Das Bergische Land

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M

margot

Gast
der wind, der die haare und die gedanken zerzaust.
ich finde deine anteilnahme, dein heimatgefühl gegenüber
eines landstriches klasse, vera. aber ist es nicht mehr
wunschbild deiner seele als realität?
vielleicht die realität vergangener jahrhunderte, als
goethe den damen unter ihre aufgeplusterten röcke griff?
und hirsche in rudeln vor wunderbarem horizont von
caspar david friedrich in szene gesetzt wurden?
dein gedicht ist weder spät- noch post- noch neoromantisch.
es ist einfach mies-romantisch.

lieben gruß
ralph
 

Vera-Lena

Mitglied
Hirsch oder Reh?

Liebe margot,

ich kann ja nichts dafür, daß Du solche Gegenden nicht kennst. Es gibt in der LL ein Gedicht von mir "Überraschung". Das schildert eine wahre Begebenheit. Ich ging an der Wiese hinter dem Haus vorbei zur Tiefgarage, da kam ein Reh über die Wiese geschlendert und schaute mir in die Augen, danach nahm es Tempo auf, hüpfte über das Gatter und verschwand in Richtung Wald. An anderen Tagen konnte ich aber im Wald öfter das ganze Rudel beobachten, weil ich immer ganz leise durch den Wald gehe. Und einmal kam auch wieder ein Reh , als ich oben auf dem Berg war, aus dem Wald heraus und eilte tatsächlich die weite Strecke ins Tal hinunter, und wir konnten ihm nur erstaunt hinterher schauen. Ob es nun auch Hirsche gibt oder nur Rehe, das weiß ich allerdings nicht so genau. Aber wo Rehe sind, gibt es meist auch Hirsche. Ich hoffe, daß Du meine Worte nicht anzweifelst.

Ganz liebe Grüße Vera-Lena
 

Inge Anna

Mitglied
Liebe Vera-Lena,
ein Text, der mich sehr stark berührt. Heimatverbundenheit atmet aus Deinen Zeilen. Es ist schön, zu leben. Danke, liebe Vera-Lena.
Herzlich
Inge Anna
 

Vera-Lena

Mitglied
Antwort

Liebe Inge Anna,

ich wollte einfach nur Deine Frage nach meinem Wohnort beantworten. Nun freut es mich, dass Dir dieser Text so viel sagt.
Ich danke Dir herzlich.)
Liebe Grüße Vera-Lena
 
H

Harald

Gast
Liebe Vera-Lena!

Ganz interessant, wie dieser Diskurs kontrovers wirkt. Da wird ein Hirschrudel zur „schwülstig romantischen“ Naturbetrachtung. Ist die Vergesellschaftung „Natur“ mit „schwülstig-romantisch“ nicht ein Zeichen unserer Zeit? Wir entfernen uns doch alle immer mehr vom Natürlichen. Unnatürlich, schwülstig und unpassend inmitten der Natur ist und bleibt der Mensch.

Darum bin ich auch mit Deinem Schluss nicht einverstanden, Vera-Lena, wenn Du sagst:

Drunten eilen die Menschen geschäftig,
ahnen ihr Tagwerk getragen
von den Kräften der Stille.

Die ahnen in ihrer Gemeinschaft aber gar nichts. Sie glauben ihr Tagwerk getragen von der Wichtigkeit ihres Tuns. Die Harmonie der Stille wird den meisten erst bewusst, wenn das Tagwerk und das Leben endet.

Ich würde es mir sinngemäß ungefähr so vorstellen können:

Das Hirschrudel aber stürmt,
wie unkundig des Wegs,
mit weiten Sprüngen über Gatter hinweg
talwärts.

Zurück bleibt Stille –
manchmal durchdrungen vom
eitlen Tagwerk der Menschen.


Nun ja, schon wieder so eine unverfrorene Einmischung eines fremden Dichterlings. Wie ein Kuckucksei liegt der Gedanke nun im wohlbehüteten Nest.

Ich geh´ ja schon ...

Liebe Grüße
Harald
 

Vera-Lena

Mitglied
Stille

Lieber Harald,

danke für Deine interessante Änderung meines Textes. So würde es zu jeder Gegend passen. Was mich hier an den Menschen im Bergischen Land aber fasziniert hat, ist ihre Einfachheit. Wie ich dann erfuhr, halten sie sich tatsächlich hauptsächlich zwischen ihren heimatlichen Hügeln auf und eine Fahrt zu dem 20Km entfernten Köln ist für sie bereits eine Weltreise. Auch habe ich erlebt, dass junge Menschen, die hier geboren waren, wenn sie ihr Studium abgeschlossen hatten, unbedingt wieder hierher zurückkehren wollten.
Das wirklich Bergische atmet diese Abgeschiedenheit, diese Kargheit und diese Stille , und das spiegelt sich auch hier in den Menschen wieder natürlich auch ins Negative bis hin zu kurzangebunden, unverbindlich und grob.

Soweit mein ganz persönlicher Eindruck über diese Gegend.

Vertreter ihrer Heimat sind bei aller Weltoffenheit dennoch für mich erkennbar Bundespräsident Walter Scheel, aufgewachsen in Solingen und Budespräsident Johannes Rau, aufgewachsen in Wuppertal. Beides keine überragenden Kandidaten aber unbestritten in ihrer Schlichtheit.

Dir liebe Grüße nach Österreich!:)
Vera-Lena
 
H

Harald

Gast
Liebe Vera-Lena!

