Xtreme Rotkäppchen

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Ohne übertreiben zu wollen, ich darf mich als Märchenliebhaber und ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet vorstellen. Wer kennt sie nicht, all die alten und überlieferten Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen, den Herumtreibern Hänsel und Gretel oder dem Raumschiff Enterprise?

Natasha, meine Moskauer Freundin, meint zwar, dass die russischen Märchen wesentlich lebensnaher sind, weil in ihnen vor allem von den Gefahren der Fauna und Flora, wie zum Beispiel sprechende Bären, fliegende Blinis oder dem arschbitterkalten Winter die Rede ist, aber ich lass Natasha reden. Unsere Geschichten von schnuckeligen Prinzessinnen und verwunschenen Schlössern wärmen das Herz mehr und bereiten uns viel besser auf das pralle Leben unserer täglich im Fernsehen zu bewundernden Stars vor. Sonst ertrüge man das ja gar nicht mehr.

Umso mehr waren wir erfreut, als meine Schwester und zugleich Mutter zweier entzückender Kinder, bei uns anfragte, ob wir nicht am kommenden Samstag Tobias und Lara babysitten könnten. Sie und ihr Mann hätten Karten fürs Theater und würden jemanden brauchen, der ihnen die Brut vom Leib hält. Wir stimmten freudig entschlossen zu.

Noch am selben Tag langte ich nach dem abgeschmuddelten Schmöker in der luxuriös gebundenen Sonderauflage vom Dezember diesen Jahres mit dem Titel „Alle, aber wirklich alle gesammelten Märchen der Grimm-Gang“, schlug es auf und frischte die Märchen in meinem Geiste auf. Manche Details waren mir nicht mehr so im Gedächtnis geblieben und die Erinnerung an die Pointen verschwunden, doch für den kommenden Samstag wollte ich mir keine Blößen geben. Meine Finger huschten über die Zeilen und machten kleine Notizen. Meine Lippen wiederholten die einzelnen Sätze, bis sie einzementiert in meinen Gehirnzellen steckten. Nach einigen Tagen fühlte ich mich stark genug und zu allem bereit. Robin Hood, Hänsel auf der Erbse und die Lebkuchenschlampe, die Details saßen perfekt.

Die Kinder bereiteten uns einen begeisterten Empfang. Voll Freude wollten sie ihr Spielzeug mit uns teilen und warfen es uns an den Kopf. Mit einem Ausdruck der Vorfreude im Gesicht, fragte ich die beiden Racker: „Soll ich euch ein Märchen erzählen?“

„Bäh, Märchen sind fad“, kam die Antwort aus den kleinen Mäulchen.

Kinder können so spaßig in ihrer Ausdrucksweise sein. Ich nahm ihre Zustimmung mit Freude zur Kenntnis.

„Also: Es war ein mal ein kleines Mädchen, dessen alte Großmutter arm und krank im Bette lag...“, begann ich. Tobias und Lara gähnten herzzereißend. „Schauen wir uns lieber einen Actionfilm an“, quengelten sie.

Ohne auf ihren altersmäßig unpassenden Vorschlag einzugehen fragte ich; „Habt ihr Durst?“ Märchen machen nämlich durstig, muss man wissen. „Was wollt ihr denn trinken?“

„Bloody Mary - on the rocks!“ und „Eiscreme– shaken, not stirred“, kam es fast zeitgleich aus den kleinen Mündern geschossen. Natasha interpretierte ihre Wünsche großzügig und brachte ihnen umgehend zwei Gläser mit warmer Milch. Die zwei Bälger murrten lauthals, ich setzte meine Geschichte fort.

„Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Das kleine Mädchen trug einen roten Mantel mit einer Kapuze und...“

„Arbeitet sie in einem Puff?“, fragte Tobias.

„Ich tippe eher auf Gangmitglied bei den ‚Red Gothics’“, erwiderte Lara kennerisch.

