Neulich fuhr ich Zug. Das ist nichts Besonderes, weil das ganz viele Menschen an ganz vielen Tagen machen, aber wenn ich eine lange Zugfahrt vor mir habe, ist das etwas Besonderes, da ich das nicht täglich tue. Und natürlich geht dann fast alles schief.
Zunächst fiel der eingesetzte Zug einfach aus. Das bedeutete, dass die Deutsche Bahn einen Ersatzzug einsetzte, in dem dann aber die Platzreservierungen wegfielen. Mir machte das nichts aus, Hauptsache, ich saß irgendwo, um meinen neuen heißgeliebten Schmöker, "Grabesgrün" von Tana French, weiterlesen zu können. Einige Menschen beschwerten sich sofort, dass sie nicht den für sie reservierten Platz hätten, aber ich saß glücklich und zufrieden auf einem Einzelsitz, parallel zu einem alleinreisenden Vater mit drei Kindern im Grundschulalter.
Das war natürlich klar, dass ich dort saß, ich war ja gerade prädestiniert, auf einen alleinreisenden Vater mit drei Kindern aufzupassen. Niemals hätte ich den Kindern erlaubt, derartig viele Raffaellos zu fressen, ja zu fressen, und noch anderen Süßkram, aber gut, waren ja nicht meine Kinder. Der Vater telefonierte beständig mit seinem Handy, entweder mit Mama oder mit der Freundin. Mit seiner Freundin. Jetzt müssen Sie nicht denken, dass ich gelauscht hätte, aber wenn man nur einen Meter entfernt sitzt, ist es unmöglich, nicht zu lauschen. Die Kinder spielten Karten und erzählten und hielten mich vollkommen vom Lesen ab, aber das machte nichts, schließlich fand ich sie sehr unterhaltsam.
Dann hielt der Zug urplötzlich im Niemandsland an. Nur Gleise, Wald und Einsamkeit. Nichts sonst. "Liebe Herrschaften", ertönte es aus dem Lautsprecher, "die Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit." Das ist das Schlechteste, was man in einem Zug hören kann. Ich dachte sofort an meine Vorräte: Wasser, eine halbe Flasche noch, Essen - keines. Vielleicht rückten die Kinder ein paar Raffaelos raus? Die Kinder fanden das alles spannend und bombardierten den armen Vater mit Fragen, auf die ich auch keine Antwort gewusst hätte.
Wir standen eine Stunde lang. Es passierte nichts. Die Luft wurde stickig. Die Kinder dösten vor sich hin, der Vater auch. Ich las mein Buch und stellte mir vor, in einer öden Wildnis zu sein. Wer kann einen da retten? Genau, Crocodile Dundee. Er kam einfach mit einem anderen Zug und rettete mich und alle anderen, besonders natürlich diese Kinder, denn Frauen und Kinder werden immer zuerst gerettet. Plötzlich hielt tatsächlich ein anderer Zug neben unserem. Es entstand eine hektische Betriebsamkeit. "Liebe Herrschaften", hörte man wieder eine schnaubende Stimme, "wir werden Sie jetzt alle DURCH EINE TÜR in den anderen Zug evakuieren. Bitte folgen Sie den Anweisungen des Personals!"
Abgesehen davon, dass Herrschaften ein fürchterliches Wort ist, wurde es jetzt richtig spannend. Das Zugpersonal hatte einen kleinen Steg gebaut, der zu dem anderen Zug führte, und darüber mussten nun alle Passagiere den Ort wechseln. Der Steg war schmal, darunter nur die nackten Gleise. Ich betrat diesen Steg. Ach, das war eine wackelige Hängebrücke, die über einen Abgrund führte. Unten lauerten fürchterliche Echsen, die geifernd auf Futter warteten und andere schleimige Ungeheuer, die kriechend umherrirrten und ihre schwarzen Augen sehnsuchtsvoll auf frisches Fleisch richteten. Am Ende der Hängebrücke stand Crocodile Dundee und streckte die Hand aus, um mir rüberzuhelfen.
