Wolkenlos

3,00 Stern(e) 3 Bewertungen

Sumpfkuh

Mitglied
Sven trieb traumlos in einer Woge aus Dunkelheit, die ihn sanft umhüllte wie ein seidenes Tuch. Sein Atem ging ruhig, während er ausgestreckt auf seinem Bett schlief.
Völlig erschöpft war er hier nach einer durchwachten Nacht vollständig angekleidet eingeschlafen.
Ein Geräusch riss ihn aus seiner Dunkelheit. Er blickte zur Decke und versuchte mühsam seine Augenlider offen zu halten, die ihn, schwer wie Blei, zum weiterschlafen zwingen wollten.
Wieder erklang ein würgendes Geräusch außerhalb seines Zimmers, das ihn eilig hochfahren ließ. Er taumelte einige Schritte, bevor er die Müdigkeit ganz abschütteln konnte und stürzte ins Bad, welches direkt am Ende des Flurs lag.
Seine Schwester kniete vor der Toilette und würgte ihren Mageninhalt ins Klo, welcher lediglich aus ein wenig Suppe und Magensaft bestand. Feste Nahrung hatte sie schon seit einigen Wochen nicht mehr zu sich genommen.
Sven kniete sich neben Jule, strich ihr behutsam die blonden Strähnen aus dem Gesicht und hielt die Haare an ihrem Hinterkopf zu einem Zopf zusammen.
Während diese ihr blasses Gesicht über die Schüssel hängte, redete er behutsam auf sie ein.
„Schon gut Kleine, gleich hast du es überstanden“.
Wieder würgte sie und nahm danach einen tiefen Atemzug, welcher wie der eines Ertrinkenden klang, der in seiner Not versucht, so viel Sauerstoff wie möglich in seinen Lungen zu speichern.
Mit seiner freien Hand strich Sven ihr zärtlich über den Rücken. Ihr schmächtiger Körper zitterte vor Anstrengung. Sie war nur noch Haut und Knochen. Dort, wo einst ein gesundes, lebenslustiges Mädchen gewesen war, befand sich nun nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Ihre strahlend blauen Augen blitzten nicht mehr fröhlich, sondern lagen tief eingesunken in ihren Höhlen, das weizenblonde, glänzende Haar war stumpf und strähnig geworden.
Überall standen Knochen hervor, wo sonst ihre attraktiven, weiblichen Rundungen gewesen waren.
Er ekelte sich nicht davor, wenn sie sich übergab, oder versehentlich ihr Bett einnässte, weil sie zu schwach war um aufzustehen. Er bemühte sich, ihr so gut es ging zu helfen, brachte ihr Tee, las ihr vor oder redete einfach nur über ihre Kindheit und die schönen Dinge die sie zusammen erlebt hatten. Er wusch sie, wechselte ihr die Kleidung und bezog ihr Bett neu wenn es nötig war. Er hatte darauf bestanden, sich um sie zu kümmern, denn niemand stand ihr so nahe wie er, nicht einmal ihre Eltern, obwohl diese sie sehr liebten. Seit sie sich gemeinsam den Platz in der Gebärmutter geteilt hatten waren sie so gut wie unzertrennlich. Selbst als sie beide in die Pubertät kamen und sich zunehmend für das andere Geschlecht interessierten verloren sich ihre Wege nie. Oft unternahmen sie gemeinsame Radtouren oder Kinobesuche, auch ihren Urlaub verbrachten sie meist zusammen.
Für Außenstehende war ihre enge Bindung schwer nachvollziehbar, sie waren oft allein.
Bis zu dem Tag, als der Arzt ihr die vernichtende Diagnose mitteilte.
Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Nicht heilbar.
Jule und ihre Eltern waren in Tränen ausgebrochen, während er stumm daneben gestanden hatte, seine Hände in seinen Hosentaschen zu Fäusten geballt. Er wollte nicht glauben, was er da hörte. Jule hatte niemals geraucht, immer gesund gelebt, viel Sport getrieben. Außerdem waren sie doch erst neunzehn Jahre alt, im nächsten Jahr wollten sie gemeinsam ihr Studium beginnen.

