sonntags

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
in den pfützen schwimmt benzin
junge männer mit migrationshintergrund
kicken dosen hinein

vor der kirche
stehen alte leute
zufrieden mit sich und dem weihrauch
des pfarrers bauch freut sich
auf den braten

die witwe hat die gesellschaft
der fernbedienung
die nachbarn streiten wieder
obwohl der sex gar nicht so schlecht war

kinder verblöden vor laptops
eltern pflegen die schmerzen der letzten nacht
bis drei uhr
dauerte der event
wie jeden samstag

die langeweile kriecht
durch alle ritzen
zeit steht still
aber nur bis zur tagesschau
und dem tatort

aufatmen
sonntag geschafft
scheiß-woche kann wieder
beginnen


.....
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Bernd, es werden nicht nur die Spießbürger angeprangert, sondern einfach auch die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen, die nicht immer ein Segen sind.
Danke für Deine Rückmeldung und lG,
Doc
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das habe ich unter dem poetischen Bild "Spießbürger" zusammengefasst.
Vielleicht gibt es ein besseres.
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Da arbeitet man die ganze Woche aufs Wochenende hin und erntet dafür den Sonntag. Was für ein Anschiss.
Gerne gelesen.

Viele Grüße
Sta.tor
 

AllAN GAP

Mitglied
Hallo Doc,

interessante Bilder hast Du gezeichnet. Ich frage mich, wie es mit etwas mehr Schärfe Aussehen würde.
Ich glaube diese Themen erlauben ein Schlagen, nicht nur klopfen.

Gruß

AllAN
 

AllAN GAP

Mitglied
Hallo DocSchneider,

war ich Dir noch schuldig, sorry ich hab mich ein wenig gequält und dann kam es als dieser Text über mich.

Es ist Deine Idee. Sie mir gefallen. Ich wollte es schärfer. Hier das Ergebnis:

Sonntags

Ölaugen verschieben in den Pfützen,
mit Blechdosen, die klappernd über sie flitzen,
Gettofußball wird das Spiel genannt,
im Quartier der Sozialbauten geboren,
scharfe Kanten, Finger verloren,

die einzige Kirche nicht mehr gut besucht,
Demographie, der Gesellschaft Fluch,
der Pfarrer denkt an den Mittagstisch,
ein Braten fühlt für gewöhnlich seinen Bauch,
schnell noch die Predigt von der Kanzel gefaucht,

Ellenbogen wund gescheuert auf der Fensterbank,
Straßengaffen wird noch nicht besteuert,
dem Himmel sei Dank,
doch hat er nicht alle erhört, meine Gebete,
weshalb ich jetzt ungehindert pamphlete,

alte Dame nebenan, verschiebt beim einarmigen Zapping,
das Multimediavoting der Sendeanstalten,
sie treibt das schon seit dem frühen Morgen,
ihr Mann ist nicht mehr,
sonst hatte sie nie Sorgen,

doch aus den Medien dringt nur hohles Geschwätz,
auch Kanzlers beim Lauschangriff verletzt,
schon wieder wird ne Promi-Ehe geschieden,
treibt in den Mäulern verbale Blüten,
was für eine Tristesse, selbst vom Regen gemieden,

nebenan auf dem Balkon hauen sich Nachbarskinder,
um das Spiel auf dem Tablett, ach wär doch schon Winter,
sie haben weiß Gott nichts Besseres zu tun,
Eltern dürfen nicht gestört, bei komatösem Ruhen,
haben sich in langer Nacht auf die Suche nach Schmerzen gemacht,

der Mann der Nachbarin fleht um Aufmerksamkeit,
er hatte doch nur Sex, weshalb dieser Streit,
sie sieht es anders, denn sie war nicht dabei,
packt ihre Koffer, wirft das gute Geschirr entzwei,
der hohle Tropf, jetzt ist er auch allein,

mein Gott schon wieder viertel nach acht,
Politikpoker, Tagesschau verpasst,
gleich wird einer umgebracht,
Gardinen noch schnell vorgeschoben,
Tatort sichern, über dilettantischen Kommissar toben,

hach, was ging der Tag schnell vorbei,
sitz vor der Glotze bis kurz vor drei,
geistige Verfettung hat mich heut bewegt,
ab Morgen genieß ich wieder alltäglichen Krieg,
der Frieden war schrecklich, für heute besiegt

