Alle Tränen dieser Welt

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Alle Tränen dieser Welt

zu zählen und diese ursachengerecht zuzuordnen, ist eigentlich Aufgabe von Daten erfassenden Ämtern und Instituten. Da in dieser Hinsicht noch nichts unternommen wurde, möchte ich mit meinen Betrachtungen dazu aufrufen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Zunächst stelle ich einmal die Frage
„Wieviel wiegt eigentlich die Durchschnittsträne?“.

Ich versuche es einmal mit einer Schätzung. Es könnten etwa 20 mg sein. Unterstellt man, daß jeder Mensch täglich eine Träne verliert, kämen jetzt bei 6 Milliarden Erdenbürgern täglich 120 Tonnen zusammen.
Sicher, Unterstellungen bilden keine solide Grundlage für Berechnungen. Aber die Alternative eines Selbstversuchs – indem ich mir etwas 100 Tränen abringe und das erbrachte Volumen messe - scheitert gegenwärtig am Fehlen entsprechend trauriger, persönlicher Anlässe. Diese würden nicht einmal für 10 Tränen ausreichen, und dann wäre das Meßergebnis ähnlich ungenau wie die Schätzung.
Dem Einwand, daß einem Großteil der Menschheit Tränen völlig fremd sind, steht die Feststellung gegenüber, daß viele Menschen täglich deutlich mehr als eine Träne verschütten. Und wer bei den tränenfesten Helden an Männer denkt, sollte sich im klaren sein, daß gerade hier mit einer beträchtlichen Dunkelziffer zu rechnen ist.

Wer mir nun die 120 Tonnen pro Tag abgenommen hat, wird mir auch zustimmen, dass alle bisher von der Menschheit vergossenen Augentropfen in der Tat ein Meer von Tränen darstellen (auch wenn nicht immer 6 Milliarden den Globus bevölkert haben).
Wer noch immer nicht vom Meer der Tränen überzeugt ist, möge bedenken, daß wir weniger emotionalen Mitteleuropäer gegenüber der Gesamtweltbevölkerung sehr in der Minderzahl sind. Der große Rest der Welt läßt seinen Gefühlen, wie eben auch der Trauer, viel mehr freien Lauf.

Ich hätte nicht bedacht, daß von allen die so genanten unechten Tränen, wie Freuden- und Krokodilstränen abzuziehen sind? Wer mir das entgegenhält, sollte wissen, daß diese nicht ins Gewicht fallen. Man kann sie getrost vernachlässigen gegenüber den ungeweinten, aber durchaus mitzuzählenden Tränen von Menschen, die in noch immer stattfindenden Kriegen ihre engsten Angehörigen und all ihr Hab und Gut verloren haben, von Menschen, die vor lauter Kummer zum Weinen nicht mehr fähig sind.
Und wer mir etwa noch vorrechnen möchte, daß Kindertränen möglicherweise kleiner sind als die Tränen Erwachsener, der sollte sich schämen.


Dieses mein 1993 verfasstes Erzeugnis fiel mir im Jahr 2012 wieder in die Hände.
Mit meiner Schätzung zum Gewicht einer Träne lag ich etwas daneben. Damals konnte ich diese noch nicht im Internet nachprüfen. Inzwischen weiß ich, dass die Durchschnittsträne 15 mg wiegt. Das Internet hat mir noch mehr verraten. Es fehlt dort nicht an anschaulichen Betrachtungen. Danach gehen 66 000 Tränen auf einen Liter und die täglich in Deutschland vergossenen Tränen würden 40 Badewannen füllen. Allerdings glaube ich nicht, dass die meisten Tränen fließen, wenn Rosamunde-Pilcher-Filme laufen.
Brian W. Aldiss hat das Thema bereits 1972 in seinem Werk „Alle Tränen dieser Erde“ behandelt und Anne Seltmann hat ein Gedicht unter der gleichen Überschrift verfasst. Sogar die Kastelruther Spatzen haben sich den Tränen gewidmet. Wenn man eine Google-Suche mit „Tränenmeer“ startet, wird man weiter fündig.
Um es mit Karl Valentin auszudrücken:
„Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen“.
Darum sehe ich auch keinen Anlass, meine Produktion aus 1993 zurückzunehmen. Die Welt ist in der Tat zum Heulen. Doch gerade deswegen sollten wir lachen, solange es noch was zu lachen gibt
.
 

Art.Z.

Mitglied
Eine wirklich interessanter Text. Auch wenn das Vorhaben, alle Tränen zu zählen, erst mal absurd erscheint, so wirft die Idee daran viele weitere Fragen auf. Was sind Tränen wert? Was sind echte Tränen? Was nützt es mir zu wissen, wie viele Tränen woanders vergossen werden? Am Ende merkt man doch eh nichts von dem Tränenmeer.

Beim Weinen ist es wie beim Fressen - man denkt immer zuerst an sich.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo eberhardt,

ein interssanter text, in sofern stimme ich mit allen
vorrednern überein.

aber:

das ist für mich nicht prosaisch - und ich glaube er ist es auch
objektiv nicht - warum machst du es nicht wie ich, und viele andere auch, und eröffnest für solche gedankengänge ein tagebuch im entsprechendem forum.

nochmal

gerne gelesen, aber...
lg
ralf
 
Hallo Ralf!

Man hat doch nur die Wahl zwischen Prosa und Lyrik.
Im Grunde bietet sich das Forum "Essays und Kolumnen" für solche Gedankenausflüge an. Aber wegen der Zweiteiligkeit meines Beitrags habe ich davon Abstand genommen.
Frage am Rande: In welchem Forum kann man einen Sketch (mit Regieanweisungen 6 Seiten) unterbringen?
Lieben Gruß
Eberhard
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo eberhardt,

ich hoffe, und ich denke auch du vertehst
meinen einwand.

deine frage bezüglich des witzes über mehere seiten
bleibt unbeantwortbar.

wie gesagt, es bleibt das tagebuch als option

lg
ralf
 
Die Idee Tränen zu zählen, löst erst einmal Unverständnis aus. Nur wenn man das Thema weiter denkt, steckt viel mehr dahinter.

lg dunkelkristall
 



 
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