Erst Tage später, als Jule ihre erste Infusion bekomme hatte und danach den Nachmittag würgend im Bad verbrachte, hatte er die Worte des Arztes realisiert und war weinend zusammengesunken.
Niemand hatte damit gerechnet, als der Husten nicht aufhören wollte, sie hatten nicht einmal dran gedacht als sie plötzlich immer öfter an Atemnot litt.
Die erschütternde Diagnose ließ seine gesamte Zukunft zerspringen wie eine Glaskugel. Er konnte nicht mehr nach vorne schauen, denn dort wartete das Unvermeintliche auf ihn.
Tausende von Scherben, die sich nicht mehr zusammenfügen ließen.
Ihre Eltern hatten Jule zu einer Chemo-Therapie überredet, die sie zwar nicht mehr heilen konnte, ihre Lebenserwartung allerdings um einige Monate verlängerte.

Nachdem ihre Krämpfe abklangen, half er seiner zitternden Schwester beim Aufstehen und stützte sie mit einem Arm. Ihr weißes Nachthemd schlotterte lose um ihren Körper. Vor dem Waschbecken stellte er das Wasser lauwarm ein und wusch ihr mit dem Waschlappen sanft über das eingefallene Gesicht.
Sie blickte ihn erschöpft an und in ihren Augen stand Dankbarkeit. Sie brauchte nicht zu sprechen, er verstand sie auch ohne Worte und flüsterte „Schon gut…“, während er ihr einen sanften Kuss auf ihre Stirn drückte. Ihre Haut fühlte sich an wie Seide. Einen Augenblick lang hätte er beinahe geweint, aber er riss sich zusammen und versuchte für seine Schwester stark zu sein. Danach hievte er sie auf seine Arme und sie legte müde ihren Kopf auf seine Schulter, während er sie zurück in ihr Schlafzimmer trug.
Er selbst hatte auch einige Kilo verloren, Schmerz und Hoffnungslosigkeit hatten an seinem Körper gezehrt und es kostete ihn trotz ihres Fliegensgewichts einiges an Anstrengung sie zu tragen, er atmete schwer.
„Ich kann laufen“, stöhnte sie in sein Ohr, aber er trug sie weiter bis zu ihrem Bett, wo er sie sanft ablegte. Ihr Nachthemd verrutschte und entblößte ein paar knochige Knie. Behutsam deckte er sie zu und setzte sich auf die Bettkante.
„Soll ich dir einen Tee machen?“ fragte er und wandte sein Gesicht ab, damit sie seine Tränen nicht sah, die nun an seiner Wange hinab liefen. Er ertrug es kaum, sie so zu sehen, so hilflos und krank. Die Dunkelheit. Diese verdammte Dunkelheit. Sie hatte sich über sie gelegt und sie in ihren Schatten gezogen, bevor sie auch ihn eingehüllt hatte. Er hatte das Gefühl als seien sie lebendig darin begraben, und so sehr er sich auch wand fand er nicht einmal einen kleinen Lichtstrahl, das Glühen einer erlöschenden Kerze oder auch nur ein kaum wahrnehmbares Flimmern.
Sie hatte die Natur immer geliebt. Bei Regen und bei Schnee waren sie gemeinsam draußen gewesen, hatten die feuchte Luft in ihre Lungen gesogen, Schneemänner gebaut und in den Pfützen so lange gehüpft bis das Wasser in ihren Gummistiefeln oben wieder herausschwappte. Dabei hatten sie immer viel gelacht, meistens war sie diejenige, die ihn trösten musste, wenn er hingefallen war, oder er später Liebeskummer hatte.
Sie selbst hatte immer die Zähne zusammen gebissen, er hatte sie nicht oft weinen sehen.
Jetzt sah er eine resignierende Traurigkeit in ihren Augen, die ihm selbst jegliche Hoffnung nahm.
Im Sommer hatten sie stundenlang auf der Wiese hinter dem Haus gelegen und Wolkenbilder gesucht. Sie mochte es, in den Himmel zu sehen und sich mit ihm phantastische Geschichten auszudenken, mit ihm über die Zukunft zu sinnieren.
„Immer Wolken, auch wenn es nur kleine sind. Ich wünsche mir einen wolkenlosen Himmel“, hatte sie damals sehr ernst gesagt.
Auch kleine Probleme machten ihr schwer zu schaffen, denn sie hatte den Drang danach, völlig unbeschwert zu leben und es allen recht zu machen.
Sie half wo sie konnte und war immer da, wenn man sie brauchte.
Mit zwölf hatte sie einmal ihren kompletten Kleiderschrank ausgeräumt und die Sachen in ein Kinderheim gebracht, nachdem sie im Fernsehen einen Bericht über die armen Weisen gesehen hatte. Ihre Eltern waren furchtbar wütend geworden, aber nachdem sie erklärt hatte, dass sie doch nur helfen wollte konnten sie ihr nicht mehr lange böse sein.
Sie wollte etwas tun, ein Mensch sein, der nicht die Augen verschließt, sondern versucht etwas zu ändern. Einen wolkenlosen Himmel hatte sie trotzdem nie gesehen. Und nun hatte der Himmel sich vollends verdunkelt.
Sven hatte Angst. Angst davor, dass die Luft hier drinnen immer dicker werden würde und Jule irgendwann mit der Dunkelheit ging, ein Teil von ihr wurde.
