warteschlange ll

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Stern

Mitglied
warteschlange ll

wie immer
samstagmittags
die halbe welt kauft für's wochenende ein
ausser den umsichtigen hausfrauen
zu denen ich leider
nicht gehöre

ellenlange schlangen vor
den kassen
vollgetürmte einkaufswagen
immer wenn ich auch gerade
den gefrierschrank füllen will

rechts vor mir eine junge frau
mit handygebimmel
in der einkaufstasche
kruschtelt, klappt auf
hallo
ja nein ja
ich stehe gerade in der
längsten supermarktschlange meines lebens
das dauert noch
ja bis dann

neben mir ein trotzender dreijähriger
der die mama
beinahe zur verzweiflung treibt
mama versucht
geduldig zu bleiben
während ihr
unter der warmen wintermütze
der schweiß ausbricht
ich lächle sie verständnisvoll an
und schneide dem kleinen rotzaffen
eine grimasse
woraufhin der
irritiert schweigt
aber nur für
einen augenblick

links von mir
führt eine oma selbstgespräche
schade dass ich so wenig
davon verstehe
sie scheint sich gut mit sich zu unterhalten

zwei schlangen weiter rechts
ein päärchen
sowas von verliebt
dauernd müssen sie sich
irgendwo anfassen
und mit den blicken
liegen sie sich in den armen
während sie übers
sonntagsessen diskutieren
ich kann mich gar nicht
sattsehen

direkt vor mir
natürlich, es darf ja nicht fehlen
einer der sich tierisch nervt
weil's mal wieder nicht vorangeht
aus dem lautsprecher tönt auf knopfdruck
monoton:
Wir danken für ihren Hinweis.
Wir werden sofort
eine weitere Kasse eröffnen.
aber wo wollen sie die hernehmen
es sind schon längst
alle kassen besetzt
der cholerische opa vor mir
regt sich lautstark übers personal auf
dreht sich nach mir um
auf der suche nach gleichgesinnten
ich lächle ihn freundlich an
verräterin
sagt sein blick
und er wendet sich ab

da sehe ich ihn näherkommen
einen 15jährigen
mit einer packung salz
und überlege
ob ich ihn warnen soll
zu spät
die frau zwei weiter vorne
läßt ihn in die schlange
aber da haben sie die rechnung
ohne den hintermann gemacht
da kann ja jeder kommen!
junge leute -
den ganzen tag nix tun
aber nicht hinten anstehn können
wir müssen schliesslich alle warten
und überhaupt!
grüne neune, ist der in fahrt
dafür ist der kleine racker neben mir
jetzt still und
schaut mit offenem mund
den wüterich an
der ihm da konkurrenz macht
die mama und ich
blinzeln uns verschwörerisch zu
ich seh ihr die erleichterung an
so hat mal wieder
alles zwei seiten

der 15jährige muss wohl oder übel
die schlange wieder verlassen
mit seinem pfund salz
gehässig biete ich ihm
den platz vor mir an
was den alten erzürnt
aber sagen kann er dagegen ja nix mehr
und die oma hinter mir gibt schützenhilfe
indem sie erzählt
dass die jungen leute
heutzutage soviel stress
haben und die rentner
ruhig mal warten können

die oma links
wird dadurch aus ihrem selbstgespräch
gerissen und will bei uns mitreden
geduld hätte sie ja
aber die füsse
und der rücken
wenn sie nur hinsitzen könnte
aber so
und ihre enkel kommen zu besuch
und sie weiss gar nicht
wieviel sie zu essen einkaufen soll

ist es nicht herrlich
nur leider
kommt die kasse immer näher
und in der schlange
von der selbstgesprächs-oma mit den
unberechenbar essenden enkeln
stockt es
so dass sie zurückbleiben muss
und wir nicht mehr erfahren
für wieviel kilo kartoffeln
für ihren echt schwäbischen kartoffelsalat
ohne mayonnaise
aber mit fleischbrühe
für wieviel kilo kartoffeln
sie sich also entschieden hat
in ihrer schlange geht's ganz ruhig zu
sie wird sich bestimmt langweilen
und um so mehr
ihren schmerzenden rücken spüren
hoffentlich findet sie den faden wieder
in ihrem selbstgespräch

der kleine racker auf der rechten seite
hat gefallen an mir gefunden
genau wie der mann links vor mir
der mich schon seit einiger zeit
sympathisierend beobachtet
aber ich hab's nicht bemerkt
und blödle mit dem racker
bis sich meterhoch
überraschungseier zwischen uns schieben
was sein interesse an mir
schlagartig abflauen läßt
gleich ist es geschafft
versuche ich die mama noch zu trösten
bevor ich meine siebensachen
aufs band sortiere
und mit einem bedauernden seitenblick
registriere, dass der sympathisierende mann links vor mir
mitsamt seiner appetitlichen nackenpartie
hinterm zigarettenausgabeautomat
verschwunden ist
wahrscheinlich für immer

