Der Sarg erschien mir zu klein, als er vor uns aufgebahrt war. Meine Schwester Bernadette legte den Arm um meine Schulter, sie weinte. Sonnenlicht fiel durch die schmalen Scheiben der Friedhofskapelle. Die Essigbäume vor den Fenstern hatten welke, braune Blätter, weil es seit Wochen nicht regnete.
In Filmen regnet es immer, in solchen Momenten, dachte ich. Im Raum war es kühl, fast kalt, es war sehr still.
Der Priester hielt eine kurze Rede. Bernadette und ich hatten uns für Jahre nicht gesehen. Als ich sie das letzte mal sah, waren ihre Haare kurz. Jetzt trug sie einen Zopf, den ihr die Tochter geflochten hatte, erzählte sie mir später.
Bernadette fragte mich, was ich die Jahre über so gemacht habe und ich zuckte mit den Schultern. So dies und das, sagte ich und Bernadette schüttelte den Kopf.
Du musst nichts erzählen, wenn du nicht willst. Du hast nicht einmal geweint, trauerst du überhaupt?
Tränen ändern doch nichts, sagte ich. Du standest Mutter sowieso näher.
Bernadette stellte mir ihre Tochter vor, sie war sieben. Ich sei nie dagewesen, all die Jahre über. Als sie eingeschult wurde, oder Ballettaufführungen hatte – Bernadette hatte mir geschrieben, ich sagte meist nicht einmal ab. Das Mädchen war mir fremd, es hatte nichts von Bernadette.
Eine schöne Tochter hast du, sagte ich. Bernadette lachte.
Ja, sagte sie. Johann sagt, sie kommt ganz nach mir. Seit meiner Hochzeit mit Johann warst du wie vom Erdboden verschluckt.
Ich war beschäftigt, sagte ich. Ich war in Belgien und Frankreich.
Sie fragte, ob ich eine Freundin habe und ich verneinte. Nichts festes.
Willst du keine Kinder?
Wozu? Ich habe doch alles.
Es ist ja nicht so, dass es immer so weitergehen muss. Willst du nichts ändern?
Was sollte ich ändern wollen? Es läuft gut.
Am Abend ging ich mit in ein Restaurant, einige der Trauergäste kamen. Ich kannte die meisten nicht, Bernadette stellte sie mir vor. Entfernte Verwandte, alte Freunde der Familie. Einige erkannten mich, sie fragten, ob ich sie noch kenne und ich sagte, natürlich. Und lachte. Sie lachten auch. Die Situation war mir peinlich.
Johann war bei einer Versicherungsgesellschaft tätig, er erzählte von Unfällen und Kündigungsklauseln. Bernadette schien ihm kaum zuzuhören, die Tochter spielte zusammen mit anderen Kindern auf dem Fußboden. Ein Kellner hatte ihnen Ausmalbilder gebracht und Filzstifte. Die Kinder waren unruhig, sie malten ungenau und hastig. Ein Mädchen fing an zu weinen, die Mutter stand auf, nahm das Kind bei die Hand und verabschiedete sich schnell. Johann schien sich besonders für meine Arbeit zu interessieren, immer wieder fragte er nach Details und ich sah mich gezwungen, komplexe Zusammenhänge zu schildern. Bernadette bemerkte, dass ich schon immer ein kluges Kerlchen gewesen sei, und Johann lachte. Seine kurzen Haare hatte er mit Gel frisiert, seine Haut war sehr hell. Bernadette sagte, ich könne bei ihnen übernachten, aber ich sagte, ich habe schon ein Zimmer bezahlt.
Es war nicht sehr spät, die Gäste gingen nacheinander. Bald war die Tochter allein zwischen bemaltem Papier. Sie kam zu ihrer Mutter an den Tisch und saß unruhig auf ihrem Stuhl, aber sie sagte nichts.
Im ganzen Lokal war es ruhig geworden.
Wir gehen dann auch, sagte Bernadette. Sie stand auf und umarmte mich. Ich habe dich vermisst, Bruder, sagte sie, ich hoffe, du mich auch ein wenig.
