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Wolkenschiffe
Schon vor dreißig Jahren hatten wir zusammen auf dieser Wiese gelegen, Grashalme gekaut und Händchen gehalten. Die Gegend hatte sich nicht ein bisschen verändert.
Wir schon. Wir waren älter geworden und konnten nicht mehr durch die Wiesen tollen. Ich schob Marias Rollstuhl sachte den sanften Hügel hoch. Ihr Kopf hing ein wenig schief und sie blickte ausdruckslos auf das idyllische Bild, das damals unsere Liebe entflammt hatte.
Wir kannten uns von der Schule und fuhren mit den Rädern auf den Hügel, der für mich als kleiner Junge immer schon ein Ort zum Träumen war. Nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen hatten liefen wir durch den satten Rasen, auf dem bunte Inseln aus Blüten standen, wie auf den Gemälden von Claude Monet.
Irgendwann sanken wir glücklich erschöpft zu Boden und schauten zusammen in den Himmel. „Ich möchte dich mitnehmen,“ sagte ich. „Dort, mit diesem Wolkenschiff,“ und deutete auf eine Wolke, die die Form eines Schiffes hatte.
Maria blickte mich zärtlich an. „Wir würden über Allem schweben und das Leben wäre ein einziger wolkenleichter Traum.“
Nach diesem Tag sind wir noch oft auf 'unserem' Hügel gewesen. Hier hatten wir uns zum ersten Mal geküsst, hier hatten wir uns zu ersten Mal geliebt. Und jedes Mal suchten wir nach Wolkenschiffen, die uns über den Himmel tragen.
Gemeinsam gingen wir fortan durchs Leben.
Wir besuchten die Wiese mit unseren Kindern und die zwei genossen es, wenn wir ihnen erklärten, wie man Wolkenschiffe findet und sich mit ihrer Hilfe über die Welt erhebt.
Das Schicksal meinte es gut mit uns.
Unsere Kinder fanden ihren Platz im Leben. Fanden ihre Liebe und schließlich teilte uns unsere Tochter mit, dass wir demnächst Oma und Opa werden.
Maria weinte vor Glück.
Die Kleine sah ihr sehr ähnlich mit ihren dunklen Augen und der Mähne, die sich so schwer bändigen ließ.
Zwei Jahre später sollten wir zum zweiten Mal Großeltern werden. Maria war wieder außer sich vor Freude. Der Bub erinnerte uns an unseren Sohn, der mit seiner Frau ins Ausland gezogen war.
Er schreib regelmäßig und rief auch häufig an. Ich durfte immer nur ein paar Worte mit ihm wechseln, Männer verstehen sich auch ohne viele Worte, bis Maria mir den Hörer aus der Hand nahm.
Wenn wir die Enkel zu Hause hatten, nahm ich sie gern mit zu unserer Blumenwiese, erklärte ihnen, wie diese oder jene Blume heißt.
Auf einer Decke liegend hatte ich unserer Enkelin dann das Geheimnis der Wolkenschiffe näher gebracht. Die Kleine war begeistert und erzählte mit ihrem dünnen Stimmchen ihren Eltern davon.
Schließlich meldete sich auch bei unserer Schwiegertochter Nachwuchs an. Maria war in ihrem Element. Sie organisierte ein großes Familientreffen und war einfach nur glücklich.
Sie mietete einen Saal, sorgte fürs Essen, engagierte Musiker und buchte einen Flug für unseren Sohn mit seiner Familie.
Abends sanken wir ins Bett und nahmen uns in den Arm. Es war nach all den Jahren immer noch schön.
Doch dann schlug das Schicksal zu:
Auf ihrem Weg zum Flughafen erlitt Maria einen Gehirnschlag.
Der Infarkt lähmte ihre Arme und ihre Beine. Sie war nicht mehr in der Lage den Wagen zu kontrollieren.
Ungebremst knallte sie mit der linken Seite vor einen Baum und wurde daraufhin eine Böschung hinunter geschleudert. Sie war wahrscheinlich schon ohnmächtig, als sie am Böschungsende aufschlug
Aufmerksame Autofahrer sahen den Unfall und benachrichtigten sofort die Rettung. Der Notarzt war ein erfahrener Mann und konnte auf dem Weg ins Krankenhaus mehrere Brüche wie auch den primär ischämischen Gehirninfarkt diagnostizieren.