„Hey, weine doch nicht“, flüsterte sie nun und legte ihre kühle Hand auf seinen Unterarm.
Ihre Augen wirkten irgendwie erschrocken.
„Ich will nicht, dass du um mich weinst, du musst jetzt alles das tun, was ich nicht mehr kann.
Geh studieren, heirate, bekomme Kinder und male mit ihnen Wolkenbilder in den Himmel.“
Dicke Tränen tropften nun auf seine Jeanshose und hinterließen kleine, feuchte Flecken.
Er griff nach ihrer Hand.
„Rede nicht so“, weinte er, „ich möchte nicht, dass du sprichst, als wenn du schon gestorben wärst, du bist hier, bei mir. Wir werden gemeinsam studieren. Du wirst selber wundervolle Kinder bekommen und…“, ein Weinkrampf ließ ihn abbrechen. Er hielt sich schützend die Hände vor sein Gesicht und schluchzte wie ein kleines Kind.
„Sven, ich werde sterben“, sagte sie gefasst und drückte seine Hand feste zusammen, „sieh mich an, ich bin nur noch ein Haufen Elend, es geht mir schlecht, ich kann nicht mal mehr alleine auf die Toilette gehen. Ich will nicht mehr. Und ich möchte dich um etwas bitten…“.
Er sah sie an. Ihre Augen strahlten eine Entschlossenheit aus, die ihn ängstigte.
„Du darfst nicht aufgeben Jule, du bist meine Schwester, ich brauche dich, du wirst wieder gesund werden“, sagte er zu ihr, doch in seiner Stimme klang wenig Überzeugung.
Jule kniff die Lippen zusammen zog die Stirn zornig zusammen.
„Rede nicht so einen Quatsch, ich kann nicht mehr gesund werden und das weißt du auch.
Behandele mich nicht wie ein Kleinkind. Du bist der letzte, von dem ich Lügen erwarte“.
„Es tut mir Leid, es ist doch nur so schwer für mich“, antwortete er entschuldigend und streichelte ihre ausgehöhlte Wange, „was soll ich für dich tun?“
„Schon gut“, sagte sie besänftigend und zögerte einen Moment, bevor sie weiter sprach.
„Geh für mich hinunter in die Küche und hole das große Fleischmesser“.
Geschockt fuhr Sven hoch und sah ihr direkt in die Augen, suchte nach einem Blinzeln, einem Zeichen, das sie einen Scherz machte, aber er sah nur feste Entschlossenheit.
„Was…was hast du vor?“, fragte er um Atem ringend, obwohl er längst wusste, was sie plante.
Jule ignorierte seine Frage und sagte: „Bitte Sven, ich bin zu schwach, um es selbst zu tun, ich möchte nicht an irgendwelchen Apparaten im Krankenhaus liegen, von fremden Menschen bemitleidet werden. Ich will nicht als letztes in meinem Leben das Piepsen eines Monitors hören. Weißt du wie furchtbar es ist, wenn man langsam die Kontrolle über seinen Körper verliert? Wenn man dabei zusehen kann, wie man selbst zerfällt? Ich kann es jeden Tag im Spiegel sehen. Es ist schrecklich und ich wünsche es keinem. Ich möchte jetzt sterben, wo ich noch hier bin, bei dir.
Bitte, erfülle mir diesen Wunsch“.
Sven fehlten die Worte. Lange Zeit war er unfähig, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen, er starrte sie nur an. Seine hilflose, kleine Schwester. Er hatte immer versucht sie zu beschützen, aber diesmal hatte er versagt. Er konnte ihr nicht helfen, sie nicht retten.
Er wünschte sich verzweifelt sein Leben für das Ihre geben zu können.
Jule begann leise zu weinen, als sie merkte, dass ihr Bruder nicht reagierte.
„Bitte…“, flehte sie schluchzend.
Sven presste die Lippen aufeinander und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, dann stand er wortlos auf und verließ das Zimmer seiner Schwester.
Auf der halben Treppe hinunter hockte er sich auf die Stufe und umschlang seine Knie mit den Armen, er weinte hemmungslos.
Das war zu viel, was sie da von ihm verlangte. Einfach zu viel.
Nach etlichen Minuten verebbten seine Tränen und er stand auf. Wie in Trance ging er in die Küche und nahm das schwere Messer aus der Schublade.
Beide Eltern waren arbeiten. Besonders seine Mutter litt sehr unter Jules Krankheit. Sie versuchte, sich die Schuld zu geben, meinte, sie hätte nicht gesund genug gekocht, hätte dem Besuch das Rauchen im Haus untersagen müssen. Abends hörte er sie oft weinen.
Ihr Vater war gefasster, litt unter der Situation, aber mindestens genauso wie sie, er zeigte es nur nicht so offen. In letzter Zeit hatte Sven ihn oft in seinem Büro gesehen, wie er da saß und den dunklen Monitor anstarrte. Seine Familie war unter dem Schmerz gebrochen.
Als er die Treppe erneut hinauf stieg fühlte er sein Herz heftig in seiner Brust schlagen.