„Aber nein, meine Dummerchen, wie kommt ihr denn darauf?“ kicherte ich aufgrund der lebhaften Phantasie der Kinder. „Lasst mich weitererzählen.“

„Wegen der roten Kapuze nannte sie jeder Rotkäppchen.“

„Interessanter Nickname. Die treibt sich wohl viel in den Intim-dating-Foren herum?“

Ich ignorierte Lara’s etwas frühreifen Einwurf. „Sie nahm einen Korb...“, fuhr ich mit erhobener Stimme fort, “...in dem sich Wein und Kuchen befanden und ging in den dunklen Wald...“

„Hehe, erinnerst du dich, als Yvonne aus unserer Kindergartengruppe mit dem ultrakurzen Minirock und den zwei süßen Boys zum ‚Picknick’ in den Stadtpark ging?“ wandte sich Lara an Tobias. „Natürlich“, antwortete Tobias, „Sie bekam doch nachher die Grasflecken nicht mehr raus. Wo sie ihren Slip gelassen hatte, konnte sie auch nicht mehr sagen, und die zwei süßen Boys können bis heute nicht mehr gerade stehen.“ Beide glucksten vor sich hin.

„Wer ist Yvonne? Bei Rotkäppchen gibt’s keine Yvonne.“ Ich sah streng in die Runde. „Und außerdem, könnte ich meine Geschichte fortsetzen?“ Mitleidig sahen die beiden zuerst Natasha und dann mich an. Ich begann von Neuem: „Im Wald traf sie beim Lebkuchenhaus auf den bösen Hänsel...“

„...und der wollte Zuckerglacé von ihrem knackigen Po schlecken.“ Tobias schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. „Die Bremer Stadtprinzen sangen dazu ihren Hit »Baby, ich will Dir ans Gemächt fassen«“ Lara fiel vor Lachen vom Sofa.

Ich blätterte hastig in meinem Märchenbuch nach. Diese Stelle war mir so bisher nicht bekannt gewesen.
„Unsinn! Setzt euch gerade hin und passt auf, anstatt mir immer dreinzureden.“ Ich war nun etwas irritiert.

„Gerade als der böse Hänsel das zutrauliche Rotkäppchen ins Feuer stoßen wollte, da...“

„...sprang Orlando Bloom hinter dem Busch hervor.“ Lara ereiferte sich begierig. „Noch den heißen Liebesdampf aus der vorangegangenen Sexszene mit Gretel an der Brust haftend, zückte er seinen Magnum-Eislutscher und fror Hänsel zu einem Eisblock.“ Lara grinste mich voll Stolz über ihr Märchenwissen an. Ich war verblüfft.

Tobias ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, und schloss das Märchen ab: „Nachdem sie die arme, kranke Großmutter ins Altersheim eingeliefert hatten, verwöhnten Gretel und Rotkäppchen Orlando mit einer Spezialmassage, und wenn sie nicht gestorben sind...“, beide klatschen vor Freude die Hände zusammen, „...dann brauchen sie heute schon Viagra.“

„Noch ein Märchen, bitte, noch eines“, skandierten sie.

Natasha und ich sahen uns an. War was in der Milch drinnen gewesen?

Mein altersschwaches Gedächtnis gab mir zu denken. Vielleicht sollten wir sie doch den Actionfilm ansehen lassen? Märchen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Korrekturvorschläge:

Xtreme Rotkäppchen
Veröffentlicht von Marius Speermann am 03. 01. 2006 03:29
Ohne übertreiben zu wollen, ich darf mich als Märchenliebhaber und ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet vorstellen. Wer kennt sie nicht, all die alten und überlieferten Märchen von Schneewittchen und den sieben Zwergen, den Herumtreibern Hänsel und Gretel oder dem Raumschiff Enterprise?

Natasha, meine Moskauer Freundin, meint zwar, [red] daß [/red] (dass) die russischen Märchen wesentlich lebensnaher sind, weil in ihnen vor allem von den Gefahren der Fauna und Flora, wie zum Beispiel sprechende Bären, fliegende Blinis oder dem arschbitterkalten Winter die Rede ist, aber ich [red] laß’ [/red] (lass) Natasha reden. Unsere Geschichten von schnuckeligen Prinzessinnen und verwunschenen [red] Schlößern [/red] (Schlössern) wärmen das Herz mehr und bereiten uns viel besser auf das pralle Leben unserer täglich im Fernsehen zu bewundernden Stars vor. Sonst ertrüge man das ja gar nicht mehr.

