Renee Hawk
Mitglied
Conny
Um ihn herum flimmerte die Luft. Alle Konturen verschwammen, wie die Oberfläche eines Sees, welche durch einen geworfenen Stein in Schwingung geriet. Konzentriert schauten seine blauen Augen unter dem blonden Haarschopf hervor und seine schmalen Hände versuchten, das Papier zu glätten.
„Ich schaffe es nicht.“, hörte ich ihn rufen und seine Augen wanderten zu mir. Ich konnte diesen Kinderaugen meine Hilfe nicht verweigern, es war mir auch nicht möglich, mich der Faszination dieses Jungen zu entziehen. Dabei kannte ich ihn noch nicht einmal zehn Minuten.
Unsere Begegnung war Zufall.
An diesem Vorfrühlingstag lockten mich die ersten Sonnenstrahlen in die kleine Parkanlage nahe meines Wohnblockes. Seit Wochen lauerte ich auf die Sonne, da der Winter mir alle Kraft aus den Gliedern zog. Unter der Trauerweide nahm ich auf der Parkbank Platz und stellte meinen Körper auf Sonnenempfang ein, als ich einen zarten Windhauch an meinen Wangen spürte. Für diese Jahreszeit nichts außergewöhnliches, werde Sie nun denken und doch zog mich dieser Luftzug aus meiner Gedankenwelt heraus.
Ein Junge stand vor mir.
Hagere Gestalt, kurze blonde Haare, helle blaue Augen, schmale Lippen und ein strahlendes Lächeln.
„Kannst du mir helfen?“, fragte er und ich nickte zustimmend und lächelte ebenfalls. Er wird nicht älter als sechs oder sieben Jahre sein, dachte ich und schaute mich nach seiner Mutter um. Der Junge bemerkte meinen Blick und zuckte nur mit seinen Schultern. Er reagierte auch nicht weiter, stattdessen hielt er mir einen Leinenbeutel entgegen.
„Ich kann das nicht alleine. Kannst du mir helfen?“, wiederholte er seine Frage und blinzelte mit seinen Augen gegen die Sonne. Ich nahm ihm den Beutel ab und er begann bereitwillig zu erzählen:
„Ich heiße Conny. Alle sagen Conny - außer Katherina, sie sagt Conrad. Sie ist meine Schwester und ich will für sie ein Geburtstagsgeschenk basteln. Sie würde sich doch so sehr über ein Kissen freuen. Sie mag die Sonne. ...“, in der Zwischenzeit öffnete ich den Beutel und nahm den Inhalt heraus: Zeitungspapier, gelber Stoff, eine Schere, Stecknadeln, eine Nähnadel und gelber Zwirn. Geduldig hörte ich ihm weiterhin zu: „ ... Morgen hat meine Schwester Geburtstag, sie wird vierundzwanzig Jahre, und sie spielt immer mit mir.“
Vorsichtig entfaltete ich die Zeitung und entdeckte ein Schnittmuster in der Form einer großen Sonne. Ich musste lächeln und schaute in Connys strahlendes Gesicht. Auf der Sitzfläche neben mir breitete ich den Musterbogen aus und zeigte Conny, was er als nächstes machen müsse. Mit Sorgfalt breitete der Knabe den sonnengelben Taft auf der Wiese aus und strich mit seinen Händen so lange darüber, bis keine Falten mehr zu sehen waren. Dann kam er schnell zur Bank gelaufen und lachend rannte er mit dem Sonnenschnittmuster in der Hand zur Wiese zurück.
So lernten wir uns kennen.
Conny und ich.
Nun stand ich auf und ging ein paar Schritte auf Conny und seine Schablone zu, kniete mich nieder, nahm Stoff und Vorlage in die Hand und mit den mitgebrachten Stecknadeln verband ich beide Teile miteinander.
Ich spürte, wie mir die Arbeit anfing Spaß zu machen. Ich begann wieder zu lächeln und schaute in zwei hell erleuchtete Augen eines glücklichen Kindes. Ich empfand seelische Zufriedenheit.
