenmilch, Ziegenkäse und Ziegenbraten liegen.
Die Urmutter aller Ziegen und Ursache für ihre grenzenlose Arroganz ist Almathea, die Ziege, die dem griechischen Obergott Zeus mit ihrer Milch das Leben rettete.
Weil der Göttliche den Ziegen dann aber keine Beachtung mehr schenkte, haben sie aus Rache die griechischen Inseln kahlgefressen, wie jeder Tourist vor Ort in Augenschein nehmen kann.
Später haben die Juden die Ziege zum Sündenbock gemacht und in die Wüste geschickt. Seither kommt von dort nicht nur Gutes zurück.
Bei den alten Ägyptern waren Ziegen hoch im Kurs. So war der ziegenköpfige Gott Chnum derjenige, der den Himmel auf vier feste Säulen stellte, damit er den Menschen nicht auf den Kopf fällt. Er war es auch, der die Menschen aus feuchtem Ton, sprich Dreck, auf der Töpferscheibe formte. Zu den Überirdischen zählt auch der göttliche Ziegenbock Ba-neb-dêdet, Symbol der Zeugungskraft und Fruchtbarkeit, zu dem jahrhundertelang die Frauen um Kindersegen und Männer um Potenz beteten.
All dies haben die Menschen vergessen oder höchstens in regionalen Geschichten überliefert. Die Ziegen aber wissen es! Durch ihr immens gutes Rassegedächtnis erinnert sich jede einzelne Ziege an alles, was jede Ziege seit Beginn der Schöpfung erlebt hat. Und das lassen sie uns Menschen spüren. Tag für Tag.
Da schauen sie uns an, mit dem Löwenkopf, den die Chimäre trägt.
Durch ihr Verhalten machen sie uns klar, wie die Rangordnung aussieht. Dort oben, noch über dem Olymp mit Zeus und den anderen Göttern, sie, die Ziegen. Ganz weit unten, noch unter der Grasnarbe, die ja schließlich Futter bietet, wir, die Menschlein.
Apropos Futter: In der jüdischen Kabbala kennt man verschiedene Formen der Intelligenz. Da gibt es zum Beispiel die „reine Intelligenz“, die „spirituelle Intelligenz“ und die „ordnende Intelligenz“. Die Ziegen haben eine weitere Form entwickelt, die „gefräßige Intelligenz“.
Das beginnt bereits damit, dass Ziegen Appetit auf rund 160 verschiedene Pflanzen haben, im Gegensatz zu Kühen, die es auf lediglich 40 Sorten bringen. Bei Ziegen kommt jedoch eine große Zahl von Nahrungsergänzungsstoffen hinzu, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, denn ich lebe seit Jahren mit Rosa, einem Prachtexemplar dieser Gattung zusammen. Zu dieser absolut lebenswichtigen Zusatznahrung zählen Schokolade (bevorzugt mit Nüssen), Lakritz und Weingummis. Gerne genommen werden auch Pfefferminzbonbons, die den Atem erfrischen.
Die Ziege kennt im Prinzip nur zwei Lebenszustände: Fressen und Wiederkäuen.
Während beim Fressen ihre Gedanken ausschließlich auf die Nahrungsbeschaffung gerichtet sind, lässt sie ihre Gedanken beim Wiederkäuen gerne schweifen. Dann erinnert sie sich an die große Vergangenheit ihrer Rasse und überlegt, wie man diesen Zustand wieder herstellen kann. Rosa versucht dies jeden Tag.
Das fängt bei den nachmittäglichen Spaziergängen an, wo sie stets in die entgegengesetzte Richtung will wie ich. Fühle ich mich wohl und will länger an der frischen Luft bleiben, zieht es sie bestimmt schnell nach Hause. Habe ich es eilig, weil ich noch Besuch erwarte, wählt Rosa garantiert jeden Grashalm einzeln aus und hält mit ihm ein intensives stummes Zwiegespräch, bevor sie ihn frisst. Habe ich mal gar keine Lust rauszugehen, schreit sie garantiert das halbe Dorf zusammen und jeder denkt, jetzt schlägt er das arme Tier.
Will ich sie gegen ihren Willen in den Stall bringen, tritt sie mir zielsicher schmerzhaft auf den Fuß, und das ohne hinzusehen. Ganz besonders liebt es Rosa, plötzlich einen Haken zu schlagen und sich sofort auf die Pflanzen zu stürzen, die für sie absolut Tabu sind: Den sorgsam gehegten Apfelbaum, die gerade prächtig blühenden Rosen oder die empfindliche Rinde des Quittenbaums.
So liebenswert hinterhältig Rosa ist, so ätzend wehleidig ist sie auch. Im Winter verlässt sie den Stall nur mit warmer Kleidung. Sie trägt dann einen alten Pullover von mir oder einen eigens angeschafften, feuerroten Hundemantel für Bernhardiner.
Trotz all dieser Eigenarten wird Rosa von allen geliebt, sogar von mir. Weil ich gelernt habe zu akzeptieren, dass sie mir haushoch überlegen ist. Schließlich hat sie doppelt so viele Beine wie ich und wenn sie sich aufrichtet, ist sie zwei Meter groß. Und man ist ja froh, wenn man jemanden hat, zu dem man aufsehen kann.
 
N

nachtlichter

Gast
Hey Seshmosis,

absolut sympathisch, die Rosa Ziege und ihre Geschichte – da lacht mein tierfreundliches Herz, zumal wir vor einiger Zeit eine unheimliche Begegnung der tritten Art mit so einem Tier hatten. Die aus ihrer in Personalunion mit einer Stute begrasten Koppel ausgebrochene Ziege begrüßte mich freundlich, so dass ich mich eine Zeitlang mit ihr unterhielt, während mein sichtlich gelangweilter Robin Hund ins Dösen verfiel. Das provozierte nun die Schwarzweißgefleckte. Sie nahm ohne Vorwarnung Anlauf und knuffte meinen kleinen Braunen ordentlich in den Allerwertesten, so dass dieser vor Entsetzen laut aufschrie und einen Satz machte. Mein Lachanfall ließ sich beim besten Willen nicht unterdrücken und so beschloss ich, unverzüglich mit dem zutiefst gekränkten Hund von dannen zu ziehen. Im Augenwinkel bemerkte ich gerade noch rechtzeitig, dass die Gehörnte schon wieder Anlauf nahm und dieses Mal auf meine vier Buchstaben zielte, sie jedoch wegen meines behenden Sprungs zur Seite verfehlte. Robin Hund und ich mußten daraufhin rückwärts und laut schimpfend den Ort des Geschehens verlassen...

Nee, sie sind ganz einfach liebenswert – gerade wegen ihres Dickkopfes!

Deine Story ist einfach gut geschrieben, zeugt von viel Humor und Verständnis für mehrbeinige Lebewesen. Ich schließe mich flammarion an – mehr davon!

Lieben Gruß

nachtlichter
 

maerchenhexe

Mitglied
Hallo Seshmosis

bitte mehr von Rosa. habe mich köstlich amüsiert beim Lesen deiner Geschichte. Habe auch schon ganz "persönliche" Erfahrungen mit Ziegen hinter mir.

lieber Gruß

maerchenhexe
 



 
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