werktags

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Der Wecker läutet. Du wachst auf.
„Scheiße, ich habe mich doch erst schlafen gelegt.“ Doch die fluoreszierenden Zeiger der Uhr beweisen dir das Gegenteil, sieben Uhr morgens. Zeit zum Aufstehen. Ein neuer Arbeitstag steht dir bevor.
Du kämpfst mit deinem Körper, richtest ihn auf. Es fließt sicher noch einiges an Restalkohol im Blut.
‚Verdammt, warum mußtest du auch gestern wieder soviel saufen?‘
„Entweder das, oder Amoklaufen“, antwortest du dir selber. Du hattest dich richtig entschieden. Der Alkohol besorgte dir eine Reise in den Urlaub, einen Urlaub fern vom Alltag. Doch nun bist du wieder zurück, zu Hause, stehst vor einem weiteren Acht-Stunden-Arbeits-Tag.
„Scheiße.“
Wie in Trance folgen die stereotypen Bewegungen des sich Duschens, des sich Abtrocknens, des sich Anziehens, des zwischen alledem zwei Stück Kuchen Mampfens. Bis das allmorgendliche Ritual mit dem Versperren der Eingangstüre abgeschlossen ist. Mehrere Nachbarn speien ein „Morgen“ hervor. Du speist zurück.
Der Großstadtgestank begrüßt dich als du aus der Haustür schlüpfst. Du begibst dich in die Menge, die die Gasse entlang drängt, Richtung Hauptstraße, Richtung U-Bahn. Wie auf einem Fließband bewegen sich die Menschen vorwärts, machtlos dem System ausgeliefert, den eigenen Willen zu einem Kollektiv vereint. Du zwängst dich in die U-Bahn, ergreifst sinnloserweise irgendeinen Haltegriff, bist einer von vielen zusammengepferchten Körpern, wie eine in Kunststoff eingeschweißte Großpackung Käsekrainer.
Vor deinen Augen Schuhe, und die unteren Hosenenden, offene Schuhbänder, dreckiges Leder, kleine schaumige Spucklachen der Jugendlichen.
‚Die Kids kommen sich dabei wohl gut vor.‘
Dein linker Mundwinkel verzeiht sich. Wenn neben dir einer dieser Bengel es wagen würde. Wie befreiend wäre es, diesem deine Faust in seine Fresse zu stopfen, ihn Blut spucken zu sehen, in die blutig schaumige Lache auf dem Metallboden zu stampfen. Doch du wärst ohnehin zu feige.
Du stemmst dich gegen die Menschenmenge, die links und rechts neben dir, aus der U-Bahn drängt. Du mußt warten, noch drei Stationen. Ein Militärfreak im verschieden grünfärbig gefleckten Outfit zwängt sich herein, dahinter sein Schäferhund. Die Leine mehrfach um die Hand gewickelt, heischt der Glatzkopf ihm ein sofort ausgeführtes „Sitz“ entgegen. Der Hund hechelt, der Speichel tropft auf den Boden.
‚Wo ist der Beißkorb?‘ Denkst du, aber sagst es nicht. Es würde nur unnötig Kraft kosten.
Endlich, die Station wo du aussteigen mußt. Die Horde Menschen drängt nach draußen, du läßt dich treiben, auf dem Fließband des Systems, über die Rolltreppe hinauf, den Übergang über die dreispurige Hauptstraße, die Rolltreppe hinab, bis vor den selbständig öffnenden Glasschiebetüren des Bürokomplexes. Das Fließband Menschenmenge teilt sich. Einige besorgen sich Frühstück, doch du hast es eilig, mußt in deine Abteilung. Die Kollegen werden sicher schon alle da sein, vor allem der Abteilungsleiter, um genau zu sehen, wer wie viele Minuten zu spät kommt, oder zu früh.
„Einen schönen guten Morgen“, erstrahlt ein aufgeputzter Typ in dunklem Anzug vor dir, als die Tür des Aufzugs sich für dich, und viele andere öffnet.
