Nur um das von Anfang an klar zu stellen: Ich bin keine von denen, die so was typischerweise tun! Ich bin kein typischer Fall für den Jugendpsychiater. Ich bin keine Schnitzerin! Kein Gruftie, kein Thanie und auch kein Emo. Zwar bin ich blass und höre gerne Gothic Rock, doch schminke ich meine Augen nicht schwarz. Meine Haare haben eine kaum definierbare Mausfarbe, doch schwarz sind sie nicht. Auch die Fingernägel lackiere ich mir nicht in dieser Farbe. Schwarz ist eine schöne Farbe, aber etwas für lange, krallenartige Nägel; nicht für abgekaute Plättchen auf Wurstfingern, so wie ich sie habe.
Kurz: Kaum etwas habe ich mit dieser Schlampe aus meiner Klasse gemeinsam, die haargenau so aussieht, die Psychoklinik zum zweiten Zuhause hat und ihre Freunde öfters wechselt als ihre Unterwäsche. Und selbst sie tut es nicht, obwohl man es erwarten würde. Ich würde darauf wetten, doch habe ich nichts, was einen guten Einsatz abgeben würde. Ich habe schon alles verloren bei einer Wette, die sich Leben nennt.
Wie bin ich darauf gekommen? Durch meine schlechte Gewohnheit, alle furchtbaren Dinge, von denen ich lese, irgendwann nachzumachen? Zu oft ist es in meinem Leben vorgekommen, dass ich einen Artikel lese (sei es über Essstörungen, Mobbing oder whatever) und mir dabei denke „So was würde mir nie passieren!“. Das habe ich mit allen gemeinsam, die sich für stark halten – bis sie von etwas, das gleichzeitig inner- und außerhalb von ihnen ist, zu einem Kräftemessen herausgefordert werden. Und scheitern. Es bleibt ihnen nichts übrig, als sich zu verkriechen, auf den nächsten Schlag zu warten und ihre Wunden zu lecken.
Wunden lecken... meine letzte Option. Und wie alle wissen, mit denen niemand Mitleid hat außer ihrer selbst, tut so etwas unerwartet gut. Es tut nicht mehr weh, sobald man einsieht, dass man nun einmal nicht auf der Sonnenseite des Lebens steht. Wenigstens kriegt man auf diese Weise keinen Sonnenbrand, obwohl es neben diesem relativ harmlosen Fixstern auch hier Dinge gibt, die einen weitaus schlimmer verletzen.
Halt! Ich klinge jetzt wirklich eine von diesen Psychos mit meinem Gesülze! Will ich so sein wie sie? Wahrscheinlich ist es leichter, sich selbst zum Feind zu haben als die Welt. Da sieht man wenigstens nicht ein, dass man es verdient hat. Wundert euch nicht, wenn eine Person, die so ein Chaos in ihren Gedanken hat, in ihrer Umgebung (noch ein weiterer Grund, weshalb mich meine Mutter in den Wahnsinn treibt) auch zu chaotischen Handlungen neigt.
Denn meine lässt sich nicht anders umschreiben. Es war vollkommen sinnlos. Nicht wie im Bilderbuch, besser gesagt, in der psychologischen Abhandlung. Wenn ich mich verloren und ohnmächtig gefühlt hatte, so merkte ich das nicht. Auch wollte ich mich nicht vergewissern, dass ich noch lebe. So ein Unsinn, diese ganzen Vorurteile! Ich wollte einfach etwas ausprobieren, um mich abzulenken. Vielleicht wäre alles deutlicher, wenn ich doch zu einer von ihnen werde.
Nichts habe ich davor gespürt, außer Leere. Nicht einmal richtigen Seelenschmerz, nur Langeweile. Ich fühlte mich gelangweilt – jeden Tag Streit zu haben und dabei den Kürzeren zu ziehen. Wenn sich doch einfacher sagen ließe, wer im Unrecht ist! Aber mein Fall ist eben kein typischer, und selbst wenn man ich ist, versteht man nicht alles. Nicht dass ich je Rat suchen wollte, denn ich weiß, bekommen würde ich ihn sowieso nicht. Wie sollen auch fremde Schlaumeier Klarheit in mein Leben bringen, wenn ich es selbst nicht kann? Schwarz und Weiß gibt es leider nicht. Höchstens rot. Rot wie Blut, wie meine Tränen. Rot ist eine meiner Lieblingsfarben. Sie hat so etwas Warmes an sich, spendet Trost. Es ist die Farbe, wenn man weiterkämpft.
Aber die einzige Waffe, die ich in Reichweite habe, ist ein kleines Papiermesser. Früher habe ich gerne mit ihm gespielt, habe mit ihm Quadrate in alte Zeitungen und Blätter geschnitzt und diese dann abgerissen. Noch eine sinnlose Handlung. Einfach so, weil ich das Gefühl mochte, dieses Ritzen und das leise Geräusch, wenn sich das kleine Messer durch das Papier schneidet. Seine schmale Klinge ist sehr spitz, aber ich bezweifle, dass sie meine fette, dicke Haut durchstoßen kann. Versuchen schadet nichts, denn mehr ist es nicht. Ich werde nicht süchtig danach, da bin ich mir sicher. Ich kann nach allem möglichen süchtig werden: Internet, Süßigkeiten, Fernsehen, meinetwegen Bücher – aber nicht nach so einem Schwachsinn. Einmal ist keinmal. Schon am Tag davor habe ich ein wenig mit dem Messer rumgestochert, hatte aber weder den Mut noch die nötige Leere in mir, um zu schlitzen. Jetzt aber will ich es wissen.