Die Genesung dauerte fast ein Jahr. Maria konnte danach im Rollstuhl sitzen. Aber sie war seit ihrem Unfall im Wachkoma. Apallisches Syndrom nannte es der Arzt. Sollte sie nach über einem Jahr nicht wieder aus dem Koma erwacht sein, stünden die Chancen auf eine Heilung sehr schlecht. Ich wollte Maria bei mir haben und holte sie nach Hause. Meine Kinder waren häufig zu Besuch und kümmerten sich rührend mit unseren Enkeln um sie.
Aber eine Reaktion von ihr erfolgte nicht.
Wir beschlossen, eine kleine Spazierfahrt zu machen, um 'unseren' Hügel zu besuchen. Es war so herrlich wie früher, aber Maria schien von all dem nichts wahrzunehmen.
Unsere Enkel tollten über die Wiese und spielten Kriegen, als ich Marias Hand nahm und sagte: „Erinnerst du dich noch an diesen herrlichen Ausblick ? Hier haben wir einige der schönsten Momente unseres Lebens gehabt.“
Maria reagierte nicht.
Ihr Lebensmut und ihre natürlichen Offenheit hatten unsere Partnerschaft immer stark gemacht. Sie war immer der Fels in der Brandung, hatte immer ein offenes Ohr für die Nöte Anderer. Und jetzt war sie in ihrem Körper eingesperrt. Entweder unfähig, sich zu äußern oder unfähig, ihre Umwelt wahrzunehmen. Sie war der Pol in unser aller Leben, um den sich alles drehte. Sie war mein Motor, der mich immer wieder antreiben konnte. Jetzt war ich allein. Hilflos.
Unsere Enkelin kam auf uns zu gesprungen und deutete aufgeregt nach oben: „Opa, Opa ! Sieh mal, ein Wolkenschiff !“
Marias Kopf bewegte sich langsam und folgte dem Finger der Kleinen, der auf einen Wolkenhaufen deutete. Und undeutlich formte Marias Mund das Wort: „Wolkenschiff.“
Schon vor dreißig Jahren hatten wir zusammen auf dieser Wiese gelegen, Grashalme gekaut und Händchen gehalten. Die Gegend hatte sich nicht ein bisschen verändert.
Wir schon. Wir waren älter geworden und konnten nicht mehr durch die Wiesen tollen. Ich schob Marias Rollstuhl sachte den sanften Hügel hoch. Ihr Kopf hing ein wenig schief und sie blickte ausdruckslos auf das idyllische Bild, das damals unsere Liebe entflammt hatte.
Wir kannten uns von der Schule und fuhren mit den Rädern auf den Hügel, der für mich als kleiner Junge immer schon ein Ort zum Träumen war. Nachdem wir unsere Schuhe ausgezogen hatten liefen wir durch den satten Rasen, auf dem bunte Inseln aus Blüten standen, wie auf den Gemälden von Claude Monet.
Irgendwann sanken wir glücklich erschöpft zu Boden und schauten zusammen in den Himmel. „Ich möchte dich mitnehmen,“ sagte ich. „Dort, mit diesem Wolkenschiff,“ und deutete auf eine Wolke, die die Form eines Schiffes hatte.
Maria blickte mich zärtlich an. „Wir würden über Allem schweben und das Leben wäre ein einziger wolkenleichter Traum.“
Nach diesem Tag sind wir noch oft auf 'unserem' Hügel gewesen. Hier hatten wir uns zum ersten Mal geküsst, hier hatten wir uns zu ersten Mal geliebt. Und jedes Mal suchten wir nach Wolkenschiffen, die uns über den Himmel tragen.
Gemeinsam gingen wir fortan durchs Leben.
Wir besuchten die Wiese mit unseren Kindern und die zwei genossen es, wenn wir ihnen erklärten, wie man Wolkenschiffe findet und sich mit ihrer Hilfe über die Welt erhebt.
Das Schicksal meinte es gut mit uns.
Unsere Kinder fanden ihren Platz im Leben. Fanden ihre Liebe und schließlich teilte uns unsere Tochter mit, dass wir demnächst Oma und Opa werden.
Maria weinte vor Glück.