....
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo AllAN GAP, ich freue mich, dass Dich mein Text so angeregt hat - Du hast alles mehr ausformuliert, etwas schärfer, aber nicht so, wie ich es nach Deinem ersten Kommentar erwartet hatte. Ich dachte, es käme etwas Krasseres.
Aber es ist gut so, wie es Dir gelungen ist.

Hallo John, vielen Dank. ;-)

Hallo NewDawnK, der erste Satz ist tatsächlich so gewollt, es sollte möglichst harmlos beginnen und dieses Lied von Reinhard Mey ist positiv besetzt.

Vielen Dank an alle fürs Lesen!!
LG Doc
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
in den pfützen schwimmt benzin
junge männer mit migrationshintergrund
kicken dosen hinein

vor der kirche
stehen alte leute
zufrieden mit sich und dem weihrauch
des pfarrers bauch freut sich
auf den braten

die witwe hat die gesellschaft
der fernbedienung
die nachbarn streiten wieder
obwohl der sex gar nicht so schlecht war

kinder verblöden vor laptops
eltern pflegen die schmerzen der letzten nacht
bis drei uhr
dauerte der event
wie jeden samstag

die langeweile kriecht
durch alle ritzen
zeit steht still
aber nur bis zur tagesschau
und dem tatort

aufatmen
sonntag geschafft
scheiß-woche kann wieder
beginnen


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Hallo DocSchneider,
Dein Gedicht hat mich sehr angesprochen.
Aber ist das Lyrik? Ich konnte keine Metaphern entdecken.
Welch ein Unglück!
In meiner Schublade schlummern auch einige Gedichte dieser Art. Ich finde die Metapheritis furchtbar.
Ich hätte dieses Gedicht dem Ungereimten zugeordnet und wäre dann mit Sicherheit angeeckt.
Bitte erkläre mir Deine Sicht der Dinge. Ich vermute, wir beide sind da einer Meinung.
LG Eberhard
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hm Eberhard, ich finde das Gedicht hier bei den Experimentellen richtig aufgehoben, auch Stator hat nicht gemeckert. Natürlich enthält es keine Reime. Ob es auch dann zu den Ungereimten gehört?
Metaphern sind nicht viele vorhanden.
Also für mich ist das Ganze eher ein Experiment.
Freut mich, dass dich der Text angesprochen hat!
LG Doc
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Ja, mir gefällt der Text und die Stimmung die er eindrucksvoll vermittelt sehr gut und er passt auch gut ins Forum. Ich bin erklärtermaßen kein großer Freund des Ungereimten, das dürfte nicht neu sein. Aber wenn ein ungereimter Text mich anspricht, dann kann, nein, dann muss das ganz einfach ein Experiment sein. Ein Experiment, mich vom Ungereimten zu überzeugen, was hier in beeindruckender Weise gelungen ist. Und damit hat es auch genau den richtigen Platz gefunden.

Gut gemacht Doc.
Sta.tor
 
D

Dnreb

Gast
Methaphern und Wirklichkeit

Lieber DocSchneider

Schönes Porträt einer zutiefst gelangweilten Gesellschaft;
wir sprechen hier nicht über das Individuum, die Masse bestimmt den Tritt...

Derart geballte Wirklichkeit ist oftmals Metapher genug, oder umgekehrt: Schau der Wirklichkeit ins ungeschmikte Gesicht!

Herzlichen Dank
Bernd (Dnreb)
 



 
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