Johann schüttelte mir die Hand. Schlaf gut, Schwager, sagte er.
Ich setze mich draußen auf eine kleine Mauer vor dem Restaurant und rauchte, hin und wieder gingen Gäste an mir vorbei. Ich sah ihnen nach. Irgendwo zirpte eine Grille, das Geräusch wurde von den Hauswänden zurückgeworfen, es erschien mir unnatürlich laut.
Am nächsten morgen fuhr ich zu meinem Elternhaus, in dem nun Bernadette mit ihrer Familie wohnte. Ich überlegte, einfach wieder zu fahren.
Ich stieg aus und klingelte. Bernadette begrüßte mich überschwänglich. Komm rein, sagte sie.
Es hatte sich kaum etwas verändert drinnen, die meisten Möbel standen noch an den Stellen, an denen sie schon immer gestanden hatten. Mir war die Wohnung fremd.
Es muss sich anfühlen, wie heimkommen, sagte Bernadette.
Sie sagte, du hast bestimmt noch nichts gegessen und führte mich ins Esszimmer. Dort saßen Johann und die Tochter am gedeckten Tisch.
Ich wusste nicht, ob du lieber süß oder herzhaft isst, sagte Bernadette. Deswegen habe sie beides hingestellt. Ich solle mich wieder wie früher fühlen. Wie daheim.
Die Tochter sagte hallo, und lachte mich an. Schnell sah sie wieder weg, so als sei es eine Aufgabe gewesen, die sie nun erfüllt hatte.
Wir aßen schweigend, dann begann Johann von Sturmschäden und Hagel im Ausland zu erzählen, mit dem seine Versicherung beschäftigt war.
Die haben das Wetter, das uns hier fehlt, sagte ich.
Wir bräuchten wirklich ein wenig Regen, sagte Bernadette. Diese Trockenheit ist für die Pflanzen nicht gut, sie kann auch für die Menschen nicht gesund sein.
Nach dem Essen sagte Bernadette, dass die Tochter mir ihr Zimmer zeigen möchte. Es war Bernadettes Kinderzimmer. An der Wand hingen bunte Poster von Prinzessinnen.
Ich fragte, ob sie später einmal Prinzessin werden wolle und sie sagte, dass das doch gar nicht ginge.
Doch, wenn du einen Prinzen heiratest.
Ich will nicht heiraten.
Bernadette zeigte mir den Garten. Das sei ihr Reich, sie lachte, wie früher Mutters. Nur den Rasen mähe Johann. Sie zeigte mir, welche Blumen sie im Frühjahr neu gepflanzt hatte. Die große Eiche, die zu meiner Kindheit im Garten des Nachbars stand, war gefällt worden. Nach einem Unwetter, sagte Bernadette. Äste haben eine Garage zertrümmert und die Frau des Nachbars entschied, dass der Baum zu gefährlich sei.
Bernadette bat mich, noch ein paar Tage zu bleiben, aber ich sagte, ich müsse weg. Dann wurde sie ernst.
Ich möchte mich von Johann scheiden lassen, sagte sie.
Ich schwieg.
Manchmal, sagte sie. Manchmal denke ich, ich halte es keinen Tag mehr aus und dann geht es doch wieder.
Warum erzählst du mir das?, fragte ich. Ihr Gesicht war gerötet.
Weil du mein Bruder bist.
Dann sagte sie, dass sie Geld brauche. Sie arbeite nicht, und in ihrem Alter sei es schwer wieder an Arbeit zu kommen, deswegen bräuchte sie Geld. Sie bat mich, ihr einen größeren Teil des Erbes zu überlassen, als vorgesehen.
Tu, wie du denkst, sagte ich. Mir liegt nichts am Erbe.
Ich danke dir, Bruder, sagte sie und umarmte mich ungeschickt und kurz.
Wir gingen ins Haus zurück und Bernadette rief ihre Tochter, sie solle mir auf Wiedersehen sagen. Bernadette und Johann begleiteten mich zu Tür.
Johann sagte, es sei schade, dass er mich kaum kennen lernen konnte. Er lachte und klopfte mir auf die Schulter.