„Morgen“, spuckst du ihm entgegen. ‚Bist wohl auch einer von diesen Sonnenscheinmenschen. In einigen Jahren wird dir das vergangen sein, dann merkst du erst wieviel Kraft es kostet, ständig so gut drauf zu sein.‘
Fünfter Stock, sechster Stock.
‚Wie lange dauert denn das noch bis zum elften Stock?‘
Endlich. Die Schiebetüren gleiten auseinander. Der täglich gleiche Zitrusmief deiner Abteilung steigt dir in die Nase.
‚Warum die nicht einmal ein anderes Putzmittel verwenden?‘
Viele deiner Kollegen sitzen bereits hinter ihren Computern und tippen auf den Tastaturen herum. Ein gemurmeltes „Morgen“ geht durch die Runde. Die sind wenigstens nicht der Lüge verfallen, das es an einem Arbeitstagsmorgen etwas Gutes gäbe.
„Guten Morgen, Kollegen“, als hätte er deine Gedanken gehört, betritt der Abteilungsleiter genau in diesem Moment das Büro, und drückt die Lüge besonders stark in den Raum – wie immer.
Du blickst nicht auf, wozu auch. Es ist besser ihm nicht in die Augen zu sehen.
Stereotyp hämmerst du auf die Tastatur ein, holst dir Akten aus dem Lager, klopfst unzählige Daten in den Computer, sortierst sie – Tag für Tag, schon seit Jahren. Und wahrscheinlich auch noch viele Jahre lang. Es bedarf wenig Wissen und Können, doch es ist leider gerade soviel Konzentration dazu nötig, das du gehindert bist dich gedanklich in die Ferne zu flüchten. Das lassen die da Oben nicht zu, sie würden dich dann ja aus dem Kollektiv verlieren.
‚Aber denen werde ich es zeigen, so leicht können die mich nicht austricksen.‘ Deine Schläge auf die Tastatur werden kräftiger. Du stellst dir vor, wie unter jeder Taste ein blanker Nerv des Systems liegt, und durch dein Hämmern schießt ein Impuls in deren Schmerzzentrum.
‚Yeah, ihr sollt leiden.‘
„Kollege Gruber?“ Der Abteilungsleiter hatte die Intrige schon wieder gespürt. Er hat sich vor dir aufgebaut und blickt über seine Brille hinweg auf dich herab.
„Ja, Herr Chef?“
„Bei meinen Stichproben mußte ich schon wieder feststellen, das Sie Ihre Arbeit nicht korrekt machen. Sie haben manche Daten vergessen einzugeben, und außerdem sind noch immer Schreibfehler dabei. Was soll ich bloß mit Ihnen anstellen?! Können Sie mir das sagen?!“
„Tut mir leid. Wird nicht wieder vorkommen.“ Du möchtest aufblicken. Doch du schaffst es nicht, es fehlt dir die Kraft. Du spürst seinen Blick auf deinen Kopf gerichtet. Seine Augen brennen sich durch die Schädeldecke. Du liegst geöffnet vor ihm, in all deiner Verwundbarkeit, schutzlos. Aus seinem Mund speit er tropfenweise Säure auf dich hinab. Sie brennt sich durch dein Gehirn, in deine Seele. Jeder Tropfen ist wie ein Stromstoß, es durchzuckt dich, zieht dich mehr und mehr zusammen, wirst zu einem kleinen Häufchen Nichts.
Die anderen um dich herum drücken vorsichtig auf ihrer Tastatur. Sie wagen es nicht aufzufallen, verstecken sich in ihrem Schneckenhaus. Doch ihre Ohren sensibilisieren sich. Deine Kollegen freuen sich, das sie es diesmal nicht selber sind, in dessen Seele sich die Säure frißt.
„Das will ich auch hoffen! Sie können froh sein, das ich so nachsichtig mit Ihnen bin. Ich hätte Sie schon längst rausschmeisen sollen. Sie werden Überstunden schieben, bis Sie die Fehler abgearbeitet haben!“
„Ja, Herr Chef“, kommt es automatisch von dir.