Umso mehr waren wir erfreut, als meine Schwester und zugleich Mutter zweier entzückender Kinder, bei uns anfragte, ob wir nicht am kommenden Samstag Tobias und Lara babysitten könnten. Sie und ihr Mann hätten Karten fürs Theater und würden jemanden brauchen, der ihnen die Brut vom Leib hält. Wir stimmten freudig [red] entschloßen [/red] (entschlossen) zu.

Noch am selben Tag langte ich nach dem [blue] abgeschnudelten [/blue] (schönes neues Wort, vielleicht ersetzen durch angeschmuddelt) Schmöker in der luxuriös gebundenen Sonderauflage vom Dezember diesen Jahres mit dem Titel „Alle, aber wirklich alle gesammelten Märchen der Grimm-Gang“, schlug es auf und frischte die Märchen in meinem Geiste auf. Manche Details waren mir nicht mehr so im Gedächtnis geblieben und die Erinnerung an die Pointen verschwunden, doch für den kommenden Samstag wollte ich mir keine Blößen geben. Meine Finger huschten über die Zeilen und machten kleine Notizen. Meine Lippen wiederholten die einzelnen Sätze, bis sie einzementiert in meinen Gehirnzellen steckten. Nach einigen Tagen fühlte ich mich stark genug und zu allem bereit. Robin Hood, Hänsel auf der Erbse und die Lebkuchenschlampe, die Details saßen perfekt.

Die Kinder bereiteten uns einen begeisterten Empfang. Voll Freude wollten sie ihr Spielzeug mit uns teilen und warfen [blue] sie [/blue] (es) uns an den Kopf. Mit einem Ausdruck der Vorfreude im Gesicht, fragte ich die beiden Racker: „Soll ich [red] Euch [/red] (euch) ein Märchen erzählen?“

„Bäh, Märchen sind fad“, kam die Antwort aus den kleinen Mäulchen.

Kinder können so spaßig in ihrer Ausdrucksweise sein. Ich nahm ihre Zustimmung mit Freude zur Kenntnis.

„Also: Es war ein mal ein kleines Mädchen, dessen alte Großmutter arm und krank im Bette lag...“, begann ich. Tobias und Lara gähnten herzzereißend. „Schauen wir uns lieber einen Actionfilm an“, quengelten sie.

Ohne auf ihren altersmäßig unpassenden Vorschlag einzugehen(Komma) fragte ich; „Habt [red] Ihr [/red] (ihr) Durst?“ Märchen machen nämlich durstig, [red] muß [/red] (muss) man wissen. „Was wollt [red] Ihr [/red] denn trinken?“

„Bloody Mary - on the rocks!“ und „Eiscreme– shaken, not stirred“, kam es fast zeitgleich aus den kleinen Mündern geschossen. Natasha interpretierte ihre Wünsche großzügig und brachte ihnen umgehend zwei Gläser mit warmer Milch. Die zwei Bälger murrten lauthals, ich setzte meine Geschichte fort.

„Wo war ich [red] stehe [/red] (stehen) geblieben? Ach ja: Das kleine Mädchen trug [blue] ein [/blue] (überflüssig) einen roten Mantel mit einer Kapuze und...“

„Arbeitet sie in einem Puff?“, fragte Tobias.

„Ich tippe eher auf Gangmitglied bei den ‚Red Gothics’“, erwiderte Lara kennerisch.

„Aber nein, meine Dummerchen, wie kommt ihr denn darauf?“(Komma) kicherte ich aufgrund der lebhaften Phantasie der Kinder. (Anführungszeichen) [red] Laßt [/red] (Lasst) mich weitererzählen.

„(kein Anführungszeichen)Wegen der roten Kapuze nannte sie jeder Rotkäppchen.“

„Interessanter Nickname. Die treibt sich wohl viel in den Intim-dating-Foren herum?“

Ich ignorierte Lara’s etwas frühreifen Einwurf. „Sie nahm einen Korb...“, fuhr ich mit erhobener Stimme fort, “...in dem sich Wein und Kuchen befanden und ging in den dunklen Wald...“

„Hehe, erinnerst[red] Du Dich[/red] (du dich), als Yvonne aus unserer Kindergartengruppe mit dem ultrakurzen Minirock und den zwei süßen Boys zum ‚Picknick’ in den Stadtpark ging?“(Komma) wandte sich Lara an Tobias. „Natürlich“, antwortete Tobias, „Sie bekam doch nachher die Grasflecken nicht mehr raus. Wo sie ihren Slip gelassen hatte, konnte sie auch nicht mehr sagen, und die zwei süßen Boys können bis heute nicht mehr gerade stehen.“ Beide glucksten vor sich hin.

