Zum Folgen geboren

JCC

Mitglied
Zum Folgen geboren


Wählen ist eine feine Sache.
Jedem das Recht auf seine eigene falsche Meinung, und alle dürfen danach streben, den größtmöglichen Unsinn zu machen.
Was gibt einem mehr Befriedigung als aus zwei Übeln das schlimmere wählen zu dürfen?


Könnte glatt ein zukunftsträchtiges Konzept sein - wenn Wählen nicht so verdammt gegen die Primaten-Natur ginge.
Auf die Dauer - soll heißen, nach den ersten zwei Versuchen - ist es eben doch sehr ermüdend, sich jedesmal eine neue Meinung am Kiosk kaufen zu müssen, wenn es zu entscheiden gilt, von wem man sich als nächstes mißverwalten lassen möchte.
Die Tatsache, daß alle, die sich anbieten, mehr Geld für jeden versprechen, zu Hause selbst einen Vormund, zwei Kinder und einen Dackel zu versorgen haben und irgendwie eigentlich doch ganz nett aussehen, macht die Sache auch nicht leichter, doch was tun?


Zugeben, daß man keinen Durchblick hat, nie welchen hatte und niemals welchen haben wird, und damit die Führung des steuerlosen Bootes in genauso unfähige, aber engagiertere Hände abgeben?
Natürlich nicht. Wir sind ja schließlich bei Demokratens hier, und wir bilden uns 'ne Menge darauf ein, daß wir frei und mündig und informiert sind und ganz große Wähler vor dem Herrn.
Irgendwie muß das P roblem also zu lösen sein.


Eine Wahl - was braucht man eigentlich zu einer Wahl?
Per definitionem zwei Möglichkeiten, zwischen denen sich gefälligst entschieden wird.


Da in unserem freien, mündigen und informierten Land niemand von der Polizei abgeholt und an den Haaren zur Wahlurne - dem Grab aller mühsam aus den Fingern gesogenen „Entscheidungen“ - geschleift wird, steht es schon mal jedem frei, das Wählen ganz sein zu lassen.
Erste Möglichkeit.


Eine fehlt noch, aber daran soll's nicht scheitern. Die ganzen Grüppchen, die sich für Parteien und ihre Mitglieder für Politiker halten, schmeißen wir erst mal raus aus dem Spiel, Auswahl (schon wieder das Böse Wort) stiftet nur Verwirrung, und die wollen wir ja gerade abschaffen.
Blanko-Wahlzettel sehen aber auch etwas dürftig aus, also machen wir einen neuen Club auf, der dann gewählt werden darf.
Demokratische Einheitspartei Deutschlands oder so. Netter, klangvoller Name, bißchen lang, aber Abkürzungen brauchen wir auch nicht mehr, jetzt ist ja genug Platz auf den Wahlzetteln.
Zweite Möglichkeit, Soll erfüllt.


Man stelle sich vor, welche Kapazitäten in einem Volk freiwerden, das auf so genial-einfache Weise von der Last des Nachdenkenmüssens befreit worden ist!
Aber die Demokratische Einheitspartei Deutschlands wird schon über diese Kapazitäten zu verfügen wissen - wenn die Wirtschaft zur Blüte gebracht, die Straßen aufgeräumt und alle Kanalratten durchgezählt und katalogisiert sind und die Leute dann immer noch nicht wissen, wohin mit der ganzen freien Zeit, könnte man mal vielleicht mal wieder die Nachbarländer erobern und sich dann von da aus mit dem nötigen Nachdruck an die Demokratische Weltrevolution machen, schließlich dürfen wir unsere Real Existierende Demokratie niemandem da draußen vorenthalten. Man kümmert sich ja auch schon seit über fünfzig Jahren rührend um uns und unsere erstaunlich freien Meinungsäußerungen.


