Ralf Langer
Mitglied
Alles wird gut
Die äußere Tür zur Intensivstation öffnete sich automatisch.
Ich trat in die Schleuse, wartete bis sich die Schiebetüren hinter mir wieder schlossen, und begann mit meinen Vorbereitungen:
Ich zog meine Straßenjacke aus, hängte sie über einen Bügel, schlüpfte dann in einen dieser grünen Kittel, streifte über meine Schuhe, ebenso grüne, Schutzbezüge, stülpte den Atemschutz über Mund und Nase, und desinfizierte mir schließlich sorgfältig die Hände.
Dann drückte ich den Knopf der Gegensprechanlage, nannte meinen Namen und wartete darauf, dass mir eine der Krankenschwestern Einlass, in die andere Welt hinter der Schleuse, gewährte.
Routine macht – wenn nicht geistlos – so doch gedankenlos.
Und es ist doch gerade diese Gedankenlosigkeit, die einen das Unabänderliche erträglich gestaltet.
Mit stoischer Ruhe begegnete ich mittlerweile dem Schrecken hinter dieser Schleuse.
Vater lag auf der Seite. Irgendjemand musste entschieden haben, dass er vom Rücken auf die linke Schulterseite gedreht werden musste.
Das war das Neue.
Alles andere war wie immer in den letzten sechs Wochen:
Immer noch lag er im künstlichen Koma. Immer noch steckte der Beatmungsschlauch tief in seinem Hals. Immer noch waren es nur diese Maschinen, die wie ein Tabernakel um ihn herum aufgereiht waren, diese Maschinen, die das Ich, das tief in diesem Körper dämmerte, mit dem Diesseits in Verbindung hielten.
Auch das ein schrecklicher Anblick.
Aber auch hier hatte die Routine dem Schrecken seine Macht geraubt.
Ich schob den Mundschutz ein wenig zur Seite und drückte Mama einen Kuss auf die Stirn. Seit Stunden saß sie, auch an diesem Tag, neben diesem Wesen, das fast nur noch Körper war.
Wohin war nur der Mensch entschwunden, den ich stets aus einer Mischung aus Respekt und Angst „ Vater“ genannt hatte?
Fast nicht mehr da. Und, was wir ahnten, aber verschwiegen, vielleicht bald nur noch Erinnerung.
Die Vorstellung, dass irgendwo in diesem Körper, gefangen wie in einer Taucherglocke, ein Ich war, das mich selbst, in einem Anfall von Leidenschaft, vor fünfunddreißig Jahren, vielleicht in einer lauen Mondnacht, gezeugt hatte,
lies mich schaudern.
Ich studierte sein regungsloses Gesicht, wie ich es in den letzten Wochen so häufig getan hatte. Suchte eine Spur, einen Faden, suchte irgendetwas das mich einfach Papa sagen lies.
Ich fand nichts. Nur diese bewegungslose Mine die mich stets Fragen lies, ob dahinter noch ein Traum lebte.
„Wenn Vater stirbt“, sagte Mama, „werde ich das nicht überleben!“
Sie rüttelte an seinem rechten Arm.
„Hörst du Wolfgang….“
Dieser Arm. Die Haut die das Fleisch umschloss war nur noch Packpapier.
„So was darfst du nicht sagen“, flüsterte ich.
Und warum nicht?
Die beiden waren jetzt beinahe fünfzig Jahre verheiratet. Die beiden hatten die wenigen guten und die vielen anstrengenden Jahre überstanden.
Vielleicht wird man mit den Jahren wirklich ein Fleisch. Vielleicht. Aber wer weiß das schon.
Mama stierte jetzt wieder auf den künstlichen Darmausgang und schüttelte den Kopf.
„Damit wird er nicht klar kommen“, sagte sie. Und deutete auf den Schlauch aus dem nach und nach das Unverdauliche in einen Beutel floss.
Nur ein Stoffwechselprodukt dachte ich krampfhaft und schwieg.
„Sie haben ihn auf die Seite gelegt“, sagte ich in unser Schweigen hinein.
“Vielleicht ist das ein gutes Zeichen?“
Ein Arzt trat ans Bett, nickte wortlos, und verstellte routiniert ein paar Einstellungen an den Apparaten. Schon hatte er sich wieder umgedreht, um nach einem weiteren Patienten zuschauen, als er einen Moment inne hielt, und Vater, obschon nutzlos, in einer zutiefst menschlichen Geste, die Hand auf die Stirn legte.
Ich merkte wie es in mir rumorte. Der Routinepanzer, der mich unempfindlich gemacht hatte, brach in sich zusammen.
Ich weinte. Zum ersten Mal in all den Jahren schossen mir hemmungslos die Tränen über meine Wangen.
Mama nahm mich in den Arm, so wie früher, als Blitz und Donner noch Kinderschrecken waren, nahm sanft meine Hand, legte sie in die meines Vaters, und flüsterte leise, dass er wie in einer alten Melodie klang:
„Alles wird gut.“
Die äußere Tür zur Intensivstation öffnete sich automatisch.