Das hier konnte nicht die Wirklichkeit sein, ein böser Alptraum aus dem er bald erwachen würde und Jule neben seinem Bett stand und ihm fröhlich ein Kissen an den Kopf warf.
Aber er erwachte nicht und Jule lag genauso krank in ihrem Zimmer wie vor einigen Minuten.
Als sie das Messer in seiner Hand sah lächelte sie.
„Ich liebe dich“, sagte sie, als er sich wieder auf der Bettkante nieder ließ.
„Ich liebe dich auch Jule, gerade deshalb kann ich es nicht tun. Ich bitte dich, verlang das nicht von mir, Kleine.“
„Weil du mich liebst, Sven. Wenn du mich retten willst, dann tu es. Lass nicht zu, dass sie mich an Schläuche hängen und Apparate anschließen. Bitte. Du bist der Mensch, dem ich am meisten vertraue. Ich möchte bei dir sein, wenn ich sterbe. Ich habe Angst, furchtbare Angst vor dem Tod. Aber noch mehr Angst macht es mir, in einer fremden Umgebung alleine zu sterben. Bitte, geh das letzte Stück mit mir.“
Mit zitternden Händen schob sie die Decke von ihrem Körper und zog ihr Nachthemd aus, bis ihre Brust völlig entblößt war. Überall stießen knochige Rippen aus ihrem Oberkörper und sie war furchtbar bleich.
Bittend blickte sie ihn an.
„Da wo du hingehst, wirst du an mich denken?“ brachte er unter Tränen hervor, während das Messer in seiner Hand vom kalten Schweiß glitschig wurde.
„Ich werde immer bei dir sein, wenn ich kann, immer“, schluchzte sie. „Das verspreche ich dir“. Ihre Lippen bebten. Sie atmete jetzt hektisch, Tränen rannen aus ihren Augenwinkeln die Wange hinab und tropften auf das weiße Bettlaken.
Er beugte sich zu ihr hinunter und schloss sie fest in seine Arme. Einige Minuten verharrten sie so in ihrem Schmerz. Ihre beiden Körper zitterten. Dann stieß sie ihn sanft von sich und sagte: „Es wird Zeit, großer Bruder“. Sie lächelte, während weiterhin kleine Rinnsale aus ihren Augen flossen.
Mit dem Ellenbogen wischte er sich das Gesicht trocken und nickte stumm.
Das Messer in seiner Hand fühlte sich kalt und falsch an. Trotzdem erhob er es jetzt über ihre Brust. Seine Hand zitterte stark, als er sie anblickte, nach einer Unsicherheit suchte, etwas, dass ihm Erbarmung zu Teil werden ließ. Sie drückte seine andere Hand feste. „Ich liebe dich“, flüsterte sie.
„Gott, bitte hilf uns“, flehte er, während das Messer drohend über ihrem Herzen zitterte. Dann ließ er die Hand hinabfahren und vereinigte das Messer mit ihrer Brust. Ihre Hand verkrampfte sich um die Seine, aber das nahm er kaum wahr.
„Nein“, schrie er und zog das Messer schnell aus der Wunde heraus.
Im Rhythmus ihres Herzschlages spritze Blut aus der Wunde, während sie leise stöhnte.
„Was habe ich getan?“ kreischte er und blickte ungläubig auf das blutüberströmte Messer in seiner Hand. Klingend fiel es zu Boden.
Er riss Jule in seine Arme und presste eine Hand verzweifelt auf die pulsierende Wunde.
Sie hustete kraftlos und dabei spritzten kleine Tropfen Blut aus ihrem Mund.
„Es ist gut Sven“, stöhnte sie gebrochen, „ Ich danke dir“. Bei jedem Atemzug den sie tat erklang nun ein Pfeifen, als würde draußen ein Sturm toben und seinen Wind durch die Bäume jagen. Er spürte, wie ihr Körper in seinen Armen immer schwächer wurde, es schien fast so, als würde sie leichter werden.
„Bitte, verlass mich nicht“, wimmerte er, während er sie sanft wiegte und dabei ihren Kopf fest an seine Schulter drückte.
Sie hustete wieder. Er legte sie sanft zurück auf das Kissen, das Bett war mittlerweile von ihrem Blut getränkt. Sie bewegte die Lippen, aber er konnte sie nicht verstehen.
„Was…was ist meine wunderschöne kleine Schwester? Er beugte sich tief hinunter, bis sein Kopf direkt neben ihrem lag.
„Der Himmel…“, flüsterte sie mit sterbender Stimme, „Der Himmel ist nun für immer wolkenlos“.
„Ja, ja, das ist er“, schluchzte er und sah ihr in die Augen. Sie lächelte, während er ihr sanft über die Haare strich und immer wieder ihre Stirn küsste.
Die kühle Hand in seiner erschlaffte. Sven verdeckte die Wunde in ihrer Brust und wischte ihr sanft mit der Bettdecke das Blut aus dem Gesicht. Sein Kiefer knirschte, als er dabei fest die Zähne zusammen biss. Er fühlte sich schuldig, aber auch auf eine sonderbare Weise glücklich. Dann zog er die noch im Tode lächelnde Jule in seine Arme und wiegte sie langsam, so wie er es schon als Kind getan hatte.
Als ihn drei Stunden später seine Eltern vorfanden, wiegte er sie noch immer und sang dabei leise weinend: “Here comes the sun...and I say, it`s allright.“
 