Der Abteilungsleiter dreht sich um, läßt dich verwundet zurück. Du hoffst, das es der einzige Kontakt heute mit ihm war. Wahrscheinlich. Er hatte ja erreicht was er wollte, du machst wieder unbezahlte Überstunden.
Du spürst die Blicke deiner Kollegen auf dich gerichtet. Kein Funke von Mitleid, oder Beistand, nur Schadenfreude.
Du tippst wieder Daten ein. Blanke Nerven unter den Tasten.
‚Es reicht. Ich mach da nicht mehr mit.‘ Alle zehn Finger pressen sich fest in die Tastatur, du stemmst dein Gewicht darauf. Erhebst dich. Es ist egal wer dich sieht. Die Tasten halten deinem Druck stand.
‚Verdammt, ich will diese verdammten Nerven.‘ Du fingerst an den Tasten herum, sie entgleiten dir immer wieder. Ein Fausthieb auf die Tastatur und das Kunststoffgehäuse zerbricht. Einzelne Tasten zerstreuen sich über den Schreibtisch, auf den Boden. Du siehst die darunterliegenden Nervenbahnen, aufgeklebt auf einer Folie. Da sind sie, die Schmerzsensoren des Systems. Die werden dich nicht mehr quälen, du hast sie an ihrem verwundbarsten Punkt. Jetzt zwingst du sie in die Knie, vor dir. Deine seit Tagen ungeschnittenen Fingernägel kratzen darüber. Du kannst ihre Schmerzensschreie hören, und ihr Flehen. Dein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. Dein Mund öffnet sich, du schreist dein lautes Lachen in den kleinen Raum. Alle können es hören, sollen es hören. Du bist nicht mehr länger deren Marionette, du hast den Spieß umgedreht, jetzt hast du die Fernbedienung in der Hand.
„Yeah.“ Dein Körper schreckt hoch, du sitzt aufrecht auf deinem Bett. Dein Shirt klebt an deinem Körper. Dein Herz rast, droht sich zu überschlagen. Automatisch dreht sich dein Kopf zur Seite. Die fluoreszierenden Zeiger des Weckers zeigen fünf Minuten vor sieben Uhr an. Wie gewöhnlich wirst du kurz vor dem Weckerläuten wach.
Dein allmorgendliches Ritual beginnt. Auf dem Weg ins WC, schaltest du die Kaffeemaschine an, schon bald sitzt du gemütlich bei Tisch, ißt zwei Stück Kuchen, schlürfst den milchigen Kaffee, und machst dich bereit für einen ruhigen Tag im Büro. Nur der Traum erinnert dich noch an ein Leben, das längst vergangen ist, und beinahe vergessen. An das Leben vorm eigentlichen Leben, das du jetzt führst, in einer anderen Stadt, mit einem anderen Alltag, in einem anderen Job, mit anderen Kollegen. Ein Leben nach deinem Zusammenbruch. Ein Leben in einem anderen System.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

es tut mir leid, ich kann in diesem werk weder humor noch satire finden. in meinen augen ist es eine normale kurzgeschichte von mittlerem niveau, sorry.
lg
 
Klasse!

Mann o Mann, in deiner Geschichte wird ja ordentlich viel gespuckt. Spucke als der Falke der Novelle, öfter mal 'was Neues. Ich würde sie als Realsatire bezeichnen, weil die Erzählung mit einer solchen, irgendwie übertriebenen, irgendwie auch nachvollziehbaren, "Angekotztheit" geschrieben ist. Alles ist wie aus einem Guss, kein Stilbruch zu bemerken. Du fängst die Geschehnisse wirklich emotional glaubwürdig ein und vermittelst gekonnt, wie sich der Ich-Erzähler fühlt und warum er handelt, wie er handelt.
Tja, scheiß auf das System, da hilft nur noch Onkel Anarchie.

Da zeigt sich mal wieder, das wir einen völlig gegensätzlichen Geschmack haben, flammarion. Naja, jedem das Seine.
 



 
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