Ich verabschiedete mich schnell. Als ich ins Auto stieg, sah ich noch einmal zurück. Johann war schon im Haus verschwunden, Bernadette winkte. Ich fuhr an.
In Filmen regnet es immer, in solchen Momenten, dachte ich. Im Raum war es kühl, fast kalt, es war sehr still.
Der Priester hielt eine kurze Rede. Bernadette und ich hatten uns für Jahre nicht gesehen. Als ich sie das letzte mal sah, waren ihre Haare kurz. Jetzt trug sie einen Zopf, den ihr die Tochter geflochten hatte, erzählte sie mir später.
Bernadette fragte mich, was ich die Jahre über so gemacht habe und ich zuckte mit den Schultern. So dies und das, sagte ich und Bernadette schüttelte den Kopf.
Du musst nichts erzählen, wenn du nicht willst. Du hast nicht einmal geweint, trauerst du überhaupt?
Tränen ändern doch nichts, sagte ich. Du standest Mutter sowieso näher.
Bernadette stellte mir ihre Tochter vor, sie war sieben. Ich sei nie dagewesen, all die Jahre über. Als sie eingeschult wurde, oder Ballettaufführungen hatte – Bernadette hatte mir geschrieben, ich sagte meist nicht einmal ab. Das Mädchen war mir fremd, es hatte nichts von Bernadette.
Eine schöne Tochter hast du, sagte ich. Bernadette lachte.
Ja, sagte sie. Johann sagt, sie kommt ganz nach mir. Seit meiner Hochzeit mit Johann warst du wie vom Erdboden verschluckt.
Ich war beschäftigt, sagte ich. Ich war in Belgien und Frankreich.
Sie fragte, ob ich eine Freundin habe und ich verneinte. Nichts festes.
Willst du keine Kinder?
Wozu? Ich habe doch alles.
Es ist ja nicht so, dass es immer so weitergehen muss. Willst du nichts ändern?
Was sollte ich ändern wollen? Es läuft gut.
Am Abend ging ich mit in ein Restaurant, einige der Trauergäste kamen. Ich kannte die meisten nicht, Bernadette stellte sie mir vor. Entfernte Verwandte, alte Freunde der Familie. Einige erkannten mich, sie fragten, ob ich sie noch kenne und ich sagte, natürlich. Und lachte. Sie lachten auch. Die Situation war mir peinlich.
Johann war bei einer Versicherungsgesellschaft tätig, er erzählte von Unfällen und Kündigungsklauseln. Bernadette schien ihm kaum zuzuhören, die Tochter spielte zusammen mit anderen Kindern auf dem Fußboden. Ein Kellner hatte ihnen Ausmalbilder gebracht und Filzstifte. Die Kinder waren unruhig, sie malten ungenau und hastig. Ein Mädchen fing an zu weinen, die Mutter stand auf, nahm das Kind bei die Hand und verabschiedete sich schnell. Johann schien sich besonders für meine Arbeit zu interessieren, immer wieder fragte er nach Details und ich sah mich gezwungen, komplexe Zusammenhänge zu schildern. Bernadette bemerkte, dass ich schon immer ein kluges Kerlchen gewesen sei, und Johann lachte. Seine kurzen Haare hatte er mit Gel frisiert, seine Haut war sehr hell. Bernadette sagte, ich könne bei ihnen übernachten, aber ich sagte, ich habe schon ein Zimmer bezahlt.
Es war nicht sehr spät, die Gäste gingen nacheinander. Bald war die Tochter allein zwischen bemaltem Papier. Sie kam zu ihrer Mutter an den Tisch und saß unruhig auf ihrem Stuhl, aber sie sagte nichts.
Im ganzen Lokal war es ruhig geworden.
Wir gehen dann auch, sagte Bernadette. Sie stand auf und umarmte mich. Ich habe dich vermisst, Bruder, sagte sie, ich hoffe, du mich auch ein wenig.
Johann schüttelte mir die Hand. Schlaf gut, Schwager, sagte er.