„Klingt ja großartig“, mag man hier denken, „und wer soll das alles in die Wege leiten?“
Keine Sorge, unsere demokratischen Führer kümmern sich drum, wir müssen sie nur ein wenig unterstützen:


Ihr habt unsere Bedürfnisse ganz richtig erkannt. Das Verbot dieser kleinen nationalen Kleckerpartei ist ein Schritt in die richtige Richtung, ein kleiner zwar nur für Deutschland, aber wir sind zuversichtlich, daß Ihr Euch bald auch nach und nach den größeren Clubs annehmt, steter Tropfen höhlt bekanntlich das Hirn, und auf jeden Fall ein großer Schritt für die Gute Sache, auch bekannt als Freiheit, Verantwortung und Selbstbestimmung.


Mit einem lauten „Demokraten aller Länder, vereinigt Euch!“ und einem herzlichen „Blödfront!“ -
Die Verfasserin.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wahl

Hallo, ein schöner Beitrag zur Vertiefung der Demokratie wäre es, wenn nicht das Volk seine Leiter wählt, sondern die Leiter ihr Volk.

Natürlich kann es dann passieren, daß so ein Leiter schon vorhanden ist -- dafür gibt es eine alte bewährte Lösung: Das Duell.

Es kann nur einen geben.

Im Morgengrauen auf der Wiese vor der Stadt.

Jedenfalls ficht der Verlierer die Wahl hinterher nicht an ... und das ist doch toll.

Ja, und ein guter Nebeneffekt, sie sind dann nicht mit der Administration beschäftigt.

Natürlich alles nur nach streng demokratischen Regeln und mit Hilfe von Sekundanten.

(Dieser Text flatterte aus dem kosmischen Urrauschen auf den Bildschirm und ist nicht ernst zu nehmen.)

...

PS: Mir nach, ich folge! - Ein berühmter Ausruf Manfred Krugs in einem DEFA-Film... wenn mein Gedächtnis stimmt.

---


Ein frohes restliches Weihnachtsfest, und dann nieder mit den Tannen - ä - Tyrannen
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mir nach, Kannaillien

Ich glaube, der Film hieß so, der Spruch im Film war: "Mir nach, ich folge!", könnte auch Rolf Herricht gesagt haben.
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich dachte auch nicht an die Amis.

PS: Du erinnerst mich an was, JCC, und ich muß jetzt doch mal etwas ernsthafter widersprechen. Zur Wahl reicht eine Möglichkeit. Das wurde doch wohl hinlänglich bewiesen...

Übrigens ein schöner Text, JCC, gefällt mir, ernsthaft. Er verkürzt drastisch die Zeit vor dem Jahresende.

Grüße und einen guten Rutsch ins neue Jahrtausend.

Bernd
 

Alex

Mitglied
Klasse gemacht! Eine interessante Interpretation gewisser politischer Praktiken in Deutschland, gut durchdacht auf den Punkt gebracht.

Zur Wahl reicht niemals nur eine Möglichkeit, außer du lässt auch die Toten wählen! ;)
Fände ich eigentlich interessant, immerhin stellen sie neun zehntel der Bevölkerung.
Ich stelle mich auch gern als ihr Repräsentant zur Verfügung, dann zocke ich euch alle gründlich ab. Ob ich es so gut hinbekomme, dass ihr den Unterschied nicht merkt, kann ich allerdings nicht versprechen.

Alex
 

JCC

Mitglied
Freut mich, daß es Euch gefällt.

Ich habe auch schon gehört, der Text wäre zu indirekt, und ich hätte lieber gegen das NPD-Verbot wettern sollen, aber das hier liegt mir besser. ;)

Zumindest muß man sich mit sowas beschäftigt haben, wenn man mal Demagogin werden will. ;)

Auch Euch einen guten Rutsch,

Christina
 

Alex

Mitglied
Gleich mal mein Brett untergeschnallt und vorbeigesurft, echt nette Seite, danke für den Tip.
So, muss jetzt aber zurück, mal n bissl lesen.

Alex
 



 
Oben Unten