Anna Karenina

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Herr H.

Mitglied
Sie sprühte voll Wärme und Leben,
war heiter, bezaubernd, charmant,
von freundlichen Menschen umgeben,
gesegnet mit Geist und Verstand.

Sie endete mitten im Gleise
des Bahnhofs, verzweifelt, allein,
auf eine entsetzliche Weise -
zerbrochen an innerer Pein.

Das Glück, das ihr Leben versüßte,
erwies sich als flüchtiger Traum,
für den sie sich quälte und büßte.
Die Liebe fand nirgendwo Raum.

Gemartert vom schlechten Gewissen,
dem Sohne entwendet, im Bann
und tief in der Seele zerrissen -
so bahnte das Drama sich an.

Ob's Schuld war? Wer möchte da richten?
Wer wagt es, hier Kläger zu sein?
Wer will ihren „Fehltritt“ gewichten?
Und wer wirft als erster den Stein?

Wenn – gegen die Norm – Aphrodite
die Glut in den Herzen entflammt,
sind Menschen von zartem Gemüte
fast immer zum Leiden verdammt.
 

hermannknehr

Mitglied
Hallo Herr H.,
Was erinnert mich beim Lesen Deines Gedichtes an "die Flüchtligsfrau"? Es ist der gleichförmige, traurige, etwas distanzierte Erzählstil. Man hat das Gefühl: Ach, das Leben, es geht so rasch, so oder so, vorbei. Ich kann diese Stimmung, die wohl nur ein etwas älterer (reiferer) Mensch haben kann, sehr gut nachempfinden.
Sehr gerne gelesen.
LG
Hermann
 

Herr H.

Mitglied
Sie sprühte von Wärme und Leben,
war gütig, bezaubernd, charmant,
vom Glanze des Adels umgeben,
gesegnet mit Geist und Verstand.

Sie endete mitten im Gleise
des Bahnhofs, verzweifelt, allein,
auf eine entsetzliche Weise -
zerbrochen an innerer Pein.

Das Glück, das ihr Leben versüßte,
erwies sich als flüchtiger Traum,
für den sie als „Sünderin“ büßte.
Die Liebe fand nirgendwo Raum.

Gemartert vom schlechten Gewissen
und öffentlich stigmatisiert -
dies hat ihr den Boden entrissen
und schließlich total isoliert.

Ob's Schuld war? Wer möchte da richten?
Wer wagt es, hier Kläger zu sein?
Wer will ihren „Fehltritt“ gewichten?
Und wer wirft als erster den Stein?

Wenn – wider Tabus – Aphrodite
die Glut in den Herzen entflammt,
sind Menschen von zartem Gemüte
fast immer zum Leiden verdammt.
 

Herr H.

Mitglied
Du hast recht, Hermann. Es ist das Tragische, was die Flüchtlingsfrau und Anna Karenina miteinander verbindet, das Tragische im Sinne schicksalhafter Betroffenheit.
Danke für dein Echo.
LG von
Herrn H.
 



 
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