Besinnung

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Vera-Lena

Mitglied
unterschiedlich

Hallo margot,

es liegt doch an der Bewölkung, an der Luftfeuchtigkeit, an der Jahreszeit, daß jeder Sonnenaufgang,( man muß allerdinds schon vorher auf dem Plan sein, um diese Farbnuancen beobachten zu können) zwangsläufig anders aussieht. Mal ist die Sonne schon sofort golden z.B. im August, mal ist sie rot. Es gibt genug Variationen, um immer wieder gespannt zu sein, denn manchmal sieht man sie ja auch gar nicht. Schon das ist die ewig spannende Frage. Gibt es heute einen Sonnenaufgang? Und wenn Du im Gebirge wohnst, geht sie jeden Tag hinter einer anderen Bergspitze auf. Der erste Augenblick, wenn nur eine Handvoll Strahlen über das Gebirge kommen, ist immer wieder umwerfend. Es ist so, als ob Du auf Deinen Geliebten wartest.

Liebe Grüße Vera-Lena
 
@ vera-lena+margot

Hallo ihr beiden,

der Unterschied zwischen gesund lebenden Alten und den Heiminternierten ist wirklich frappierend.
Er wird in unserer zunehmend überalterten Gesellschaft sich noch verschärfen.
Auch ich: jahrelang Altenheim, manche Leute verweigerten wütend die Arznei mit der Begründung, sie wollten endlich sterben...

Vera-Lenas Argument, daß man sich selbst im Umgang mit Alten sehr oft (fast peinlich) und ohne angeben zu können warum, "beschenkt" fühlt, kann ich nur bestätigen.

Der Mensch stirbt nicht einen Tod, sondern viele kleine auf seinem Lebensweg. Der Tod hat verschiedene "Stufen", und eine davon ist z.B. das Zerbrechen des sozialen Kontextes, wenn eine "hilflose"(*) Person ins Heim kommt, eine weitere ist dann das Erleben der eintretenden kindlichen Abhängigkeit von der Institution, eine noch weitere die Hospitalisierung, noch eine drauf: der irreversible Wegfall von Lebensperspektiven, denn der Mensch lebt wesentlich von Hoffnung, eine der letzten Stufen des psychosozialen Sterbens ist dann die Selbstaufgabe. Danach kommt dann, über psychosomatische Immunfunktionen getriggert, der körperliche Zerfall...

(*) die erscheinende "Hilflosigkeit" liegt nicht nur an der Person (wie definiert und geglaubt), sondern auch an der Umwelt unserer Lebensbedingungen, indem erst die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt dies als auftauchendes Phänomen definieren.
(In der Geborgenheit ihrer nativen Großfamilie wäre die Person z.B. gar nicht hilflos)

Der "Tod" ist ein kompliziertes stufenweises Prozedere, und ein "Heim" liefert praktisch eine Vivisektion des Todes, indem es dessen Stufen "coloriert" und exponiert (als sei's ein Experiment).
Es stimmt zwar, daß Menschenexperimente verboten sind, aber gerade hier (im Heimbereich) werden sie täglich -immer mit demselben Ausgang- vor unser aller Augen gemacht.
Krass formuliert: Altenheime als zynische Entsorgungsanstalten für humanen Restmüll. "Lassen wir sie schön langsam sterben, dann fällts nicht so auf"

Soweit sind wir in dieser ach so humanen Gesellschaft.
Von der Menge des zugefügten Leides her wäre es besser diese Menschen per Kopfschuss schnell zu töten, denn was da unter dem Deckmantel von Humanität und "Lebenwollen-Phantasien" grauenvoller als jeder natürliche Tod daherkommt, ist finanzielle Ausbeutung, oft körperliche Gewalt, seelische Grausamkeit (beides nicht selten durch Mitarbeiter), Umsatz der Pharma-Industrie, usw...

Was für die Jungen rauskomt, ist auch nicht besser: Die Soziologie nennt das den "Wegfall der Großelternkopplung", durch welchen die Übertragung von Konvention und Tradition (biographische Historie als evolutive Sicherheit), Lebenswurzeln, unterbleibt, und die Jungen so fast zwangsläufig einen Anstoß zur psychosozialen Verasozialisierung erhalten.

Das Lebewesen Mensch ist nicht derart manipulierbar, wie man voraussetzt, ohne Schaden an seiner Integrität zu nehmen.
Alte, Junge und Kinder gehören als "Horde", Familie, Großfamilie integral zusammen, und jedes künstliche Verändern dieser Kontexte schädigt die von ihnen Abhängigen.
Psychobiologisch läßt sich vermuten, daß z.B. auch eine gewisser Prozentsatz Kinder zu diesem Kontext gehören, was bedeutet, daß unsere Gesellschaft bereits tiefen Schaden an der Tatsache nimmt "kinderlos" zu sein.

Interessant: Der Unterschied zwischen z.b. SOS-Kinderdörfern und Altenheimen (früher (bedeutungsvolle Wortveränderung!), vor der Wortschönung: "AltersHeim") - vom Prinzip "Hoffnung" her gesehen.

"Altwerden" und "Altsein" ist ein riesiges Problem in unserer Gesellschaft, genau wie ähnliche und damit zusammenhängende: Das Anonymisieren von Leid und natürlichen Vorgängen wie Geburten, Tode.

Von alledem (fast) nichts in LL, (hier wird nicht geboren und nicht gestorben, auch nicht gelitten, (es sei denn ständig unter brunftbedingtem Liebesentzug, der eigentlich zur "pubertas" gehört) weil das niemand lesen will: "bah Probleme, und dann noch existentielle, pfui deibel!")

Es ist z.B. bekannt (Untersuchungen von Phillipe Ariés u.a.), daß sich die europäische Kunst im Laufe des 19.Jhdts aus der Gestaltungsfähigkeit des Todes zurückzog, sie verlor die künstlerische Macht über das Lebensende (gestaltende und verbale Kunst gleichzeitig). Das Resultat: z.B. rudimentäre Friedhofsemantik heutiger Stätten (sehr aufschlussreich übrigens, das Thema)

Diesen verlorenen Faden könnte man hier in LL wieder mal aufzugreifen versuchen! Aber in dem Moment wird "Kunst" natürlich anstrengend...
 



 
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