Mit großer Freude höre ich nun eine wirkliche Lokal-Patriotin sprechen. Vielleicht trifft auch im Bergischen Land das zu, was ich für eine Besonderheit Österreichs hielt: Wir schimpfen mit stärkster Intensität über die allgemeinen Zustände in unserm Land - aber, wehe, von außen erlaubt sich einer, nur andeutungsweise in dieses Schimpfen einzustimmen. Dem wird der Wind umgehend aus den Segeln genommen.

In unserem Gespräch geht es allerdings um die Gegenüberstellung "des Menschen" in seinen allgemeinen, üblichen Anlagen, seiner herdentrieblichen Geschäftigkeit einerseits und der Denkungsart Einzelner andererseits.

Ich hatte ja nicht behauptet, dass einzelne Persönlichkeiten sich nicht jederzeit über das Allgemeindenken hinwegsetzen können, sondern sprach die Menschen in ihrer Majorität an.

Sollten natürlich im Bergischen Land nur Ausnahmepersönlichkeiten logieren, dann ziehe ich meinen Gedanken mit größter Bewunderung Deiner offensichtlich wunderschönen Heimat gerne zurück. (Verzeih´ bitte die "kleine", nur der Verständlichkeit dienende Übertreibung.)

Erzähle uns doch bitte noch von den Besonderheiten des Bergischen Landes. Ich höre sehr gerne davon.

Ganz liebe Grüße
Harald
 
H

Harald

Gast
P.S.: Ich habe die "Abgeschiedenheit, diese Kargheit und diese Stille" der Bewohner nicht überlesen. Vielleicht habe ich eine gewisse Scheu, sie so richtig ins Spiel zu bringen.
 

Vera-Lena

Mitglied
Besonderheiten

Lieber Harald,

ich bin hier nicht geboren, ebendarum konnte ich diese Menschen aus einem gewissen Abstand heraus beobachten. Ich fühle mich ihnen auch nicht zugehörig. 23 Jahre Berlin ab Geburtsdatum kann man durch überhaupt nichts rückgängig machen, schon gar nicht in diesen Zeitläuften damals, 1938 bis 1.August 1961, also 14 Tage vor dem Mauerbau.

Im Bergischen Land lebe ich seit 1977. Davor war ich in verschiedenen anderen Ecken Deutschlands.

Dass ich Menschen begegnet bin, die in dieser Weise auf mich gewirkt haben, dafür kann ich ja nichts. Die anderen sind mir eben nicht begegnet. Aber ich würde doch nie behaupten, dass es hier nur Ausnahme-Geschöpfe gibt!!!!!!
Ich habe aber unter anderen solche angetroffen, und das waren auch Menschen, die in die unruhigsten Zeiten verstrickt gewesen waren und hier im Bergischen eine innere Ruhe gefunden haben. Und die hier ihre Kreativität entdecken konnten. Diese Landschaft scheint das Künstlerische im Menschen zu beflügeln, aber nun frag mich bitte nicht, warum das so ist. Ich wüßte das ja auch zu gerne.

Ein schönes Wochende wünsche ich Dir.:)
Ganz liebe Grüße Vera-Lena
 
H

Harald

Gast
Liebe Vera-Lena!

Gott sei Dank hast Du meine Verirrung, die mich in unserem Gespräch zwischen des Menschen Ein- und Mehrzahl geraten ließ, wieder auf den rechten Weg geführt, wenn Du vom Einfluss der Natur auf den Menschen sprichst. Das sollte doch auch das Thema meines ersten Beitrags sein.

Wir wissen ja alle, dass der Mensch mit der Natur nicht gut umgeht, dass er sozusagen die Kuh schlachtet, von deren Milch er sich ernährt. Und immer, wenn der Mensch auf die Natur Einfluss nehmen wollte bzw. nahm, hat er sie ganz oder teilweise zerstört. Weil er sie ganz einfach viel zu wenig versteht.

Das wollte ich mit meinem Gedanken zu Deiner letzten Strophe ausdrücken. Inzwischen habe ich auch gelernt, warum Du im Bergischen Land eine Ausnahmesituation zu erkennen glaubst. Mir fällt es ehrlich gesagt sehr schwer, „dem“ Menschen das nötige Vertrauen im Umgang mit der Natur entgegen zu bringen. Ja, es gibt Naturforscher, Biologen, engagierte Laien, Künstler, die sich sehr intensiv und im positiven Sinne dieser Frage widmen. Werden sie, werden wir die Natur gegen die Übermacht der Industrie, der Politik, der Gleichgültigkeit schützen können?

Der Salzburger Georg Trakl schrieb das Gedicht „Kaspar Hauser“ nach jenem Findling von 1828, der in Nürnberg bis zu seinem 16. Lebensjahr gefangen gehalten wurde und anfangs weder gehen noch reden konnte, mit einundzwanzig hat man ihn getötet. In seinem Gedicht verlieh ihm Trakl sozusagen die Anwaltschaft der Natur, die in ihrem Ausgeliefertsein dem Menschen zum Opfer fällt:

„Er wahrlich liebte die Sonne, die purpurn den Hügel hinabstieg,
Die Wege des Walds, den singenden Schwarzvogel
Und die Freude des Grüns.

Ernsthaft war sein Wohnen im Schatten des Baums
Und rein sein Antlitz. ...

Ihm aber folgte Busch und Tier,
Haus und Dämmergarten weißer Menschen
Und sein Mörder suchte nach ihm.

Frühling und Sommer und schön der Herbst
Des Gerechten, sein leiser Schritt
An den dunklen Zimmern Träumender hin.
Nachts blieb er mit seinem Stern allein;

Sah, dass Schnee fiel in kahles Gezweig
Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.

Silbern sank des Ungebornen Haupt hin.“


Doch ich will nicht so trostlos enden und sage mit Hölderlin:
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch!“

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende!
Harald
 



 
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