Seine Augen waren blauer als die Ägäis, sein Messer steckte im Gürtel seiner perfekt sitzenden Jeans und sein Hut beschirmte sein gebräuntes Gesicht. Ich ergriff seine Hand und spazierte wie selbstverständlich über die Brücke, die mich fast nicht trug und hatte überhaupt keine Angst. Ich wollte mich noch bedanken, aber dann....verwandelte sich Crocodile Dundee in einen schwitzenden, rotgesichtigen, übergewichtigen Bahnangestellten und ich wäre fast in den Abgrund gestürzt. "Bitte weitergehen, meine Herrschaften", hörte ich den Mann sagen, "einfach weitergehen!" (Wieso jetzt ICH Herrschaften war, war mir völlig schleierhaft!)
Es dauerte eine Stunde, bis der Zug evakuiert war. Der Vater mit den drei Kindern musste auf zwei Sitzen kampieren. Ich bekam zwar einen Platz, aber genau gegenüber einem Mann, der so tat, als sei ich Luft, um dann dauernd mein Buch mitzulesen. Ich bring ihn um, dachte ich, ganz bestimmt, wenn er jetzt noch weiter so tut, als interessiere es ihn nicht, dass ich inzwischen ein Teilchen aus dem Bordbistro aß. Ich wünschte mir wieder Crocodile Dundee herbei, damit er dem Typ mal ordentlich die Meinung geigte. Aber leider war CD weg, stattdessen gab es wieder Durchsagen für die Herrschaften sowie kostenloses Wasser, das aber genau bei mir zu Ende war.
Spätabends erreichten wir alle unser Ziel. Ich war trotzdem glücklich, denn zu Hause entdeckte ich eine kleine weiße Feder auf meinem Mantel. Na gut, es kann ein Stück Raffaelo gewesen sein, aber für mich war es natürlich eine Erinnerung an Crocodile Dundee.
Wenn ich aber noch ein Mal, noch ein einziges Mal, das Wort Herrschaften höre, schreibe ich an die Deutsche Bahn und bitte sie um einen neuen Wortschatz. Plus neuen Zügen.
Zunächst fiel der eingesetzte Zug einfach aus. Das bedeutete, dass die Deutsche Bahn einen Ersatzzug einsetzte, in dem dann aber die Platzreservierungen wegfielen. Mir machte das nichts aus, Hauptsache, ich saß irgendwo, um meinen neuen heißgeliebten Schmöker, "Grabesgrün" von Tana French, weiterlesen zu können. Einige Menschen beschwerten sich sofort, dass sie nicht den für sie reservierten Platz hätten, aber ich saß glücklich und zufrieden auf einem Einzelsitz, parallel zu einem alleinreisenden Vater mit drei Kindern im Grundschulalter.
Das war natürlich klar, dass ich dort saß, ich war ja gerade prädestiniert, auf einen alleinreisenden Vater mit drei Kindern aufzupassen. Niemals hätte ich den Kindern erlaubt, derartig viele Raffaellos zu fressen, ja zu fressen, und noch anderen Süßkram, aber gut, waren ja nicht meine Kinder. Der Vater telefonierte beständig mit seinem Handy, entweder mit Mama oder mit der Freundin. Mit seiner Freundin. Jetzt müssen Sie nicht denken, dass ich gelauscht hätte, aber wenn man nur einen Meter entfernt sitzt, ist es unmöglich, nicht zu lauschen. Die Kinder spielten Karten und erzählten und hielten mich vollkommen vom Lesen ab, aber das machte nichts, schließlich fand ich sie sehr unterhaltsam.
Dann hielt der Zug urplötzlich im Niemandsland an. Nur Gleise, Wald und Einsamkeit. Nichts sonst. "Liebe Herrschaften", ertönte es aus dem Lautsprecher, "die Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit." Das ist das Schlechteste, was man in einem Zug hören kann. Ich dachte sofort an meine Vorräte: Wasser, eine halbe Flasche noch, Essen - keines. Vielleicht rückten die Kinder ein paar Raffaelos raus? Die Kinder fanden das alles spannend und bombardierten den armen Vater mit Fragen, auf die ich auch keine Antwort gewusst hätte.