Ich trat in die Schleuse, wartete bis sich die Schiebetüren hinter mir wieder schlossen, und begann mit meinen Vorbereitungen:
Ich zog meine Straßenjacke aus, hängte sie über einen Bügel, schlüpfte dann in einen dieser grünen Kittel, streifte über meine Schuhe, ebenso grüne, Schutzbezüge, stülpte den Atemschutz über Mund und Nase, und desinfizierte mir schließlich sorgfältig die Hände.
Dann drückte ich den Knopf der Gegensprechanlage, nannte meinen Namen und wartete darauf, dass mir eine der Krankenschwestern Einlass, in die andere Welt hinter der Schleuse, gewährte.
Routine macht – wenn nicht geistlos – so doch gedankenlos.
Und es ist doch gerade diese Gedankenlosigkeit, die einen das Unabänderliche erträglich gestaltet.
Mit stoischer Ruhe begegnete ich mittlerweile dem Schrecken hinter dieser Schleuse.
Vater lag auf der Seite. Irgendjemand musste entschieden haben, dass er vom Rücken auf die linke Schulterseite gedreht werden musste.
Das war das Neue.
Alles andere war wie immer in den letzten sechs Wochen:
Immer noch lag er im künstlichen Koma. Immer noch steckte der Beatmungsschlauch tief in seinem Hals. Immer noch waren es nur diese Maschinen, die wie ein Tabernakel um ihn herum aufgereiht waren, diese Maschinen, die das Ich, das tief in diesem Körper dämmerte, mit dem Diesseits in Verbindung hielten.
Auch das ein schrecklicher Anblick.
Aber auch hier hatte die Routine dem Schrecken seine Macht geraubt.
Ich schob den Mundschutz ein wenig zur Seite und drückte Mama einen Kuss auf die Stirn. Seit Stunden saß sie, auch an diesem Tag, neben diesem Wesen, das fast nur noch Körper war.
Wohin war nur der Mensch entschwunden, den ich stets aus einer Mischung aus Respekt und Angst „ Vater“ genannt hatte?
Fast nicht mehr da. Und, was wir ahnten, aber verschwiegen, vielleicht bald nur noch Erinnerung.
Die Vorstellung, dass irgendwo in diesem Körper, gefangen wie in einer Taucherglocke, ein Ich war, das mich selbst, in einem Anfall von Leidenschaft, vor fünfunddreißig Jahren, vielleicht in einer lauen Mondnacht, gezeugt hatte,
lies mich schaudern.
Ich studierte sein regungsloses Gesicht, wie ich es in den letzten Wochen so häufig getan hatte. Suchte eine Spur, einen Faden, suchte irgendetwas das mich einfach Papa sagen lies.
Ich fand nichts. Nur diese bewegungslose Mine die mich stets Fragen lies, ob dahinter noch ein Traum lebte.
„Wenn Vater stirbt“, sagte Mama, „werde ich das nicht überleben!“
Sie rüttelte an seinem rechten Arm.
„Hörst du Wolfgang….“
Dieser Arm. Die Haut die das Fleisch umschloss war nur noch Packpapier.
„So was darfst du nicht sagen“, flüsterte ich.
Und warum nicht?
Die beiden waren jetzt beinahe fünfzig Jahre verheiratet. Die beiden hatten die wenigen guten und die vielen anstrengenden Jahre überstanden.
Vielleicht wird man mit den Jahren wirklich ein Fleisch. Vielleicht. Aber wer weiß das schon.
Mama stierte jetzt wieder auf den künstlichen Darmausgang und schüttelte den Kopf.
„Damit wird er nicht klar kommen“, sagte sie. Und deutete auf den Schlauch aus dem nach und nach das Unverdauliche in einen Beutel floss.
Nur ein Stoffwechselprodukt dachte ich krampfhaft und schwieg.
„Sie haben ihn auf die Seite gelegt“, sagte ich in unser Schweigen hinein.
“Vielleicht ist das ein gutes Zeichen?“
Ein Arzt trat ans Bett, nickte wortlos, und verstellte routiniert ein paar Einstellungen an den Apparaten. Schon hatte er sich wieder umgedreht, um nach einem weiteren Patienten zuschauen, als er einen Moment inne hielt, und Vater, obschon nutzlos, in einer zutiefst menschlichen Geste, die Hand auf die Stirn legte.
Ich merkte wie es in mir rumorte. Der Routinepanzer, der mich unempfindlich gemacht hatte, brach in sich zusammen.
Ich weinte. Zum ersten Mal in all den Jahren schossen mir hemmungslos die Tränen über meine Wangen.
Mama nahm mich in den Arm, so wie früher, als Blitz und Donner noch Kinderschrecken waren, nahm sanft meine Hand, legte sie in die meines Vaters, und flüsterte leise, dass er wie in einer alten Melodie klang:
„Alles wird gut.“