„Wer ist Yvonne? Bei Rotkäppchen gibt’s keine Yvonne.“ Ich sah streng in die Runde. „Und außerdem, könnte ich meine Geschichte fortsetzen?“ Mitleidig sahen die beiden zuerst Natasha und dann mich an. Ich begann von Neuem: „Im Wald traf sie beim Lebkuchenhaus auf den bösen Hänsel...“

„...und der wollte Zuckerglacé von ihrem knackigen Po schlecken.“ Tobias schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. „Die Bremer Stadtprinzen sangen dazu ihren Hit »Baby, ich will Dir ans Gemächt fassen«“ Lara fiel vor Lachen vom Sofa.

Ich blätterte hastig in meinem Märchenbuch nach. Diese Stelle war mir so bisher nicht bekannt gewesen.
„Unsinn! Setzt euch gerade hin und [red] paßt [/red] (passt) auf, anstatt mir immer dreinzureden.“ Ich war nun etwas irritiert.

„Gerade als der böse Hänsel das zutrauliche Rotkäppchen ins Feuer stoßen wollte, da...“

„...sprang Orlando Bloom hinter dem Busch hervor.“ Lara ereiferte sich begierig. „Noch den heißen Liebesdampf aus der vorangegangenen Sexszene mit Gretel an der Brust haftend, zückte er seinen Magnum-Eislutscher und fror Hänsel zu einem Eisblock.“ Lara grinste mich voll Stolz über ihr Märchenwissen an. Ich war verblüfft.

Tobias ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, und [red] schloß [/red] (schloss) das Märchen ab: „Nachdem sie die arme, kranke Großmutter ins Altersheim eingeliefert hatten, verwöhnten Gretel und Rotkäppchen Orlando mit einer Spezialmassage, und wenn sie nicht gestorben sind...“, beide klatschen vor Freude die Hände zusammen, „...dann brauchen sie heute schon Viagra.“

„Noch ein Märchen, bitte, noch eines“, skandierten sie.

Natasha und ich sahen uns an. War was in der Milch drinnen gewesen?

Mein altersschwaches Gedächtnis gab mir zu denken. Vielleicht sollten wir sie doch den Actionfilm ansehen lassen? Märchen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.
Eh, so viele fehler bin ich ja von dir gar nicht gewöhnt.
Bei xtreme dachte ich, es hätte was mit weihnachten zu tun, in amerika sagt man ja auch xmas. Also schon n witz in der überschrift.
Von mir aus hättest du noch mehr märchen miteinander verknüpfen können, ich finde so was lustig.
Wie alt sind die kinder? So was von frühreif ist ja wirklich zum schreien.
lg
 
Re: Korrekturvorschläge:

Wow, super. Danke für das ausführliche Editieren. Bei Dir scheint sich's ja um Schlaflosigkeit zu handeln, so spät in der Nacht. Kenne ich, kenne ich: ein "wohlmeinender" Freund hat mal gemeint, es handle sich um senile Bettflucht.

Die realen Kinderlein sind erst 4 Monate eines, und das andere fast 3, also stimmen sie nicht ganz überein mit den literarischen Kindern, aber ich darf ja ein bisserl lügen ;-)

Bei den ganzen trendigen Marken und Slogans schreiben die Amis oft nur ein X, z.B. Xperience, Xmas, xtreme, Xtra oder gleich mit mehreren, z.B. XXXtreme, was aber bei den sogenannten Triple-X auf die Sex-Industrie hinweist (XXX-Filme). Habe ursprünglich überlegt, diese Geschichte auf XXXtreme Rotkäppchen zu taufen, aber dann doch Abstand genommen. Kommt noch irgendwann später mal, die Idee hebe ich mir auf.

Mehr Märchen: ich habe noch was anderes auf Lager, kommt bald.

Marius
 



 
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