Wir standen eine Stunde lang. Es passierte nichts. Die Luft wurde stickig. Die Kinder dösten vor sich hin, der Vater auch. Ich las mein Buch und stellte mir vor, in einer öden Wildnis zu sein. Wer kann einen da retten? Genau, Crocodile Dundee. Er kam einfach mit einem anderen Zug und rettete mich und alle anderen, besonders natürlich diese Kinder, denn Frauen und Kinder werden immer zuerst gerettet. Plötzlich hielt tatsächlich ein anderer Zug neben unserem. Es entstand eine hektische Betriebsamkeit. "Liebe Herrschaften", hörte man wieder eine schnaubende Stimme, "wir werden Sie jetzt alle DURCH EINE TÜR in den anderen Zug evakuieren. Bitte folgen Sie den Anweisungen des Personals!"
Abgesehen davon, dass Herrschaften ein fürchterliches Wort ist, wurde es jetzt richtig spannend. Das Zugpersonal hatte einen kleinen Steg gebaut, der zu dem anderen Zug führte, und darüber mussten nun alle Passagiere den Ort wechseln. Der Steg war schmal, darunter nur die nackten Gleise. Ich betrat diesen Steg. Ach, das war eine wackelige Hängebrücke, die über einen Abgrund führte. Unten lauerten fürchterliche Echsen, die geifernd auf Futter warteten und andere schleimige Ungeheuer, die kriechend umherrirrten und ihre schwarzen Augen sehnsuchtsvoll auf frisches Fleisch richteten. Am Ende der Hängebrücke stand Crocodile Dundee und streckte die Hand aus, um mir rüberzuhelfen.
Seine Augen waren blauer als die Ägäis, sein Messer steckte im Gürtel seiner perfekt sitzenden Jeans und sein Hut beschirmte sein gebräuntes Gesicht. Ich ergriff seine Hand und spazierte wie selbstverständlich über die Brücke, die mich fast nicht trug und hatte überhaupt keine Angst. Ich wollte mich noch bedanken, aber dann....verwandelte sich Crocodile Dundee in einen schwitzenden, rotgesichtigen, übergewichtigen Bahnangestellten und ich wäre fast in den Abgrund gestürzt. "Bitte weitergehen, meine Herrschaften", hörte ich den Mann sagen, "einfach weitergehen!" (Wieso jetzt ICH Herrschaften war, war mir völlig schleierhaft!)
Es dauerte eine Stunde, bis der Zug evakuiert war. Der Vater mit den drei Kindern musste auf zwei Sitzen kampieren. Ich bekam zwar einen Platz, aber genau gegenüber einem Mann, der so tat, als sei ich Luft, um dann dauernd mein Buch mitzulesen. Ich bring ihn um, dachte ich, ganz bestimmt, wenn er jetzt noch weiter so tut, als interessiere es ihn nicht, dass ich inzwischen ein Teilchen aus dem Bordbistro aß. Ich wünschte mir wieder Crocodile Dundee herbei, damit er dem Typ mal ordentlich die Meinung geigte. Aber leider war CD weg, stattdessen gab es wieder Durchsagen für die Herrschaften sowie kostenloses Wasser, das aber genau bei mir zu Ende war.
Spätabends erreichten wir alle unser Ziel. Ich war trotzdem glücklich, denn zu Hause entdeckte ich eine kleine weiße Feder auf meinem Mantel. Na gut, es kann ein Stück Raffaelo gewesen sein, aber für mich war es natürlich eine Erinnerung an Crocodile Dundee.
Wenn ich aber noch ein Mal, noch ein einziges Mal, das Wort Herrschaften höre, schreibe ich an die Deutsche Bahn und bitte sie um einen neuen Wortschatz. Plus neuen Zügen.