Die Kleine sah ihr sehr ähnlich mit ihren dunklen Augen und der Mähne, die sich so schwer bändigen ließ.
Zwei Jahre später sollten wir zum zweiten Mal Großeltern werden. Maria war wieder außer sich vor Freude. Der Bub erinnerte uns an unseren Sohn, der mit seiner Frau ins Ausland gezogen war.
Er schreib regelmäßig und rief auch häufig an. Ich durfte immer nur ein paar Worte mit ihm wechseln, Männer verstehen sich auch ohne viele Worte, bis Maria mir den Hörer aus der Hand nahm.
Wenn wir die Enkel zu Hause hatten, nahm ich sie gern mit zu unserer Blumenwiese, erklärte ihnen, wie diese oder jene Blume heißt.
Auf einer Decke liegend hatte ich unserer Enkelin dann das Geheimnis der Wolkenschiffe näher gebracht. Die Kleine war begeistert und erzählte mit ihrem dünnen Stimmchen ihren Eltern davon.
Schließlich meldete sich auch bei unserer Schwiegertochter Nachwuchs an. Maria war in ihrem Element. Sie organisierte ein großes Familientreffen und war einfach nur glücklich.
Sie mietete einen Saal, sorgte fürs Essen, engagierte Musiker und buchte einen Flug für unseren Sohn mit seiner Familie.
Abends sanken wir ins Bett und nahmen uns in den Arm. Es war nach all den Jahren immer noch schön.
Doch dann schlug das Schicksal zu:
Auf ihrem Weg zum Flughafen erlitt Maria einen Gehirnschlag.
Der Infarkt lähmte ihre Arme und ihre Beine. Sie war nicht mehr in der Lage den Wagen zu kontrollieren.
Ungebremst knallte sie mit der linken Seite vor einen Baum und wurde daraufhin eine Böschung hinunter geschleudert. Sie war wahrscheinlich schon ohnmächtig, als sie am Böschungsende aufschlug
Aufmerksame Autofahrer sahen den Unfall und benachrichtigten sofort die Rettung. Der Notarzt war ein erfahrener Mann und konnte auf dem Weg ins Krankenhaus mehrere Brüche wie auch den primär ischämischen Gehirninfarkt diagnostizieren.
Die Genesung dauerte fast ein Jahr. Maria konnte danach im Rollstuhl sitzen. Aber sie war seit ihrem Unfall im Wachkoma. Apallisches Syndrom nannte es der Arzt. Sollte sie nach über einem Jahr nicht wieder aus dem Koma erwacht sein, stünden die Chancen auf eine Heilung sehr schlecht. Ich wollte Maria bei mir haben und holte sie nach Hause. Meine Kinder waren häufig zu Besuch und kümmerten sich rührend mit unseren Enkeln um sie.
Aber eine Reaktion von ihr erfolgte nicht.
Wir beschlossen, eine kleine Spazierfahrt zu machen, um 'unseren' Hügel zu besuchen. Es war so herrlich wie früher, aber Maria schien von all dem nichts wahrzunehmen.
Unsere Enkel tollten über die Wiese und spielten Kriegen, als ich Marias Hand nahm und sagte: „Erinnerst du dich noch an diesen herrlichen Ausblick ? Hier haben wir einige der schönsten Momente unseres Lebens gehabt.“
Maria reagierte nicht.
Ihr Lebensmut und ihre natürlichen Offenheit hatten unsere Partnerschaft immer stark gemacht. Sie war immer der Fels in der Brandung, hatte immer ein offenes Ohr für die Nöte Anderer. Und jetzt war sie in ihrem Körper eingesperrt. Entweder unfähig, sich zu äußern oder unfähig, ihre Umwelt wahrzunehmen. Sie war der Pol in unser aller Leben, um den sich alles drehte. Sie war mein Motor, der mich immer wieder antreiben konnte. Jetzt war ich allein. Hilflos.
Unsere Enkelin kam auf uns zu gesprungen und deutete aufgeregt nach oben: „Opa, Opa ! Sieh mal, ein Wolkenschiff !“
Marias Kopf bewegte sich langsam und folgte dem Finger der Kleinen, der auf einen Wolkenhaufen deutete. Und undeutlich formte Marias Mund das Wort: „Wolkenschiff.“