Lieber Eberhard
Trauer und Witz sind die verschiedenen Seiten der gleichen Münze. Wenn zum Beispiel zwei Menschen beide im Frühjahr Tomatensamen in einen Blumentopf gesteckt, sich den ganzen Sommer hingebungsvoll gießend und jätend gekümmert haben, kann es sein, daß, wenn beide Töpfe herunterfallen und zerspringen, der eine weint und der andere lacht. Es ist die gleiche Realität. Der Eine nimmt sie an und weint. Der Andere distanziert sich und lacht darüber.
Lyri ist Sklave seiner Neigungen und läßt sich davon in den Abgrund ziehen. Er könnte genauso eine Saufnase sein, die Schultern zucken und sagen "ist halt so. Ich trinke öfter mal einen über den Durst, na und?" Damit will ich weder Alkoholismus schönreden noch dazu einladen. Der Abgrund dieses Lyris in Deinem Gedicht wird durch seine Schuldgefühle und Selbstkasteiung nur noch unüberwindlicher.
Ich wohne in einer Gegend, in der mit Alkoholgenuß in einer Weise umgegangen wird, mit der ich Nichts anfangen kann. Es ist hier fester Bestandteil der täglichen Kultur und wird entspannter gesehen, dafür sind manche Abgründe deutlich tiefer. Ich habe beobachtet, daß Schuldgefühle die Abwärtsspirale nur beschleunigen. Dein Gedicht ist als Beschreibung dessen eine Punktlandung.
Der Weg heraus muß wohl das Eingestehen der eigenen Schwäche beinhalten. Vielleicht ist das einfacher, wenn man es komisch sieht? Ich habe mich beim Beobachten vom Entsetzen zu mehr Akzeptanz dieses anderen Lebensstils durchgerungen und versuche es heiter zu sehen, während ich gleichzeitig hoffe, daß meine Kinder die Größe haben werden, im Zweifel "nein Danke" zu sagen.
Liebe Grüße
Thylda