Mit einemmal stand der Junge auf und rannte quer über die Wiese. Durch die Sonnenstrahlen wurde ich so geblendet, dass ich ihn selbst mit vorgehaltener Hand nicht mehr erkennen konnte. Conny verschwand aus meinem Blickfeld.
Ich wartete bis zum Sonnenuntergang auf ihn, doch er kam nicht mehr zurück. Da es bereits anfing zu dämmern, packte ich die Näharbeit in die Tasche und machte mich auf den Heimweg. Immer wieder hinter mich schauend und die Hoffnung, das Kind noch einmal zu sehen, schritt ich bewusst langsam durch die Orangerie. Am Teich konnte ich den Sonnenuntergang in einem leuchtenden Orangerot beobachten. Mit einem Grinsen dachte ich an den fröhlichen Jungen und nahm mir vor, am nächsten Tag wieder auf der gleichen Parkbank auf ihn zu warten und ihn mit dem gelben Sonnenkissen für seine Schwester zu überraschen.
Zuhause arbeitete ich an dem Kissen weiter. Ich nähte, bügelte und füllte es und immer wieder streiften meine Gedanken zu Conny.
Irgendwie konnte ich mich nicht von dem Kind lösen. Sicherlich hat er einen Spielkameraden gefunden und darüber hat er gewiss vergessen wen er um Hilfe bat, dachte und hoffte ich.
Am nächsten Morgen stand ich mit einer inneren Vergnüglichkeit auf. Es schien, als hätten der gestrige Tag, die Handarbeit und Conny mir einen neuen Impuls vermittelt. Nach dem Frühstück nahm ich das fertige Kissen zur Hand und freute mich auf das fröhliche Gesicht des quirligen Jungen, wenn er das Geschenk für seine Schwester in seinen kleinen Händen halten würde.
Wie am Tag zuvor, saß ich auf der Parkbank unter der Trauerweide und diesmal hatte ich ein großes Sonnenkissen auf meinem Schoß liegen. Wie auch am Vortag strahlte die Sonne und erste Insekten suchten bereits nach Nektar. Gänseblümchen, Krokusse und Schneeglöckchen säumten ebenso den Anlagenweg wie der blühende Ginsterbusch und die ersten Tulpen.
Geduldig wartete ich auf Conny, doch der Junge ließ sich nicht blicken. Es kam der Nachmittag und noch immer wartete ich voller Beharrlichkeit und Hoffnung auf das Kind. Er wird sich nicht mehr erinnern, wird durch das Spielen alles vergessen haben, kam es mir in den Sinn und da bemerkte ich eine junge Frau auf mich zu kommen.
„Darf ich?“, fragte sie und ihre Handbewegung unterstrich die Frage nach dem freien Platz neben mir. Ich nickte freundlich und offenbarte mit einem Lächeln meine Freude über die neue Gesellschaft.
Als die junge Frau das Kissen auf meinem Schoß entdeckte lächelte sie geheimnisvoll. Ihre braunen Augen begannen zu glänzen und ich konnte eine Träne erkennen. Mit zarter, sanfter und sehnsuchtsvoller Stimme begann sie zu erzählen: „Conrad, mein kleiner Bruder, wollte mir einmal ein so wunderschönes Sonnenkissen zum Geburtstag schenken. ...“, bei diesen Worten lief es mir heiß und kalt den Rücken hinunter. Sekundenschnell holte ich meine Erinnerungen an gestern aus dem Unterbewusstsein hervor und fragte mich, ob diese Frau Connys Schwester Katherina sei. Mit ihrer rechten Hand strich sie über das Kissen: „ ...Conny ist vor fünfzehn Jahren hier im Teich ertrunken. Als man die Leiche herausholte hielt sie eine Art Turnbeutel in der Hand. Seit jenem Unglückstag komme ich jedes Jahr hierher zu dieser Parkbank und feiere meinen Geburtstag im Stillen mit Conrad.“
Katherina lächelte.
Ich stand auf und legte ihr das Kissen in den Schoß.
„Nein, das kann ich doch nicht annehmen.“, protestierte sie.
Ich nickte bestimmend und hielt ihre schmalen Hände fest auf das Sonnenkissen ihres Bruders gedrückt.
Auf dem Nachhauseweg dankte ich Gott, dass ich niemals sprechen lernte.