petrasmiles

Mitglied
Fact or Fiction?

Ich hoffe, fiction. Die Vorstellung, dass ein Mensch in solche einer Situation einem geliebten Menschen ein Messer in die Brust rammen kann, schreckt mich.
Es gibt doch andere Möglichkeiten ... ? Nicht, dass ich darüber schon einmal praktisch nachdenken musste.
Das Ende ist ein bisschen 'melodramatisch' (für meinen Geschmack nur verzeihlich, wenn das Leben selbst diese Geschichte schrieb, aber das ist Geschmackssache).
Die Schilderung der Geschwisterliebe war sehr warm und dicht und glaubwürdig. Den ganzen Rest (incl. Eltern) hätte es für mich nicht gebraucht - aber dann machte das tödliche Finale keinen Sinn, weil ma ja mit den Eltern reden könnte ... nein, das hätte ich nicht gebraucht, so blutig.

Viele Grüße
Petra
 

annaps

Mitglied
Sorry, aber Sterbehilfe mit einem Küchenmesser? Das war glatter Mord auf Verlangen. Und auch dafür wird man bestraft.
Den Schmerz des jungen Mannes hast Du sehr gut dargestellt. Nur, wenn die Schwester wirklich so stark gewesen wäre, wie Du sie zeitweise beschrieben hast, dann hätte sie das sicher nicht von ihrem Zwillingsbruder verlangt. Erscheint mir persönlich nicht logisch. Aber was ist schon logisch in einer solchen Situation. Die Eltern erscheinen nur als Randfiguren, hilflos und inkompetent. Sicher können Eltern in einer solchen Situation auch überfordert sein. Ihren 19jährigen Sohn damit aber allein zu lassen, kann ich mir als Mutter beim besten Willen nicht vorstellen. Übrigens: Kommata fehlen hier und da.
 



 
Oben Unten