während ich die kassiererin
wiedereinmal dafür bewundere
wie sie mit unglaublicher geschwindigkeit
die waren über das fensterchen zieht
erinnere ich mich kurz daran
wie damals
als ich noch klein war
diese schwarzen streifen
auf den verpackungen auftauchten
unverständlicherweise, nur so
die preiskleber waren natürlich das entscheidende
gibt's die überhaupt noch?
sechsunddreissig zwanzig bitte
sagt die kassiererin
und streckt die hand
mitten zwischen meine gedanken
erschrocken taste ich
nach dem geldbeutel
krame, zähle, packe schnell
mein zeug in rucksack und taschen
jetzt aber los
die kleinen sind alleine
plötzlich habe ich es auch
eilig

weg hier
 

Dornrosis

Mitglied
Köstlich, trotz der Länge ist diese sicher vielen bekannte Alltagssituation spannend und mit überraschenden Wendungen erzählt und gut zu lesen! l.G. dornrosis
 

Stern

Mitglied
Hallo Dornrosis,

Freu! Natürlich hab ich auch kritisch auf die Länge geschielt und werde mich über dementsprechende Reaktionen nicht wundern. Aber, verliebt in die einzelnen Szenen ;), sah ich mich nicht wirklich in der Lage zu entscheiden, auf welche ich nun am besten verzichten sollte oder ob es so geht. Dachte mir, dass ich das bestimmt gesagt bekomme, wenn's nötig ist. Natürlich freut's mich um so mehr, was du da schreibst. Danke!

Liebe Grüße,

Stern *
 
B

bonanza

Gast
stern, ich las nur aussschnitte. supermarktschlangen sind
ätzend, u.a. weil sie zu lang sind.
als prosa wäre es keine schlechte beschreibung.
nur mein eindruck. wenn ich das nächste mal anstehe,
setze ich mich intensiver mit deinem gedicht auseinander.

bon.
 

Stern

Mitglied
hallo bonanza,

ja, so ist das als mutter und hausfrau,
da steht man öfter mal in
viiiiiiel zu langen supermarktschlangen
und kann sie nicht kürzen
- ich mach halt das für mich beste draus,
beobachte die menschen
und plötzlich entsteht dann ein
dir viiiel zu langes prosagedicht.
aber vorerst
komm ich nicht raus
aus der warteschlange.

Aber von der Form will ich nicht weg - in Prosa? nee, da geht die Wirkung irgendwie verloren.

grüße von mir,

Stern *
 
B

bonanza

Gast
es ist nicht die länge allein, stern.
es ist die lähmung. der schwung fehlt.
das macht mir das durchhalten der lektüre schwer.

so übel ist`s nicht, was du schriebst.
ich schreibe manchmal auch solche litaneien.
einigermaßen originell ist, daß das prosagedicht
formhalber wie eine warteschlange aussieht.
wahrscheinlich sehe ich dein gedicht in meiner
ungeduld zu kritisch. wenn ich allerdings in
die zerknirschten gesichter der anderen in der
warteschlange sehe, geht es mir nicht alleine so.

bon.
 

Stern

Mitglied
ja, bonanza, du hast recht
dein Horrorkarrussel hat jedenfalls mehr schwung
scheint aber auch nicht das reine vergnügen
durch die eine oder andere warteschlange
müssen wir glaub alle durch
allerdings lockert die eine oder andere karrusselfahrt
die sache ungeheuer auf
kein zweifel
und übrigens
ich bin auch ungeduldig!
versuche nur
das beste draus zu machen
vielleicht gibt's noch eine warteschlange lll
irgendwas gärt noch
dann werde ich an deine einwürfe denken
mal sehn
ob's dann mehr drive hat

grüße von Stern *
 
B

bonanza

Gast
bei uns gibt`s ein ikea vor der haustüre.
wenn ich hinsichtlich von warteschlangen inspiriert
sein möchte, begebe ich mich samstag mittags dorthin.
dann könnte ich mich zum alkaida-terroristen verwandeln.
woher kommt nur diese aufsteigende aggression?
ich fühle mich als mensch in der warteschlange entwertet.
ich warte darauf, abkassiert zu werden - und empfinde
das als demütigend.
und dann sehe ich diese materialismusgeilen menschen.
und ich mitten unter ihnen. am liebsten würde ich
im boden versinken.
nur eine geliebte frau schafft es, mich in einen
solchen konsumtempel zu entführen.
meist suche ich ziemlich schnell wieder den ausgang.
oder ich trinke im eingebauten schnell-restaurant
ein bier. oder zwei.
das macht es erträglich, manchmal sogar lustig.
die menschen werden zu karikaturen. ich entkrampfe mich.
es gibt schlimmeres. das ist ja bloß der ganz normale
alltagshorror.
das karussell bestimmt unser leben, nicht wahr?

bon.
 



 
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