Um ihn herum flimmerte die Luft. Alle Konturen verschwammen, wie die Oberfläche eines Sees, welche durch einen geworfenen Stein in Schwingung geriet. Konzentriert schauten seine blauen Augen unter dem blonden Haarschopf hervor und seine schmalen Hände versuchten, das Papier zu glätten.
„Ich schaffe es nicht.“, hörte ich ihn rufen und seine Augen wanderten zu mir. Ich konnte diesen Kinderaugen meine Hilfe nicht verweigern, es war mir auch nicht möglich, mich der Faszination dieses Jungen zu entziehen. Dabei kannte ich ihn noch nicht einmal zehn Minuten.
Unsere Begegnung war Zufall.
An diesem Vorfrühlingstag lockten mich die ersten Sonnenstrahlen in die kleine Parkanlage nahe meines Wohnblockes. Seit Wochen lauerte ich auf die Sonne, da der Winter mir alle Kraft aus den Gliedern zog. Unter der Trauerweide nahm ich auf der Parkbank Platz und stellte meinen Körper auf Sonnenempfang ein, als ich einen zarten Windhauch an meinen Wangen spürte. Für diese Jahreszeit nichts außergewöhnliches, werde Sie nun denken und doch zog mich dieser Luftzug aus meiner Gedankenwelt heraus.
Ein Junge stand vor mir.
Hagere Gestalt, kurze blonde Haare, helle blaue Augen, schmale Lippen und ein strahlendes Lächeln.
„Kannst du mir helfen?“, fragte er und ich nickte zustimmend und lächelte ebenfalls. Er wird nicht älter als sechs oder sieben Jahre sein, dachte ich und schaute mich nach seiner Mutter um. Der Junge bemerkte meinen Blick und zuckte nur mit seinen Schultern. Er reagierte auch nicht weiter, stattdessen hielt er mir einen Leinenbeutel entgegen.
„Ich kann das nicht alleine. Kannst du mir helfen?“, wiederholte er seine Frage und blinzelte mit seinen Augen gegen die Sonne. Ich nahm ihm den Beutel ab und er begann bereitwillig zu erzählen:
„Ich heiße Conny. Alle sagen Conny - außer Katherina, sie sagt Conrad. Sie ist meine Schwester und ich will für sie ein Geburtstagsgeschenk basteln. Sie würde sich doch so sehr über ein Kissen freuen. Sie mag die Sonne. ...“, in der Zwischenzeit öffnete ich den Beutel und nahm den Inhalt heraus: Zeitungspapier, gelber Stoff, eine Schere, Stecknadeln, eine Nähnadel und gelber Zwirn. Geduldig hörte ich ihm weiterhin zu: „ ... Morgen hat meine Schwester Geburtstag, sie wird vierundzwanzig Jahre, und sie spielt immer mit mir.“
Vorsichtig entfaltete ich die Zeitung und entdeckte ein Schnittmuster in der Form einer großen Sonne. Ich musste lächeln und schaute in Connys strahlendes Gesicht. Auf der Sitzfläche neben mir breitete ich den Musterbogen aus und zeigte Conny, was er als nächstes machen müsse. Mit Sorgfalt breitete der Knabe den sonnengelben Taft auf der Wiese aus und strich mit seinen Händen so lange darüber, bis keine Falten mehr zu sehen waren. Dann kam er schnell zur Bank gelaufen und lachend rannte er mit dem Sonnenschnittmuster in der Hand zur Wiese zurück.
So lernten wir uns kennen.
Conny und ich.
Nun stand ich auf und ging ein paar Schritte auf Conny und seine Schablone zu, kniete mich nieder, nahm Stoff und Vorlage in die Hand und mit den mitgebrachten Stecknadeln verband ich beide Teile miteinander.
Ich spürte, wie mir die Arbeit anfing Spaß zu machen. Ich begann wieder zu lächeln und schaute in zwei hell erleuchtete Augen eines glücklichen Kindes. Ich empfand seelische Zufriedenheit.
Mit einemmal stand der Junge auf und rannte quer über die Wiese. Durch die Sonnenstrahlen wurde ich so geblendet, dass ich ihn selbst mit vorgehaltener Hand nicht mehr erkennen konnte. Conny verschwand aus meinem Blickfeld.