Ich kremple meinen Ärmel hoch – den rechten, weil ich mit links besser schneiden kann. Sicherer. Vielleicht ist ja was dran an dem Vorurteil, Linkshänder seien ein wenig durchgeknallt? Einen Moment lang starre ich, das Messer in der Hand, meinen Arm an. Verdammt, habe ich haarige Arme. Aber schön sehen sie im gelben Licht der Lampe aus, braun, und die Härchen darauf glänzen golden. Ich suche eine passende Stelle… und schneide endlich zu. Erst drücke ich die Spitze in die Haut, dann versuche ich, einen Schnitt zu machen. Die Klinge ist nicht wirklich tief, das spüre ich sofort. Und sonst spüre ich nichts. Nur ein spitzer Schmerz, längst nicht so stark, wie ich es mir vorgestellt habe. Keine Befreiung, kein Gefühl der Macht. Kein Rausch, wie ich ihn erwartet habe – denn wie soll man sonst von Schlitzen süchtig werden? Nur eine Sinnlosigkeit überkommt mich, während ich das spitze Ding über meine Haut ziehe. Es bleibt nur ein weißer, haarfeiner Streifen auf meinem rechten Arm. Nicht das, was ich sehen wollte. Ich drücke ein wenig herum, bis endlich Blut kommt, wenn auch nur als eine schmale, sparsame Spur. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Nicht einmal ein ganzer roter Tropfen! Ich würde gerne richtig bluten, mich verletzt fühlen, meinen Hass im glänzenden Rot ertränken… aber da ist nur diese Gleichgültigkeit, die meine Wunde verschließt.
Noch ein Schnitt, denn wer A sagt, muss auch B sagen. Einen Tick tiefer als das erste Mal, glaube ich. Hoffe ich. Der Schmerz wird erträglich mit der Frage im Hinterkopf: Was zum Teufel tue ich da eigentlich? Den dritten Schnitt habe ich wieder verbockt. Er tat etwas mehr weh, obwohl es überhaupt kein tiefer war, und das Bluten noch weniger der Rede wert als seine Vorgänger. Die heilige Dreifaltigkeit – nein, fünf Schnitte will ich. Meine Glückszahl fünf. Fünf und dann nie wieder. Ganz tief bohre ich die Klinge hinein, aber es tut so weh, dass ich nur einen kurzen Schnitt zustande bringe, keine echte rote Linie. Der letzte ebenso.
Kurz: Kaum etwas habe ich mit dieser Schlampe aus meiner Klasse gemeinsam, die haargenau so aussieht, die Psychoklinik zum zweiten Zuhause hat und ihre Freunde öfters wechselt als ihre Unterwäsche. Und selbst sie tut es nicht, obwohl man es erwarten würde. Ich würde darauf wetten, doch habe ich nichts, was einen guten Einsatz abgeben würde. Ich habe schon alles verloren bei einer Wette, die sich Leben nennt.
Wie bin ich darauf gekommen? Durch meine schlechte Gewohnheit, alle furchtbaren Dinge, von denen ich lese, irgendwann nachzumachen? Zu oft ist es in meinem Leben vorgekommen, dass ich einen Artikel lese (sei es über Essstörungen, Mobbing oder whatever) und mir dabei denke „So was würde mir nie passieren!“. Das habe ich mit allen gemeinsam, die sich für stark halten – bis sie von etwas, das gleichzeitig inner- und außerhalb von ihnen ist, zu einem Kräftemessen herausgefordert werden. Und scheitern. Es bleibt ihnen nichts übrig, als sich zu verkriechen, auf den nächsten Schlag zu warten und ihre Wunden zu lecken.
Wunden lecken... meine letzte Option. Und wie alle wissen, mit denen niemand Mitleid hat außer ihrer selbst, tut so etwas unerwartet gut. Es tut nicht mehr weh, sobald man einsieht, dass man nun einmal nicht auf der Sonnenseite des Lebens steht. Wenigstens kriegt man auf diese Weise keinen Sonnenbrand, obwohl es neben diesem relativ harmlosen Fixstern auch hier Dinge gibt, die einen weitaus schlimmer verletzen.
Halt! Ich klinge jetzt wirklich eine von diesen Psychos mit meinem Gesülze! Will ich so sein wie sie? Wahrscheinlich ist es leichter, sich selbst zum Feind zu haben als die Welt. Da sieht man wenigstens nicht ein, dass man es verdient hat. Wundert euch nicht, wenn eine Person, die so ein Chaos in ihren Gedanken hat, in ihrer Umgebung (noch ein weiterer Grund, weshalb mich meine Mutter in den Wahnsinn treibt) auch zu chaotischen Handlungen neigt.
