Arnold Böcklin, Die Toteninsel

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Herr H.

Mitglied
Gespenstisch wächst das Eiland aus dem Meere.
Die schroffen Felsen stehn im fahlen Licht.
Zypressen ragen mittig dicht an dicht
in eines grauen Himmels düstre Schwere.

Hinein in diese unheilvolle Sphäre
strebt zielgerichtet eine schwarze Fähre.
Ihr Gleiten durch die Fluten unterbricht
die feierliche Totenstille nicht.

Sie wird von einem Charon dirigiert ,
der, leicht gebeugt und ganz in Weiß gehüllt,
so wie seit alters seine Pflicht erfüllt.

Er bringt den Sarg, der schon erwartet wird.
Denn manche Felsenkammer steht noch leer
auf dieser Insel ohne Wiederkehr.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Herr H.,

gefällt mir sehr gut!
Obwohl dein Gedicht vordergründig sehr "beschreibend" daherkommt, bringt der Autor doch eigene Interpretationen und Sichtweisen ein - insbesondere am Schluss spüre ich - neben dem lakonischen Verweis: Wiederkehr ausgeschlossen! - auch ein Stück Trost, indem wir quasi schon erwartet werden, uns ein Platz bereitet ist. Der anfängliche Schauer, das Unabänderliche birgt doch auch Ankunft und Aufgehobensein in sich.

Eine Stelle (speziell das "zielgerichtet") vermag mich nicht ganz zu überzeugen, wirkt auf mich ein bisschen wie ein Fremdkörper im Text. Könnte es in diese Richtung gehen:

Hinein in diese unheilvolle Sphäre
[blue]geleitet eine dunkle Macht (Hand?) die[/blue] Fähre.
Ihr Gleiten durch die Fluten unterbricht
die feierliche Totenstille nicht.
??

lg wüstenrose
 

Herr H.

Mitglied
Hallo wüstenrose,

vielen Dank für dein positives Echo. Ja, mit dem Ausdruck "zielgerichtet" war ich auch nicht wirklich glücklich. Für deinen Vorschlag finde ich bei Böcklins Bild leider keinen Anhaltspunkt. Ich habe mich deshalb dazu entschieden, statt "zielgerichtet" nun "unaufhaltsam" zu schreiben.

LG von Herrn H.
 

Herr H.

Mitglied
Gespenstisch wächst das Eiland aus dem Meere.
Die schroffen Felsen stehn im fahlen Licht.
Zypressen ragen mittig dicht an dicht
in eines grauen Himmels düstre Schwere.

Hinein in diese unheilvolle Sphäre
strebt unaufhaltsam eine schwarze Fähre.
Ihr Gleiten durch die Fluten unterbricht
die feierliche Totenstille nicht.

Sie wird von einem Charon dirigiert ,
der, leicht gebeugt und ganz in Weiß gehüllt,
so wie seit alters seine Pflicht erfüllt.

Er bringt den Sarg, der schon erwartet wird.
Denn manche Felsenkammer steht noch leer
auf dieser Insel ohne Wiederkehr.
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo nochmal Herr H.,

deine Begründung, warum du lediglich das "zielgerichtet" ersetzen möchtest, kann ich nachvollziehen und mit "unaufhaltsam" könnte ich mich zur Not anfreunden. Wenngleich doch sehr viel Dynamik und Kraft in diesem Adjektiv stecken, was wiederum mit der "feierlichen Totenstille", die so ziemlich jeder Bild-Betrachter empfinden dürfte, eher disharmoniert.
Was hälst du von "augenblicklich"?

Aber dir gebührt das letzte Wort und das darf dann auch so stehen bleiben.

Ich lese dein Gedicht zum wiederholten Male. Der Schluss ist einfach stark, den liebe ich - - - ich glaube, es sind die beiden Pole, zwischen denen die letzten Zeilen oszillieren: hier die Ankunft, das Heimkommen, da das Unbehauste, die lapidare Schlusszeile, die auf eine gewisse Spurenlosigkeit unseres Lebens verweist. Kein Pol behält die Oberhand, beide sind wahr, irgendwie unauflöslich, wir kommen und kehren nicht wieder, wir bleiben und vergehen.
 

Herr H.

Mitglied
Hallo Wüstenrose,

ja, "unaufhaltsam" iat als Ausdruck wohl zu stark. Auch "augenblicklich" überzeugt mich nicht ganz. Ich neige nun zu "ohne Zögern".

Noch mehr liebe Grüße von
Herrn H.
 

Herr H.

Mitglied
Gespenstisch wächst das Eiland aus dem Meere.
Die schroffen Felsen stehn im fahlen Licht.
Zypressen ragen mittig dicht an dicht
in eines grauen Himmels düstre Schwere.

Hinein in diese unheilvolle Sphäre
strebt ohne Zögern eine schwarze Fähre.
Ihr Gleiten durch die Fluten unterbricht
die feierliche Totenstille nicht.

Sie wird von einem Charon dirigiert ,
der, leicht gebeugt und ganz in Weiß gehüllt,
so wie seit alters seine Pflicht erfüllt.

Er bringt den Sarg, der schon erwartet wird.
Denn manche Felsenkammer steht noch leer
auf dieser Insel ohne Wiederkehr.
 



 
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