Ich wartete bis zum Sonnenuntergang auf ihn, doch er kam nicht mehr zurück. Da es bereits anfing zu dämmern, packte ich die Näharbeit in die Tasche und machte mich auf den Heimweg. Immer wieder hinter mich schauend und die Hoffnung, das Kind noch einmal zu sehen, schritt ich bewusst langsam durch die Orangerie. Am Teich konnte ich den Sonnenuntergang in einem leuchtenden Orangerot beobachten. Mit einem Grinsen dachte ich an den fröhlichen Jungen und nahm mir vor, am nächsten Tag wieder auf der gleichen Parkbank auf ihn zu warten und ihn mit dem gelben Sonnenkissen für seine Schwester zu überraschen.
Zuhause arbeitete ich an dem Kissen weiter. Ich nähte, bügelte und füllte es und immer wieder streiften meine Gedanken zu Conny.
Irgendwie konnte ich mich nicht von dem Kind lösen. Sicherlich hat er einen Spielkameraden gefunden und darüber hat er gewiss vergessen wen er um Hilfe bat, dachte und hoffte ich.
Am nächsten Morgen stand ich mit einer inneren Vergnüglichkeit auf. Es schien, als hätten der gestrige Tag, die Handarbeit und Conny mir einen neuen Impuls vermittelt. Nach dem Frühstück nahm ich das fertige Kissen zur Hand und freute mich auf das fröhliche Gesicht des quirligen Jungen, wenn er das Geschenk für seine Schwester in seinen kleinen Händen halten würde.
Wie am Tag zuvor, saß ich auf der Parkbank unter der Trauerweide und diesmal hatte ich ein großes Sonnenkissen auf meinem Schoß liegen. Wie auch am Vortag strahlte die Sonne und erste Insekten suchten bereits nach Nektar. Gänseblümchen, Krokusse und Schneeglöckchen säumten ebenso den Anlagenweg wie der blühende Ginsterbusch und die ersten Tulpen.
Geduldig wartete ich auf Conny, doch der Junge ließ sich nicht blicken. Es kam der Nachmittag und noch immer wartete ich voller Beharrlichkeit und Hoffnung auf das Kind. Er wird sich nicht mehr erinnern, wird durch das Spielen alles vergessen haben, kam es mir in den Sinn und da bemerkte ich eine junge Frau auf mich zu kommen.
„Darf ich?“, fragte sie und ihre Handbewegung unterstrich die Frage nach dem freien Platz neben mir. Ich nickte freundlich und offenbarte mit einem Lächeln meine Freude über die neue Gesellschaft.
Als die junge Frau das Kissen auf meinem Schoß entdeckte lächelte sie geheimnisvoll. Ihre braunen Augen begannen zu glänzen und ich konnte eine Träne erkennen. Mit zarter, sanfter und sehnsuchtsvoller Stimme begann sie zu erzählen: „Conrad, mein kleiner Bruder, wollte mir einmal ein so wunderschönes Sonnenkissen zum Geburtstag schenken. ...“, bei diesen Worten lief es mir heiß und kalt den Rücken hinunter. Sekundenschnell holte ich meine Erinnerungen an gestern aus dem Unterbewusstsein hervor und fragte mich, ob diese Frau Connys Schwester Katherina sei. Mit ihrer rechten Hand strich sie über das Kissen: „ ...Conny ist vor fünfzehn Jahren hier im Teich ertrunken. Als man die Leiche herausholte hielt sie eine Art Turnbeutel in der Hand. Seit jenem Unglückstag komme ich jedes Jahr hierher zu dieser Parkbank und feiere meinen Geburtstag im Stillen mit Conrad.“
Katherina lächelte.
Ich stand auf und legte ihr das Kissen in den Schoß.
„Nein, das kann ich doch nicht annehmen.“, protestierte sie.
Ich nickte bestimmend und hielt ihre schmalen Hände fest auf das Sonnenkissen ihres Bruders gedrückt.
Auf dem Nachhauseweg dankte ich Gott, dass ich niemals sprechen lernte.