Denn meine lässt sich nicht anders umschreiben. Es war vollkommen sinnlos. Nicht wie im Bilderbuch, besser gesagt, in der psychologischen Abhandlung. Wenn ich mich verloren und ohnmächtig gefühlt hatte, so merkte ich das nicht. Auch wollte ich mich nicht vergewissern, dass ich noch lebe. So ein Unsinn, diese ganzen Vorurteile! Ich wollte einfach etwas ausprobieren, um mich abzulenken. Vielleicht wäre alles deutlicher, wenn ich doch zu einer von ihnen werde.
Nichts habe ich davor gespürt, außer Leere. Nicht einmal richtigen Seelenschmerz, nur Langeweile. Ich fühlte mich gelangweilt – jeden Tag Streit zu haben und dabei den Kürzeren zu ziehen. Wenn sich doch einfacher sagen ließe, wer im Unrecht ist! Aber mein Fall ist eben kein typischer, und selbst wenn man ich ist, versteht man nicht alles. Nicht dass ich je Rat suchen wollte, denn ich weiß, bekommen würde ich ihn sowieso nicht. Wie sollen auch fremde Schlaumeier Klarheit in mein Leben bringen, wenn ich es selbst nicht kann? Schwarz und Weiß gibt es leider nicht. Höchstens rot. Rot wie Blut, wie meine Tränen. Rot ist eine meiner Lieblingsfarben. Sie hat so etwas Warmes an sich, spendet Trost. Es ist die Farbe, wenn man weiterkämpft.
Aber die einzige Waffe, die ich in Reichweite habe, ist ein kleines Papiermesser. Früher habe ich gerne mit ihm gespielt, habe mit ihm Quadrate in alte Zeitungen und Blätter geschnitzt und diese dann abgerissen. Noch eine sinnlose Handlung. Einfach so, weil ich das Gefühl mochte, dieses Ritzen und das leise Geräusch, wenn sich das kleine Messer durch das Papier schneidet. Seine schmale Klinge ist sehr spitz, aber ich bezweifle, dass sie meine fette, dicke Haut durchstoßen kann. Versuchen schadet nichts, denn mehr ist es nicht. Ich werde nicht süchtig danach, da bin ich mir sicher. Ich kann nach allem möglichen süchtig werden: Internet, Süßigkeiten, Fernsehen, meinetwegen Bücher – aber nicht nach so einem Schwachsinn. Einmal ist keinmal. Schon am Tag davor habe ich ein wenig mit dem Messer rumgestochert, hatte aber weder den Mut noch die nötige Leere in mir, um zu schlitzen. Jetzt aber will ich es wissen.
Ich kremple meinen Ärmel hoch – den rechten, weil ich mit links besser schneiden kann. Sicherer. Vielleicht ist ja was dran an dem Vorurteil, Linkshänder seien ein wenig durchgeknallt? Einen Moment lang starre ich, das Messer in der Hand, meinen Arm an. Verdammt, habe ich haarige Arme. Aber schön sehen sie im gelben Licht der Lampe aus, braun, und die Härchen darauf glänzen golden. Ich suche eine passende Stelle… und schneide endlich zu. Erst drücke ich die Spitze in die Haut, dann versuche ich, einen Schnitt zu machen. Die Klinge ist nicht wirklich tief, das spüre ich sofort. Und sonst spüre ich nichts. Nur ein spitzer Schmerz, längst nicht so stark, wie ich es mir vorgestellt habe. Keine Befreiung, kein Gefühl der Macht. Kein Rausch, wie ich ihn erwartet habe – denn wie soll man sonst von Schlitzen süchtig werden? Nur eine Sinnlosigkeit überkommt mich, während ich das spitze Ding über meine Haut ziehe. Es bleibt nur ein weißer, haarfeiner Streifen auf meinem rechten Arm. Nicht das, was ich sehen wollte. Ich drücke ein wenig herum, bis endlich Blut kommt, wenn auch nur als eine schmale, sparsame Spur. So habe ich mir das nicht vorgestellt. Nicht einmal ein ganzer roter Tropfen! Ich würde gerne richtig bluten, mich verletzt fühlen, meinen Hass im glänzenden Rot ertränken… aber da ist nur diese Gleichgültigkeit, die meine Wunde verschließt.
Noch ein Schnitt, denn wer A sagt, muss auch B sagen. Einen Tick tiefer als das erste Mal, glaube ich. Hoffe ich. Der Schmerz wird erträglich mit der Frage im Hinterkopf: Was zum Teufel tue ich da eigentlich? Den dritten Schnitt habe ich wieder verbockt. Er tat etwas mehr weh, obwohl es überhaupt kein tiefer war, und das Bluten noch weniger der Rede wert als seine Vorgänger. Die heilige Dreifaltigkeit – nein, fünf Schnitte will ich. Meine Glückszahl fünf. Fünf und dann nie wieder. Ganz tief bohre ich die Klinge hinein, aber es tut so weh, dass ich nur einen kurzen Schnitt zustande bringe, keine echte rote Linie. Der letzte ebenso.