Ich setze mich draußen auf eine kleine Mauer vor dem Restaurant und rauchte, hin und wieder gingen Gäste an mir vorbei. Ich sah ihnen nach. Irgendwo zirpte eine Grille, das Geräusch wurde von den Hauswänden zurückgeworfen, es erschien mir unnatürlich laut.
Am nächsten morgen fuhr ich zu meinem Elternhaus, in dem nun Bernadette mit ihrer Familie wohnte. Ich überlegte, einfach wieder zu fahren.
Ich stieg aus und klingelte. Bernadette begrüßte mich überschwänglich. Komm rein, sagte sie.
Es hatte sich kaum etwas verändert drinnen, die meisten Möbel standen noch an den Stellen, an denen sie schon immer gestanden hatten. Mir war die Wohnung fremd.
Es muss sich anfühlen, wie heimkommen, sagte Bernadette.
Sie sagte, du hast bestimmt noch nichts gegessen und führte mich ins Esszimmer. Dort saßen Johann und die Tochter am gedeckten Tisch.
Ich wusste nicht, ob du lieber süß oder herzhaft isst, sagte Bernadette. Deswegen habe sie beides hingestellt. Ich solle mich wieder wie früher fühlen. Wie daheim.
Die Tochter sagte hallo, und lachte mich an. Schnell sah sie wieder weg, so als sei es eine Aufgabe gewesen, die sie nun erfüllt hatte.
Wir aßen schweigend, dann begann Johann von Sturmschäden und Hagel im Ausland zu erzählen, mit dem seine Versicherung beschäftigt war.
Die haben das Wetter, das uns hier fehlt, sagte ich.
Wir bräuchten wirklich ein wenig Regen, sagte Bernadette. Diese Trockenheit ist für die Pflanzen nicht gut, sie kann auch für die Menschen nicht gesund sein.
Nach dem Essen sagte Bernadette, dass die Tochter mir ihr Zimmer zeigen möchte. Es war Bernadettes Kinderzimmer. An der Wand hingen bunte Poster von Prinzessinnen.
Ich fragte, ob sie später einmal Prinzessin werden wolle und sie sagte, dass das doch gar nicht ginge.
Doch, wenn du einen Prinzen heiratest.
Ich will nicht heiraten.
Bernadette zeigte mir den Garten. Das sei ihr Reich, sie lachte, wie früher Mutters. Nur den Rasen mähe Johann. Sie zeigte mir, welche Blumen sie im Frühjahr neu gepflanzt hatte. Die große Eiche, die zu meiner Kindheit im Garten des Nachbars stand, war gefällt worden. Nach einem Unwetter, sagte Bernadette. Äste haben eine Garage zertrümmert und die Frau des Nachbars entschied, dass der Baum zu gefährlich sei.
Bernadette bat mich, noch ein paar Tage zu bleiben, aber ich sagte, ich müsse weg. Dann wurde sie ernst.
Ich möchte mich von Johann scheiden lassen, sagte sie.
Ich schwieg.
Manchmal, sagte sie. Manchmal denke ich, ich halte es keinen Tag mehr aus und dann geht es doch wieder.
Warum erzählst du mir das?, fragte ich. Ihr Gesicht war gerötet.
Weil du mein Bruder bist.
Dann sagte sie, dass sie Geld brauche. Sie arbeite nicht, und in ihrem Alter sei es schwer wieder an Arbeit zu kommen, deswegen bräuchte sie Geld. Sie bat mich, ihr einen größeren Teil des Erbes zu überlassen, als vorgesehen.
Tu, wie du denkst, sagte ich. Mir liegt nichts am Erbe.
Ich danke dir, Bruder, sagte sie und umarmte mich ungeschickt und kurz.
Wir gingen ins Haus zurück und Bernadette rief ihre Tochter, sie solle mir auf Wiedersehen sagen. Bernadette und Johann begleiteten mich zu Tür.
Johann sagte, es sei schade, dass er mich kaum kennen lernen konnte. Er lachte und klopfte mir auf die Schulter.
Ich verabschiedete mich schnell. Als ich ins Auto stieg, sah ich noch einmal zurück. Johann war schon im Haus verschwunden, Bernadette winkte. Ich fuhr an.